SZ-Serie: Im Lichte der Stadt:Tussi-Toaster mit Flatrate war gestern

Solarium 111 in der Kistlerhofstraße 111

Das Solarium 111 in der Kistlerhofstraße 111

(Foto: Florian Peljak)

Heute sind Sonnenstudios High-Tech-Einrichtungen, die ganzjährig genutzt werden. Ob Dusche, Duft oder Booster, die Beleuchtungsgeräte lassen sich für jeden Bedarf einstellen. Zu Besuch in Münchens modernstem Solarium.

Von Philipp Crone

Eine Frau mit knallroten Haaren betritt das Sonnenstudio und sagt: "Die Tausendsechshundert bitte für zwanzig Minuten." Carina Schmitt, eine sportliche Frau mit dunklen langen Haaren und sehr dezenter Bräune, nennt ihr die Kabinennummer und zeigt in den hinteren Teil des Geschäfts. Rote Haare? Sonnenstudio? Als die Frau in der Kabine verschwunden ist, sagt Schmitt leise: "Die sind gefärbt." Sonst hätte die Inhaberin des Studios nicht ohne weiteres zugestimmt. Im Land der früheren Tussi-Toaster respektive Münz-Mallorca mit Flatrate und Abo hat sich einiges verändert.

Schmitt, 31, verhält sich eher wie eine Fachärztin für Besonnung als eine Kleinunternehmerin, die in der Kistlerhofstraße ihr Studio führt. Keiner sonst habe die brandneuen Geräte der Firma Ergoline. Wenn es nicht so hell wäre beim Drinliegen könnte man meinen, die Apparate sind eher horizontale Ein-Mann-Raumkapseln. Nicht von Siri gesteuert, sondern von Eva, sagt Schmitt. So heißt die Sprachassistentin in den Geräten. 20 Minuten, bis die rothaarige Frau wieder rauskommt aus der Kabine, sind viel Zeit, um zu erfahren, was es mit dem modernen Sonnenstudio, dessen Kunden und den Münchner Eigenheiten auf sich hat.

Eva führt durch das Menü, die Stimme spricht zum nackten Menschen, der auf einer anatomisch angepassten Plexiglasunterlage Platz nimmt, damit sich das UV-A- und UV-B-Licht aus den Röhren um ihn verteilt. So ein Gerät schaltet man natürlich nicht mehr einfach so an. Individuelle Einstellungen können abgerufen werden. Ob man nur eine Körperbräunung haben möchte und keine fürs Gesicht. "Das machen viele, weil sie Angst vor Falten im Gesicht haben oder sagen: "Im Gesicht mache ich die Farbe mit Make-up."

Und damit das klar sei, sagt Schmitt: Egal wie modern das Gerät sei, es verhindere nicht die Alterung der Haut beim Bräunen. Dafür gibt es aber dann im Jahr 2019 sogenannte Booster, die über Eva-Siri eingestellt werden können. "Kollagen-Booster, die während der Besonnung die Haut pflegen, weil sie Kollagen aufbauen." Das funktioniere analog zur Lichttherapie in der Kosmetik. Schmitt hat die Abos abgeschafft, "ich will nicht, dass die Kunden jeden Tag kommen". Das sei eben nicht gesund. Gesund?

Gesund ist das Sonnen ohnehin nicht, trotz modernster Geräte, heißt es vom Verein Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Prävention (ADP). "Solarien dienen ausschließlich der kosmetischen Behandlung", sagt der Dermatologe und Vereinsvorsitzende Eckhard Breitbart. Es könne aus wissenschaftlicher Sicht kein Schwellenwert der Bestrahlung ausgemacht werden, der eine ungefährliche Nutzung garantiert. "Experten wie die WHO raten daher von jeglicher Solariennutzung ab." Aber bei ADP schätzt man die Veränderungen, die auch Schmitt anwendet: Fragebogen, Beratungsgespräche, Höchstzeiten.

Eine weitere Frau kommt rein, "wir haben eine Verteilung von etwa 70 zu 30 Prozent Frauen zu Männern", sagt Schmitt. Die Dame sagt "Nä!" auf die Frage nach einer Schutzbrille. Die Entscheidung ist da: Augen schonen und weiße Ringe riskieren oder nicht. Warum kommt diese Kundin? "Ich mag keine weiße Haut, da sehe ich immer etwas kränklich aus." Sie müsse nicht "wie ein Grillwürstchen rumlaufen", aber auch nicht ganz weiß.

