Komplizierte Essenseinladungen:Wir haben es satt

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Die Kochkünste des Gastgebers angemessen zu loben, kann anstrengend sein. (Foto: Fred & Friends)

Sie sind zum Essen eingeladen? Pech gehabt. Bekocht zu werden, ist nämlich längst kein reines Vergnügen mehr. Ein Brief an den Gastgeber aus gegebenem Anlass.

Von Hilmar Klute

Lieber Freund,

Zunächst einmal: vielen Dank für Deine Einladung! Ich habe in den vergangenen Tagen alle infrage kommenden Restaurants in der Stadt angerufen, um noch einen Tisch für Silvester zu reservieren. Da geht nichts mehr, alles ausgebucht seit August. Also: Ich komme auf jeden Fall zu Dir. Ich bringe nichts mit, keinen Wein, keinen Käse, kein Kochbuch, denn andernfalls könnte ich ja auch gleich das komplette Essen mitbringen. Gäste, die mit Nahrungs-Präsenten hinterrücks Einfluss auf die Speisenfolge nehmen möchten, sollen auf Studentenpartys gehen oder gleich zu Hause bleiben.

Wer kocht, ist der Herrscher über alle Zutaten und Begleitgetränke, der Gast soll sich fügen und seine Rechte als Gast in Anspruch nehmen - über diese alte Regel ist ja auch schon sehr viel Kluges und noch mehr Dummes geschrieben worden.

Trotzdem habe ich eine Bitte, nein, eine Forderung, ach was, es ist eigentlich eine Bedingung: Mach bitte keine Umstände. Sei um Himmels willen keiner von den Gastgebern, die ein entspanntes feiertägliches Abendessen zu einem kulinarischen Großereignis hochkochen, vor dem man sitzt wie bei einem André-Heller-Spektakel - gefangen in einem unauflöslichen Gefühlsgeflecht aus Ehrfurcht und Peinlichkeit. Tu in das Essen rein, was Du willst, aber erklär es mir nicht.

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Sag bitte nicht, dass Du ein besonderes Olivenöl benutzt hast, das nur auf Paxi gepresst wird und dessen Verwendung irgendwie auch eine Solidaritätsadresse an das geschundene Griechenland ist. Erklär bitte nicht, dass Du die Pasta (Vorspeise) mit dem australischen Mineralwasser Cloud Juice weich gemacht hast, ein Wasser, das reiner sei, als es die Trinkwasserverordnung der Weltgesundheitsorganisation vorschreibt. Und versteh bitte, dass ich mich nicht unterhalten fühle, wenn Du mir die Dose "Le Saunier de Camargue" unter die Nase hältst mit der Auskunft, dass dieses Salz so mild ist, dass es kaum zu schmecken ist. Ich würde Dich nur blöd fragen, warum nimmst Du dann nicht ein anständiges Salz?

Vor allem aber: Schweig bitte vom Wein.

Vor einiger Zeit lud ein befreundetes Ehepaar zum Essen ein, und als die Rede auf den Wein kam, sagte die Hausherrin: "Wir bewegen uns weintechnisch langsam von Frankreich nach Italien rüber." Es war sofort eine allgemeine Beklemmung spürbar, weil aus diesem Satz ein unmissverständlicher Appell an das Kennertum sprach: Wenn eure Zungen auch nur halbwegs geschult sind, müsstet ihr bei jedem Wein, den ich öffne, zumindest erahnen, aus welcher Region seine Rebe stammt. Zum anderen wollte die Hausherrin anzeigen, dass ihr önologischer Sachverstand so ausgeprägt ist, dass wir uns ohne Sorge ihrer Reiseleitung auf der geschmacklichen Optimierungsfahrt Richtung Trentino anvertrauen können.

Vielleicht ist das ein bisschen überspannt gesehen. Aber ich will Dir, lieber Gastgeber, nur verdeutlichen, dass private Essenseinladungen immer häufiger zum ostentativen Vorzeigen der eigenen Geschmacksverfeinerung genutzt werden. Wer heutzutage Gäste einlädt, will sie nicht mit einer kleinen liebevoll zubereiteten Mahlzeit erfreuen, sondern mit einem auf hoher kultureller Flamme gekochten Gericht überwältigen. In viele Wohnzimmer tritt man mittlerweile ein wie in ein Sternerestaurant: Die Tische sind weiß gedeckt, das Besteck ist so angeordnet, dass es die Speisefolge bis zum Dessert (gekerbter Löffel) vorskizziert, und der Rotwein schwiemelt in einem Dekantierer vor sich hin. Auf sparsame Flamme gestellte Rechauds, Zangen und Nadeln für die Meeresfrüchte-Vorspeise lassen ahnen, dass es in den nächsten drei Stunden für alle Beteiligten nicht ganz einfach werden wird.

