Innenarchitektur:Wie aus 3 ZKB sechs Räume werden

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Eine Herausforderung in einer kleinen Wohnung: Wie schafft man Platz für ein zweites Kinderzimmer? (Foto: SZ)

Was tun, wenn die Wohnung zu klein, aber ein Umzug zu teuer ist? Einrichterin Sabine Stiller berät Familien, die in beengten Verhältnissen wohnen. Dabei verlegt sie auch schon mal den Esstisch ins Schlafzimmer der Eltern.

Von Angelika Slavik

Ach, das Kind! Es ist das hübscheste Baby der Welt, das steht außer Frage, zumindest so lange, bis man ein zweites kriegt. Dann hat man die zwei hübschesten Geschöpfe auf Erden um sich, toll. So schön, man kann den Blick eigentlich kaum abwenden. Sollte man lieber auch nicht. Denn die Realität in vielen deutschen Wohnungen lautet: Wenn die Kinder kommen, nimmt der Stil Reißaus.

Die Vier-Zimmer-Wohnung zum Beispiel, in der sich das Doppelverdiener-Pärchen beim Weinabend gerade noch Gedanken darüber gemacht hatte, ob man jetzt nicht mal in einen jungen Künstler investieren sollte, schließlich ist da ja noch diese freie Wand hinter der Couch: Exakt diese Wohnung mit all ihrem ästhetischen Potenzial platzt jetzt aus allen Nähten.

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Wo Kinder sind, da sind nämlich auch Kinderklamotten und Schlittschuhe, Schwimmtiere, Plüschbären, Autos zum Aufziehen, Autos zum Draufsitzen, Bücher zum Vorlesen, Bücher zum Ausmalen. Fußbälle, zwingend mehrere. Irgendwann wird aus dem Arbeitszimmer ein zweites Kinderzimmer, weswegen der Esstisch fortan nicht mehr von Blumen geschmückt wird oder von Kerzen, sondern von Steuerbelegen und Das-muss-man-noch-zahlen-Stapeln. Familie, das ist eine schöne Sache, aber es bedeutet für die meisten Menschen auch Platzmangel und Leben in einer ästhetischen Hölle.

Muss das sein?

Nein, findet die Hamburger Inneneinrichterin Sabine Stiller. Die 48-Jährige hat sich auf Familien spezialisiert, die sich genau in dieser Situation befinden: Menschen, die das Gefühl haben, sie müssten eigentlich umziehen, weil ihre Wohnung zu klein geworden ist, um alle Bedürfnisse der Familie zu erfüllen.

"4 Zimmer 6 Räume" heißt ihre Firma, und das beschreibt auch die Idee, mit der Stiller dem Platzproblem begegnet: Sie trennt die verschiedenen Funktionen einer Wohnung von den Zimmern, die ihnen üblicherweise zugeteilt werden. "Die klassische Aufteilung mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, Esszimmer, Kinderzimmer hat mit dem realen Leben nichts zu tun", sagt sie. Weil aber die meisten Menschen beim Einrichten in konventionellen Kategorien denken, werde der vorhandene Platz nicht so ausgenutzt, wie es den Bedürfnissen der Bewohner entsprechen würde. Womit sich gleich die Frage stellt: Denken wir vielleicht zu spießig, um richtig gut zu wohnen?

Stiller jedenfalls geht ungewöhnliche Wege und verlegt dazu auch schon mal den Esstisch ins Schlafzimmer der Eltern. "Der entscheidende Punkt ist immer: Wann wird welcher Raum gebraucht?", sagt sie. Tatsächlich ist in konventionell geplanten Wohnungen das Schlafzimmer während des Tages vor allem eine ungenutzte Fläche.

580 Euro für ein Konzept mit Grundrissplanung

Stiller bringt einfach in einem solchen Zimmer noch eine andere Funktion unter, die nach allen Erfahrungswerten nur während des Tages gebraucht wird. Im konkreten Beispiel ist das der Essbereich. "Natürlich grenzt man diese beiden Themen voneinander ab, zum Beispiel mit einem Vorhang. Das gibt dem Zimmer Atmosphäre, und niemand muss beim Essen auf zerwühlte Laken schauen", sagt Stiller. Manchmal tauscht sie auch, macht aus der Küche ein zusätzliches Kinderzimmer und verlegt Herd, Kühlschrank und Mikrowelle in einen Teil eines überdimensionierten Flurs. "Man muss sich ehrlich fragen: Was brauchen wir wirklich, und worauf könnten wir vielleicht verzichten?"

Wie schwer der Weg zur unkonventionellen Lösung sein kann, weiß Sabine Stiller aus eigener Erfahrung: Nach der Geburt ihres zweiten Kindes wurde es auch für ihre Familie im alten Zuhause eng. Aus den Erfahrungen, die sie bei der Neugestaltung machte, entstand ihr Geschäftsmodell. 580 Euro zahlen ihre Kunden heute für ein schriftliches Konzept mit der Grundrissplanung und einer Kostenschätzung für den Umbau - umsetzen müssen sie es bei diesem Tarif aber selbst. Viele lassen Stiller aber auch gleich die Baumaßnahmen organisieren, sie investieren dann entsprechend mehr Geld.

Wichtig sei, dass jeder in der Familie einen eigenen Bereich habe, sagt Stiller. Der müsse gar nicht besonders groß sein - und die Raumaufteilung könne sich öfter mal verändern. "Eltern können für eine bestimmte Zeit auch mit einer Schlafnische gut auskommen, wenn die Kinder mehr Platz brauchen." Wenn sie älter werden und immer weniger zu Hause sind, könne die Aufteilung neu überdacht werden.