Eine der Maschinen hat bereits einen Sensor, der den Hauttyp bestimmt und dann die passende Beleuchtung vorschlägt. Im Menü der Geräte kann man weiter auswählen: wie die Klimaanlage arbeiten soll oder über das Duschkopfsymbol eine minütliche Wasserdampfbesprühung einstellen. Und beim Knopf mit der Blume wird einem ein Blumenwiesenduft zugepustet. Musik gibt es selbstverständlich auch, wobei sich das eher bei der Maximaldauer lohnt. Zwischen fünf und dreißig Minuten kann man in der Kistlerhofstraße buchen, mehr als eine halbe Stunde sind vom Gesetzgeber verboten.

Bevor jemand zum ersten Mal in die Raumkapsel steigt, legt Schmitt einen Fragebogen vor. "Wie lange können Sie sich im Frühsommer in Deutschland am Mittag bei wolkenlosem Himmel in der Sonne aufhalten, ohne einen Sonnenbrand zu bekommen?", ist eine Frage, oder die nach der Augenfarbe. "Wer helle Augen hat, hat meistens auch helle Haut", sagt Schmitt.

Die Kunden werden nach Hauttyp eingeteilt und Dosis und Länge dementsprechend empfohlen. Hauttyp eins, das sind Rothaarige mit sehr heller Haut, "90 Prozent sind Typ 3, Typ 4 sind Südländer und 5 und 6 Dunkelhäutige, da hatte ich sogar auch jemanden da bei der Eröffnung, aber die Frau war nur neugierig, was das für ein Geschäft ist". Seitdem beobachtet Schmitt die Münchner und ihre Bräunungsgewohnheiten. "Die meisten kommen in der Rush-Hour am Abend, und am allermeisten kommen am Sonntag." Im Sommer kämen viele eher morgens, im Herbst nachmittags. Und im Winter?

Solarium 111 in der Kistlerhofstraße 111

Mit ergonomisch geformte Liegen samt Musik- und Duftprogramm werben Sonnenstudios wie das in der Kistlerhofstraße um Kunden.

(Foto: Florian Peljak)

"Ich habe früher auch gedacht, dass im Winter mehr Kunden kommen, stimmt aber nicht." Die Sommer- und die Winterkundschaft sei ganz unterschiedlich. Viele, auch sie selbst, wollen im Sommer braun sein, deshalb der Gang ins Studio. "Boomzeit ist das Frühjahr", sagt Schmitt.

Die nächste Kundin betritt den Laden, sie sagt: "Einmal bitte Sonne. Diese Jahreszeit ist für mich der Horror." Gut, sie kommt aus Sao Paolo und ist Halbbrasilianerin. "Mir fehlt auch die Wärme." Und die gibt es ja beim kurzen UV-Flug in der Raumkapsel dazu. Sie kommt einmal im Monat. "Unsere Kunden sind zwischen 18 und 80", sagt Schmitt, unter 18 darf man kein Solarium nutzen. "Viele kommen auch aus medizinischen Gründen, gerade ältere Kunden." Ärzte würden bei Arthrose Lichtbehandlungen empfehlen.

Früher seien Solarien ein "totales Boomgeschäft gewesen", sagt Schmitt, "da waren die Gesundheitsrisiken nicht so bekannt". Heute sei die Technik aber eben viel weiter und das Bewusstsein der Kunden auch. Von den vielen Selbstbedienungsstudios von früher sind kaum welche übrig. "In München gibt es gar keine mehr", sagt Schmitt. Generell ist der Markt laut Bundesfachverband Besonnung stabil. Mehr als 3400 Sonnenstudios gebe es deutschlandweit und die erwirtschafteten einen Umsatz von einer Milliarde Euro jährlich, "Tendenz steigend". Eine repräsentative Umfrage des Dermatologenvereins ADP besagt, dass die Kunden sich von einem Besuch in den Studios vor allem Entspannung und körperliche Attraktivität versprechen.

Die Dame mit den rotgefärbten Haaren kommt aus ihrer Kabine. "Ein extremes Wohlgefühl", sagt sie. Sie bekomme weiche Haut, und so ein leichter Teint, der täte ihr einfach so gut. Sie kommt einmal alle zwei Wochen. Die rothaarige Frau verabschiedet sich mit dem Satz: "Ich komme gerade quasi aus dem Urlaub."

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