Man setzt sich an diese Tische auch eher unentspannt, weil man weiß, dass der Gastgeber nicht einfach aufträgt und guten Appetit wünscht. Nein, was nun folgt, ist ein Lehrgang in gutem Essen, gehobenem Lebensstil sowie die bekundete Abkehr von aller naiven und kenntnislosen Schlemmerei. Die marinierte Bekassine, das in asiatischer Manier zubereitete schwäbisch-hällische Landschwein werden mit ihrer ganzen Biografie vorgestellt. In schmallippigem Ernst betont der Gastgeber, dass er nur Produkte verwenden würde, die aus einer Region kommen, in der ein ehrliches Fleischerhandwerk gepflegt wird und keine Östrogene gespritzt werden.

Früher taten wir irgendwo Zutaten rein, heute verwenden wir Produkte. Wenn Du, lieber Gastgeber, auch Produkte in der Küche hast, lass sie Dir patentieren. Ich will abends nichts von Produkten hören, das klingt so nach Vertreterbesuch.

Lieber Gastgeber, ich freue mich wirklich über Deine Silvester-Einladung. Und ich komme auf jeden Fall. Hast Du eigentlich auch eine hyperoptimierte Küche? Eine aus dem Haus Grattarola vielleicht mit einer Arbeitsfläche aus Eukalyptusholz, die einfach nur aus einem horizontalen Brett besteht, das auf ein vertikales Brett gestellt wird? Und Du und Deine Partnerin, Ihr habt zwei Nächte lang nicht geschlafen, weil auch die Einbauküche Plana Style Line in der engeren Auswahl war, deren Natursteinplatte vielleicht besser ist, wenn man viel mit Tranchiermessern arbeitet?

Wenn dem so ist, behaltet es für Euch. Auch den Preis. Vor allem den Preis. Es gibt inzwischen zu viele Menschen, die sich Küchen für 30.000 Euro in die Wohnung stellen, nur um sich selbst das Gefühl zu geben, sie könnten mit einem kostspieligen Upgrade ihrer Lebensverhältnisse dem Tod entkommen. Oder dem Prekariat. Vermutlich sind die hochgejazzten Küchen nur der Ausdruck einer tiefen Angst, an jenen Rand der Mittelschicht zu geraten, der laut Statistik langsam wegbricht. Man will sich wegkochen von der Lidl-Gesellschaft, ist es das? Oder ist das bloß Küchenpsychologie?

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Erinnern wir uns einmal: Es gab Zeiten, da wurde in Deutschland nicht besonders viel Wert auf feine Küche gelegt. Wenn Gäste kamen, hat man schnell Tomaten mit Schmonzes gefüllt, Gurken gezackt und Eier geviertelt; fade Käsewürfel gingen Zahnstocher-Gemeinschaften mit Mandarinenschnitzen ein, und der Wein war eher lieblich.

Aber eines Tages kam Wolfram Siebeck, kippte den Deutschen die Eintöpfe vor die Füße und zischte: Kocht mal menschenwürdig! Seht euch bitte die Südfranzosen an. Die hauen sich vier Nierchen in die Pfanne, streuen ein paar Kräuter dazu, machen eine Flasche Landwein auf und fertig ist die Douceur de vivre.

Danach schlüpften tausend Köche aus dem Ei, einer feiner als der andere, und dieses Land wurde zu einem Land der Gourmets und kreativen Ausprobierer. Alle machten was mit frischen Produkten, die deutschen Regionen waren plötzlich nicht mehr spießige Provinz, sondern zuverlässige und ehrliche Fleischlieferanten, und die gerissensten unter den Köchen boten in Kaufhäusern und eigenen Läden ihre Produktpaletten an.

