Kosmetik für Männer:Kriegsbemalung für den Herrn

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Auch Männer haben Augenringe.Kriegsbemalung soll helfen. (Foto: PR)

Make-Up für Männer ist die große Hoffnung der Kosmetikbranche. Ein junger Brite will mit seiner Marke "War paint" nun auch "echte Kerle" ansprechen.

Von Jan Stremmel

Natürlich wäre es schön, wenn jetzt jemand was sagen würde. "Gut siehst du aus!" oder "Na, frisch aus'm Urlaub?", vielleicht so was. Aber natürlich kommentiert an dem Tag, an dem man geschminkt ins Büro kommt, niemand was.

So stark hat einen also die verdammte giftige Männlichkeit noch im Griff. Schon der erste Kontakt mit dem Schminktiegelchen macht misstrauisch: Merken die Kollegen nichts? Oder haben sie die hellgepuderten Augenringe auf den ersten Blick gesehen, sagen aber aus Höflichkeit nichts?

Das sind natürlich die genau falschen Gedanken. Denn man soll das Make-up doch für sich selbst auflegen und nicht für andere, hat man gelernt. Männer sollten endlich auch "die Wahl" haben, sagt etwa der Hersteller des Männer-Make-ups, das man sich am Morgen ins Gesicht getupft hat: Frauen dürfen sich für oder gegen Schminke entscheiden. Also sollen das auch Männer dürfen. Das klang erst einmal zumindest nicht schlecht.

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Make-up für Männer ist kein besonders populäres Thema - zumindest noch. Die Marktforschung sagt voraus: In keinem Segment wird der Beauty-Markt in nächster Zeit so stark wachsen wie hier. Schon heute nutzen angeblich neun Prozent der deutschen Männer Schminkprodukte. Das hört sich wenig an, deutet laut Experten aber auf einen Zeitenwechsel hin. 2019 gaben Männer weltweit für Make-up geschätzt rund eine Milliarde Dollar aus. Jetzt hofft man, dass der Umsatz sich ähnlich entwickelt wie der mit Hautpflegeprodukten für Männer - der soll bis 2024 nämlich um ein Viertel steigen, auf fünf Milliarden Dollar. Die meisten großen Marken versuchen deshalb, diese neue Zielgruppe anzusprechen.

Bloß wie? In Asien ist der Markt schon heute riesig. Die Ästhetik der Männlichkeit hat sich dort nachhaltig gewandelt, hin zu einem weicheren, eher androgynen Männerbild. Ein Grund dafür soll der seit einigen Jahren große Erfolg der K-Pop-Bands sein. Deren Mitglieder stehen für ein neues, absichtsvoll gestyltes Mannsein, das bewusst mit Geschlechtergrenzen spielt und auch Jungs im Westen zeigen soll, dass man sich als Kerl problemlos einen makellosen Seidenteint schminken kann, ohne deshalb gleich als Dragqueen verbucht zu werden. Entsprechend viele Werbedeals schließen asiatische Beauty-Marken gerade mit K-Pop-Bands ab. Aber hat das auch im Westen eine Chance?

Wie viele pudern sich die T-Zone, bevor sie ins Büro fahren?

Jedenfalls haben die großen Labels auch hier umgerüstet: Chanel, Clinique, Tom Ford, Givenchy und Marc Jacobs haben seit 2018 eigene Linien für Männer auf dem Markt. Und es gibt noch mehr Indizien, die dafür sprechen, dass sich hier etwas ändert. Im Herbst handelte sich die Moderatorin Barbara Schöneberger einen Shitstorm ein, als sie auf Instagram über Männer herzog, die nicht nur "hochgekrempelte Hosen" trügen, sondern sich "jetzt auch noch" schminkten: "Männer sind Männer, Männer sollen irgendwie auch Männer bleiben", erklärte Schöneberger.

Die Frage wäre natürlich, was genau so einen Schönebergerschen Mann eigentlich definiert, und warum ein paar Tupfer Concealer daran etwas ändern sollten. Der Sturm der Entrüstung, der über die Moderatorin hinwegfegte, zeigte dann zum Glück recht gut, wie sehr sich die Geschlechterrollen in den vergangenen Jahren schon geändert haben, ohne dass jemand wie Schöneberger das zwingend mitbekommen haben muss.

