Lieblingsköstlichkeit:Deutschland im Spargel-Wahn

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Beelitzer Landfrauen während des offiziellen Spargelanstiches auf einem Feld nahe Zauchwitz im April 2015. (Foto: dpa)

Die Deutschen lieben Spargel, die Saison wird immer weiter ausgedehnt, manche Speisekarte besteht nur noch aus blassen Gemüsegerichten. Muss man wirklich Jahr für Jahr heftiger ausrasten? Eine Polemik.

Von Verena Mayer und Marten Rolff

Spargel - der Glühwein des Frühjahrs

Wo es um Spargel geht, brennen in Gourmetdeutschland regelmäßig alle Sicherungen durch. Welches Ausmaß das annehmen kann, zeigte sich erst Anfang Mai wieder. Da wollte ein Immobilienunternehmer im brandenburgischen Beelitz auf sein Wohnungsprojekt aufmerksam machen. Um möglichst viele Leute auf das runtergerockte Baugelände einer ehemaligen DDR-Frauenheilanstalt zu locken, lud der Mann auf Facebook ein. Aber nicht zur Besichtigung, sondern zu einer Feier "im Zeichen des königlichsten aller Gemüse", zur Spargelparty im alten Krankenhaus.

Nach wenigen Stunden hatte er fast doppelt so viele Zusagen wie Beelitz Einwohner: 20 000.

Hurra, es ist wieder Spargelsaison. Und die ist mit ihren Festen und Ritualen längst so etwas wie die neue Weihnachtszeit. Sie endet ebenfalls traditionell an einem bestimmten Termin, dem Johannistag am 24. Juni, danach muss man den Spargel in Ruhe lassen, damit er fürs nächste Jahr durchwachsen kann. Und wie der Advent beginnt auch die Spargelsaison immer früher. Das liegt nicht nur an Ware aus Griechenland, Israel oder Spanien, sondern auch daran, dass Spargelbauern ihre Felder gern mit Heizschlangen erwärmen, damit die Stangen bereits ab März massenweise in die Haushalte geschleppt werden können. Der Spargel selbst ist nun der Glühwein des Frühjahrs. Einigermaßen traditionslos, aber als Rummelgarant Gold wert.

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Ein neuer Name für die "Krauts"?

In anderen Ländern fragt man sich indes: Warum? Was finden die Deutschen bloß am bleichen, bitter schmeckenden Gemüse-Phallus?

Engländer und Franzosen wundern sich seit Langem über die deutsche Spargelleidenschaft. Die Engländer, weil sie lieber grünen Spargel essen, den etwa der Spitzenkoch Nigel Slater stückeweise mit Ei für eine Quiche verquirlt, mit Parmesan und Estragon darüber. Und die Franzosen können es nicht fassen, was Deutsche für ein Bohei um ein Gemüse machen, von dem in ihren Augen höchstens die Spitzen taugen. Und das auch nur, wenn sie sich an der Sonne lila-bläulich färben dürfen und man sie nicht, wie in Deutschland, blass aus der Erde haut. Die Zeit stellte einmal fest: Wenn man Deutsche nach einem Gemüse benennen will, dann kann man nicht mehr "Krauts" oder "Kartoffeln" sagen. Man muss uns inzwischen "Asparagos" nennen.

Es spargelt immer länger

Der Wahnsinn nimmt jedes Jahr zu. Kaum ein Ort in Deutschland, an dem nicht mindestens ein Spargelfest stattfindet, eine Spargelparade abgehalten, eine Spargelpyramide aufgeschichtet wird. Auf jedem dritten Weißwein, der jetzt in die Supermärkte kommt, klebt das Etikett "Spargelwein" (ein Unsinn übrigens, nicht verkaufte Chargen labeln Winzer im Juli wieder zu Silvaner um).

In den großen Anbaugebieten Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens oder Bayerns wird der erste Spargel inzwischen willkommen geheißen wie anderswo Thronfolger-Babys. Und die vielen Spargelköniginnen haben eine der längsten Saisons im Landbau zu verkraften, noch bis Sommer müssen sie im Schlepptau von Bürgermeistern, Verbandsvertretern oder gar Ministerpräsidenten durchs ganze Land ziehen; junge Frauen, gern mit Kronen aus den weißen Sprossen im spargelfarbenen Haar. Und gern belästigt mit Gemüsezoten: Wer hat den Längsten, wem hält man die Stange? Der Spargelwitz - ist, wenn man trotzdem lacht. Keine Frage, man kann dieses Gemüse auch großartig finden, kalorienarm, vitaminreich, gesund und ja, auch delikat.

