Freitag-Taschen aus Zürich:Auf Wiedervorlage

Lesezeit: 5 min

Mit der schlichten Fahrradtasche fing 1993 alles an, heute gibt es auch Laptop-Hüllen, Rucksäcke und Reisetaschen. (Foto: Roland Tännler)

Freitag-Taschen aus alten Lkw-Planen gab es schon, als noch keiner über Upcycling geredet hat. Weil das heute viele tun, ist die Züricher Firma sehr gefragt.

Von Isabel Pfaff, Zürich

Eine Fabrikhalle im Norden von Zürich, hier sieht es aus wie in einem Tischtennis-Trainingslager. Zwei riesige Platten, groß genug für mehrere Dutzend Rundlaufspieler - aber eben auch so groß wie die farbigen Häute eines Lkw. Um die Tische herum stapeln sich die alten Lasterplanen, zusammengefaltet und schmutzig: der Freitag-Rohstoff.

Die ersten Plastikplanen schleppten die Brüder Markus und Daniel Freitag noch in ihre Studenten-WG, säuberten sie in der Badewanne und vernähten sie dann mit alten Anschnallgurten und gebrauchten Fahrradschläuchen zu einer Tasche. Klassisches Upcycling, nur dass den Begriff damals, 1993, noch kaum jemand kannte. Ein Vierteljahrhundert später sind die Freitag-Taschen zu Klassikern geworden - und die Brüder, obwohl noch keine 50, so etwas wie die Urväter von nachhaltigem Design. Heute gibt es die Freitag-Tasche in mehr als 80 Varianten, zum Urmodell haben sich Laptop-Hüllen, Rucksäcke und Reisetaschen gesellt. Etwa 550 000 Taschen und Accessoires aus Recycling-Material stellt die Firma der Brüder im Jahr her.

Stilkritik Raumanzug
:Mission Mond-Mode

Die Nasa hat neue Raumanzüge: hochmoderne Kreationen, erschaffen zum Lustwandeln auf der südlichen Mondhalbkugel. Wurde aber auch Zeit.

Von Violetta Simon

Markus Freitag lotst seine Besucherin durch die Fabrik. Der ältere der Freitags ist ein zierlicher Mann mit Dreitagebart, dem man sein Alter von 49 Jahren nicht ansieht. Unterm Arm trägt er ein schlankes Notebook und ein Stiftetui, natürlich aus gebrauchter Plastikplane.

26 Jahre nach der Fertigung der ersten Freitag-Tasche erfolgen die meisten Arbeitsschritte noch immer hier in Zürich. Auf den Tischtennisplatten befreien Männer die riesigen Planen von Gurten und Beschlägen, dann zerlegen sie sie. Die Rohschnitte werden dann in großen Waschmaschinen gewaschen, später geht es zum Zuschnitt. Sogenannte "Bag Designer" holen mit Schablonen aus Plexiglas so viel Taschenteile wie möglich aus einer Plane heraus. Die zugeschnittenen Teile verlassen danach Zürich: Vernäht werden sie zum Großteil in Portugal, Tschechien, Bulgarien und Tunesien. Nach ihrer Rückkehr in die Fabrik gehen die fertigen Taschen von Zürich aus an Läden und Kunden.

Die Fabrik besteht in großen Teilen aus recyceltem Beton, eine Klimaanlage gibt es nicht

Markus Freitag führt in einen kahlen Raum. Wie überall in der Freitag-Fabrik sieht es auch hier aus wie in einem unfertigen Industriebau, doch das ist gewollt. Zusammen mit einigen Partnern haben die Freitag-Brüder das Gebäude entwerfen und bauen lassen, es hat aus ökologischen Gründen keine Klimaanlage und besteht zu großen Teilen aus recyceltem Beton. Auf dem Dach gibt es einen Tank für Regenwasser, aus dem die Planenwaschmaschinen ihr Wasser ziehen.

Das "Denken und Handeln in Kreisläufen", wie Markus Freitag es nennt, zieht sich bei den Brüdern wie ein roter Faden durchs Leben. Sie sind in einem alten Bauernhaus am Zürichsee aufgewachsen, das ihre Eltern selbst ausgebaut haben. "Wir haben über Jahre auf einer Baustelle gelebt", erzählt Freitag. Für die beiden Jungs, zwischen denen nur 14 Monate liegen, ist das ein Glück. Die Scheune voller Eisenschrott wird zum Lieblingsspielplatz, die Brüder bauen Seifenkisten und Flöße, basteln sich das Spielzeug, das sie nicht zu Weihnachten bekommen haben, einfach selbst. Aus Altem etwas Neues machen wird zum Grundsatz der Freitags.