Abdeckstifte sind ein einfaches Werkzeug. (Foto: PR)

In der TV-Sendung "Queen of Drags" bei Pro Sieben wurden zuletzt Make-up-Mengen auf Männergesichter gespachtelt wie wohl noch nie zur besten Sendezeit. Anfang des Jahres tauchte der Schauspieler Ansel Elgort auf dem roten Teppich der Golden Globes wie selbstverständlich mit Glitzerschminke um die Augenpartie auf. Die britische Edelkaufhauskette John Lewis führte im Januar Verkaufsschalter speziell für Männerkosmetik ein.

Gibt es aber, jenseits von Hochglanz-TV und High Fashion, wirklich den Mann, der sich morgens vor dem Spiegel die Augenschatten aufhellt und die T-Zone pudert, bevor er das Haus Richtung Büro verlässt? Und wenn ja, wartet er nur darauf, dass er endlich Männer-Make-up benutzen kann?

Schminke für den Mann mattiert nicht, sie tarnt.

Ja, und er wolle ihm helfen - mit dieser Aussage hat ein etwas verbissen wirkender junger Mann in England gerade einige Aufmerksamkeit erregt. Er heißt Daniel Gray und hat eine Firma gegründet, die Make-up speziell für "echte Kerle" herstellt. Ohne Schminke, sagt Gray, wäre er selbst "nicht in der Lage, das Haus zu verlassen". Er sei als Jugendlicher wegen seiner Akne gemobbt worden. Also habe er sich heimlich Puder von seiner Schwester genommen. Denn er wäre lieber gestorben, als in einen Drogeriemarkt zu gehen und sich Frauenprodukte zu kaufen. Diese Qualen, so erzählt er es, will er nun anderen Männern ersparen.

Ein perfekter Gründer-Mythos. Kein Wunder, dass Gray damit in der britischen Version der Start-up-Show "Die Höhle der Löwen" ordentlich abgeräumt hat. Die Firma verkauft ihre mattschwarzen Tiegelchen mit Foundation, Puder und Bronzer übrigens unter dem Namen "War Paint", Kriegsbemalung. Und die haben sich in nur acht Monaten angeblich mehr als 20 000-mal verkauft.

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Während die Geschlechtergrenzen in der Popkultur also immer selbstverständlicher aufgeweicht und neu vermessen werden, muss dem Alltagskerl offenbar immer noch eine Extraportion Rambo-Aroma untergerührt werden, um ihm die Pflege schmackhaft zu machen. So viel zum wackligen Stand der Männlichkeit im Jahr 2020.

Zum Test bestellt man sich das volle Set des britischen Start-ups (sieben Teile für umgerechnet circa 110 Euro) und geht damit zu Moni Gutezeit, einer Make-up-Artistin, die in einem Studio in der Münchner Innenstadt Schminkkurse gibt. Bisher vor allem für Frauen. Aber sie schminkt auch gelegentlich Männer, meist Manager vor wichtigen Auftritten. Sie weiß, welche psychologischen Tricks dazu nötig sind: Statt den Männern die Stirnglatze zu pudern, erzählt sie, trage sie grundsätzlich lieber eine mattierende Creme auf. Auch wenn der Effekt der gleiche sei: Sie wisse, welche Abneigung die Herren vor allem haben, "was nach Make-up und Puder aussieht".

Männer-Schminke soll tarnen statt schöner zu machen

Ob es hilft, dass das Marketing der meisten Männer-Make-ups krampfhaft an die Werbespots für Axe-Deodorants erinnert, die doch schon seit den Nullerjahren nicht mehr so ganz dem Zeitgeist entsprechen? In den Werbevideos von War Paint gucken bärtige, tätowierte Models so grimmig in die Linse, als würden sie sich nicht mit einem Make-up-Schwämmchen Foundation aufs Gesicht tupfen, sondern mit der Stahlbürste einen Grillrost säubern. Und auch die Produktbeschreibung stampft maximal breitbeinig auf: Die Schminke mattiert nicht oder macht schöner - sie "tarnt". Abdeckstifte sind ein "praktisches, einfaches Werkzeug". Gerne natürlich "6 in 1", als handle es sich dabei um eine Multifunktions-Stichsäge. Und nicht um eine getönte Feuchtigkeitscreme.

Die Make-up-Trainerin Moni Gutezeit kann darüber schmunzeln. Sie glaubt, dass viele kleine Schritte nötig sind, um Männer langsam ans Thema heranzuführen. Es klingt ein bisschen, als spreche sie über Kinder und grünes Gemüse. Allerdings fragt sie sich auch, welcher Mann wirklich ein siebenteiliges Set benutzen solle, zu dem auch Foundation und Bronzer gehört. Sie kenne jedenfalls keinen.

© SZ vom 07.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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