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Viele aber sehen den Spargel vor allem als "weißes Gold". Bernhard Knuth zum Beispiel, der Bürgermeister von Beelitz, dem brandenburgischen Städtchen, in dem die Spargel-Facebook-Party steigen soll. Der 52-Jährige erzählt eine typische Geschichte aus der ostdeutschen Provinz. Sie beginnt mit dem sandigen Boden ohne Nährstoffe, der für nichts zu gebrauchen ist außer für die Art von Spargel, die den Deutschen schmeckt. "Weich, fein und ohne Eigengeruch", wie Knuth es nennt.

Über Spargel kann der Bürgermeister so atemlos sprechen wie andere über Apple-Produkte, und er hat gemerkt, dass das Gemüse nicht nur Bauern versorgt, sondern auch Besucher anzieht. Er verlieh Beelitz den Titel "Spargelstadt" und rief das jährliche Spargelfest ins Leben, zu dem an einem Wochenende 35 000 Leute kommen, "da ist Beelitz rammeldicke voll, und wenn die Spargelkönigin vorbeifährt, haben die Leute Tränen in den Augen".

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In Beelitz, so viel steht fest, hat der Spargel für blühende Landschaften gesorgt. Das ist schön und geht selbstverständlich völlig in Ordnung. Nur wirkt es leider bisweilen so, als ob in all diesen blühenden deutschen Landschaften im Frühjahr kein anderes Kraut mehr wachsen darf. Ganze Regionen sind inzwischen mit den Folien und Planen überzogen, unter denen der Spargel heranwächst, Felder aus Plastik.

Drum herum kulinarische Monokultur. Auch in der Gastronomie muss die Vielfalt über Monate den weißen Stangen weichen. Oft ist die Spargelkarte doppelt so lang wie das übrige Menü. Und privat ist es nicht besser. Jede Einladung zwischen April und Juli: ein Spargelessen. Nichts dagegen einzuwenden. Doch bitte: ohne Diskussionen. Abensberger oder Schrobenhauser? Lüneburger oder Beelitzer? Koch- oder Räucherschinken? Lachs oder Schnitzel? Butter oder Olivenöl? Im Zuckerwasser im Topf kochen oder in Alufolie im Ofen garen? Leider alles Glaubensfragen. Langeweile garantiert. Dazu ist das Gemüse oft so geizig portioniert, dass die letzte anämische Stange bei Tisch schnell Betretenheit auslöst. Ja, was für ein herrlicher Abend!

Warum also all die Anstrengung? Wofür?

Warum? Was finden die Deutschen bloß am bleichen, bitter schmeckenden Gemüse-Phallus? (Foto: picture-alliance)

Vielleicht ist es ja so: Beim Spargel besinnt sich ein Land, in dem sogar die Besserverdiener mit dem SUV beim Discounter vorfahren, um sich möglichst billig den Kofferraum vollzumachen, für ein paar Wochen aufs Essen. Widmet sich dem Regionalen, dem, was eine Jahreszeit hervorbringt. Und zwar nicht nur eine Elite, die schon vor ein paar Hundert Jahren den Spargel als Delikatesse entdeckte. Sondern alle Schichten, quer durch Deutschland. Eineinhalb Kilo Spargel isst der Deutsche jedes Jahr, auf Spargel, diese Gemüse-Trias aus Edelküche, Demokratie und heiler Welt, können sich alle einigen.

Wenn auch nicht überall: Die Facebook-Party in Beelitz mit 20 000 Zusagen ist am Ende dann doch abgesagt worden. Schade, aber es waren einfach zu viele, die zu den Food-Stationen mit internationalen Gerichten kommen wollten, zu den DJs und der elektronischen Musik. Bürgermeister Knuth tut das leid, "das wäre eine riesige Reklame gewesen". Doch das Gelände und die Zufahrtswege seien für solche Massen nicht geeignet. Spargel als Sicherheitsrisiko.

Bisher kannte man ihn nur als Gesundheitsrisiko. Die Ernte geht auf den Rücken, die Arbeiter sind schlecht bezahlt. Doch weil der Spargel so edel ist, das Essen der Fürsten, sind auch seine deutschen Fans im Laufe der Jahre immer edler geworden. Sie machen sich doch nicht mehr krumm. Sie sind sich längst zu fein dazu, ihn selbst aus der Erde zu holen.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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