Die Deutschen waren wieder auf den Geschmack gekommen, und sie waren offen für ganz viel Neues: für die postmoderne Proletenküche eines Jamie Oliver ebenso wie für die Molekularküche des Katalanen Ferran Adrià, in dessen Restaurant El Bulli sich Menschen sieben Jahre im Voraus anmeldeten, um drei Stunden lang dematerialisierte Avocados aus Reagenzgläsern einzuatmen.

Innerhalb kurzer Zeit haben wir Deutschen uns eine neue Küchenkultur aufgebaut. Gut zu kochen war zuerst ein Spiel, das man verlegen lächelnd ausprobierte, dann wurde es zur Passion und geriet schließlich zu einer fixen Idee. Wohin man seither guckt, überall werden wir daran erinnert, was wir uns kulinarisch errungen haben.

Auch möchte man so rasend gerne zeigen, dass man in fremden Ländern war und die dortige Küche kennengelernt hat. Die Erklärungen zu selbst gekochten Gerichten aus Schwellenländern oder Tigerstaaten sind besonders anstrengend, weil der Gastgeber einen mit geopolitischem Fachwissen überfordert. Man sitzt immer ein bisschen wie ein Depp da und überlegt, ob man überhaupt über die richtigen Worte verfügt, um das Essen und seine Symbolmacht angemessen zu würdigen.

Eine Vision: Wegen der wachsenden Bedeutung Chinas werden deutsche Gastgeber bald auch Hundemahlzeiten kochen und dazu einladen. Ein Themenessen, das die Tischgesellschaft spalten könnte, besonders wenn Hundebesitzer eingeladen sind.

Lieber Gastgeber, es wäre sehr angenehm, wenn ich beim Lob Deiner Kochkunst mit den üblichen, unoriginellen, aber ehrlich gemeinten Phrasen auskommen könnte. Das Jahr war voll mit Gelaber und Klugscheißereien, und zu seinem Ausklang möchte ich mich nicht mehr so furchtbar anstrengen müssen, um Deinen Kreationen auch sprachlich gerecht zu werden.

Andererseits kann ich ja wohl nicht sagen, ach, das schmeckt aber lecker, wenn Du für 200 Euro eine südfranzösische Wildschwein-Daube gezaubert hast. Denn als Kenner dieser französischen Schmorgerichte weiß ich, dass Du bereits 48 Stunden vor meinem Eintreffen die wichtigsten Produkte zusammengemengt, in Rotwein eingelegt und mit einem Bouquet Garni, das womöglich aus einer sehr armen Gemüsebauernregion kommt, gekrönt hast.

Wenn es nach mir geht, muss ich gar nicht mit Jakobsmuscheln zum Champagner anfangen und den Gruß aus der Küche brauchst Du auch nicht zu schicken, wir sitzen doch schon in der Küche - unsere halbstündige Diskussion über den Kühlschrank mit gegen null tendierendem Co2-Ausstoß belegt das.

Wenn das Wildschwein aus Sardinien kommt, ist das gut für die Sarden, weil sie wieder etwas exportiert haben. Mir ist das aber egal, weil Wildschwein ohnehin nicht zu meinen Lieblingsspeisen zählt und meine Liebe zu den Sarden eher auf mittlerer Stufe köchelt. Deshalb helfen mir die ökopolitischen Erläuterungen zur Hauptspeise so viel wie dem Atheisten eine Einführung in die Theodizee. Ich will auch nicht mehr önologisch von Frankreich nach Italien wandern. Ich will gar nicht mehr wandern, sondern mich einfach hinsetzen und mich unterhalten, aber nicht über Essen.

Warum machst Du nicht ein Pilaw mit Kardamom, Sultaninen und Safran? Das geht schnell und muss nicht mit großer Geste serviert werden. Die wechselvolle Handelsgeschichte dieser morgenländischen Gewürze können wir kurz und unterhaltsam skizzieren.

Aber dann sprechen wir bitte wieder über die relevanten Themen: Suhrkamp, Syrien, Fitschen, meinetwegen auch über das Zeitungssterben. Wie ganz normale, wache Zeitgenossen, die wissen, dass ein gutes Essen zum Jahresausklang eine schöne Veranstaltung ist, die Menschen für ein paar Stunden elegant verbindet. So viel im Voraus. Ich freue mich auf den Abend, danke für die Einladung. Ich komme ganz bestimmt.

Dein Gast

© SZ vom 29.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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