Natürlich kann man der Enge auch mit einem Umzug begegnen. Aber vor allem in den Großstädten sind die Mietpreise schmerzhaft geworden, da bleiben viele lieber dort, wo sie schon sind und versuchen, sich mit dem begrenzten Raum zu arrangieren. Stiller findet das gut. "Es hat viele Vorteile, in der gewohnten Umgebung zu bleiben", findet sie. Man kenne die umliegenden Geschäfte und die Nachbarn, auch die Kinder könnten in der gewohnten Umgebung bleiben. Zudem sei ohnedies nicht gesagt, dass ein Umzug in ein größeres Heim auch bedeute, dass sich die Platzprobleme erledigen würden. "Ob man genügend Platz hat oder nicht, dafür spielt die Quadratmeterzahl nur eine untergeordnete Rolle", glaubt Stiller.

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Wer an den Bedürfnissen der Familie vorbei einrichte, stehe bald wieder vor dem alten Dilemma.

Tatsächlich hat sich auch die Vorstellung davon, was "genügend Platz" bedeutet, verändert. Im Durchschnitt bewohnt heute jeder Mensch in Deutschland ungefähr 46,5 Quadratmeter. Vor 25 Jahren waren es noch 35 Quadratmeter, also deutlich weniger. Hinzu kommt: Viele der Dinge, welche die meisten Menschen besitzen, benötigen heute viel weniger Platz als in früheren Tagen. Statt sich das Wohnzimmer mit einem Röhrenfernseher vollzustellen, hängt ein Flachbildschirm an der Wand. Statt DVDs und CDs in meterhohen Regalen zu sammeln, streamen immer mehr Menschen Filme und Musik aus dem Internet. Wer möchte, kann das wandfüllende Bücherregal durch ein kaum 15 mal 20 Zentimeter großes Gerät ersetzen. Wieso also haben wir so viel Zeug?

In einer Stadt wie Tokio zum Beispiel erreichen die Mietpreise noch ganz andere Dimensionen als in Deutschland. Das hat den Trend zu Mikroapartments verstärkt. In Japans Hauptstadt leben die Menschen im Schnitt auf weniger als 15 Quadratmetern. Das klingt nach einem Albtraumszenario - aber es ist eigentlich ein guter Anlass, einmal über die eigenen Platzbedürfnisse nachzudenken. Und über die Frage, wofür man diesen Platz wirklich opfern will.

"Entrümpeln sollte immer der erste Schritt sein, wenn man in der Wohnung etwas verändern will", sagt Sabine Stiller. Das löst nach ihrer Erfahrung oft schon einen beachtlichen Teil des Problems. Allerdings fällt es vielen Menschen schwer, sich von Dingen zu trennen, selbst wenn sie sie schon Jahre oder Jahrzehnte nicht mehr benutzen. Psychologen erklären das gerne damit, dass sich das Wertegerüst im Kopf nicht so schnell verändert hat wie die wirtschaftliche Wirklichkeit: Früher waren viele Güter knapp, da konnte es tatsächlich ein Vorteil sein, so viel wie möglich zu horten. Heute heißt die Geißel in den Industrieländern nicht Mangel, sondern Überfluss - und oft ist der wahre Luxus eine leere Schublade.

Wer sich also von Überflüssigem getrennt hat, kann sich überlegen, wo für das Übriggebliebene Platz sein soll - und die Expertin empfiehlt, beim Bemessen von Stauraum großzügig vorzugehen: "Es ist viel besser, in einem kleinen Zimmer zu sitzen, in dem man sich wohlfühlt, als in einem großen Raum voller Chaos." Stiller teilt deshalb in Zimmern gerne Bereiche ab, die als begehbarer Schrank dienen. So stellt sie etwa einen Kleiderschrank mitten in den Raum und trennt den so entstandenen Stauraum mit einem Vorhang oder einer Schiebetür. Die Schrankrückseite wird verkleidet, das Bett kann dann direkt daran geschoben werden. "Die Leute denken oft, es würde einen Raum größer machen, wenn man die Möbel alle an die Wand stellt", sagt sie. Das stimme aber nicht: Bereiche klar zu definieren helfe dabei, die Fläche ideal zu nutzen und sich dabei noch wohlzufühlen. Genauso sei es auch mit der Ordnung selbst: Sie sei erst dann möglich, wenn es ausreichend Aufbewahrungsflächen gebe.

Was übrigens bei der Planung oft vergessen wird: Ein Raum bietet nicht nur in der Fläche Platz, sondern auch in der Höhe - und diesen Platz gilt es zu entdecken. Nicht nur was die Planung von zusätzlichem Stauraum angeht. Wenn es noch Luft nach oben gibt, entstehen für alle anderen Bereiche im Zimmer neue Möglichkeiten: Gerade in Altbauten biete sich oft eine Zwischendecke an, mit deren Hilfe der Schlafbereich nach oben versetzt werden könne. Besonders für Kinder und Jugendliche sei das eine geeignete Lösung. "Die legen keinen Wert darauf, im Bett aufrecht stehen zu können", sagt Stiller. Viele Kinder fühlten sich in kleinen, höhlenartigen Räumen sogar besonders wohl. "Für Kinder haben Raumgrößen eine andere Bedeutung", erklärt Stiller. "Überlegen Sie doch mal, wie klein die sind."

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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