Gleichzeitig werden die Brüder zu einem Team, das sich blind versteht. "Jeder macht einfach, was er gut kann, und so entsteht etwas", erklärt Markus Freitag. So ähnlich läuft es dann auch 1993. Markus ist inzwischen Dekorationsgestalter und studiert visuelle Kommunikation, sein Bruder hat eine Lehre als Grafiker gemacht. Täglich sieht Markus die Lkws auf der Zürcher Hardbrücke vorbeirasen. Als Radfahrer kennt er den Schmutz und die Nässe der Straßen nur zu gut. Zusammen mit seinem Bruder bringt er beides zusammen: Könnte man nicht eine wasserabweisende Fahrradtasche aus alten Lkw-Planen nähen? "Das war so ein Pingpong mit Dani." Kurz darauf gibt es den ersten Prototyp: F13 Top Cat. Man kann diese Ur-Freitag-Tasche immer noch kaufen, für 195 Euro, sie steht auch in Designmuseen in Zürich und New York.

Inzwischen ist die Firma der Brüder auf etwa 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsen. Der Umsatz, der nicht veröffentlicht wird, bewegt sich Schätzungen zufolge im zweistelligen Millionenbereich. Kleinere Durststrecken habe es zwar ab und zu gegeben, sagt Markus Freitag, doch seit einigen Jahren laufe es richtig gut. Eine Folge des Zeitgeistes, der neu erwachten Klima- und Umweltbewegung? Markus Freitag überlegt. "Ich denke schon, dass uns das noch ein Stück bekannter gemacht hat." Er hat keinen Führerschein, ist viel mit dem Zug oder in der Tram unterwegs. "Und da sehe ich im Moment wieder viele coole, junge Leute mit unseren Produkten, das freut mich schon."

Design aus Deutschland
:German Style

Sharon Berkal will mit der Plattform "Haus Glanz" an die Bauhaus-Tradition anknüpfen: Sie verkauft gutes Design aus Deutschland.

Von Jan Kedves

Die Firmengründer führen den Laden wie ein Start-up. Alphatiere will hier keiner

Doch die zunehmende Größe ihrer Firma brachte für die Freitags auch Probleme mit sich. Zwar interessieren sie sich immer noch für gutes Design, für intelligente und gleichzeitig ökologische Lösungen. Vor einigen Jahren hatten sie zum Beispiel die Idee, auch Kleidung zu produzieren - nicht aus Recycling-Material, dafür aus Stoffen, die in Europa produziert werden und (bis auf die Knöpfe) vollständig kompostierbar sind. Seit 2014 sind die schlichten Kleidungsstücke aus Leinen, Hanf oder Modal auf dem Markt.

Das Problem der Brüder ist: Für das Management einer inzwischen mittelgroßen Firma kann sich keiner der beiden erwärmen. "Wir führen lieber indirekt", sagt Markus Freitag. Über die Jahre haben sie zahlreiche Prinzipien erarbeitet, die ausdrücken, was genau Freitag ist, wie Freitag-Design aussieht, welche Handschrift Freitag-Veranstaltungen tragen sollen. Was aber gar nicht ihr Ding sei, erklärt Markus Freitag, sind Top-down-Entscheidungen. Die Chefkarte auszuspielen also. Er erzählt von Personalentscheidungen, die sich über Jahre hinzogen, weil keiner der Brüder Lust hatte, ein Machtwort zu sprechen.

Inzwischen müssen sie das nicht mehr. Freitag hat eine neue Struktur: Eine klassische Geschäftsführung gibt es nicht mehr, dafür organisiert sich der Betrieb in thematischen Kreisen, die sich aus verschiedenen Rollen zusammensetzen. Eine Rolle kann man für längere Zeit innehaben, sie kann einem aber auch von dem Kreis wieder weggenommen werden. Jeder Kreis entsendet einen Vertreter in den nächsthöheren Kreis. Ganz oben steht schließlich der "General Company Circle". Eine durchaus hierarchische Organisationsstruktur also, welche die Mitarbeiter aber bei Bedarf verändern können. Und die vor allem Macht nicht an Personen, sondern an Rollen bindet.

"Das sind die Prinzipien von Holacracy", sagt Markus Freitag. Nach diesem System, das der US-Amerikaner Brian Robertson entwickelt hat, arbeitet das Unternehmen der Brüder seit drei Jahren. Für sie war es der Weg, wie sie den Start-up-Geist ihrer Firma wiederherstellen und zugleich selbst in den Hintergrund treten können. Damit das funktioniert, braucht es neue Abläufe. Und so wundert man sich ein wenig, wenn man zum Beispiel den General Company Circle bei der Arbeit beobachtet: eine streng formalisierte Struktur, Raum für Diskussion gibt es kaum. Dafür keine Monologe von Chefinnen oder Abteilungsleitern, kein Alphatier, das die Runde dominiert. Einfach ein Arbeitstreffen, das die Sachebene nicht verlässt. Am Ende gibt es ein Protokoll, auf das jeder in der Firma -Zugriff hat.

Auch die Brüder haben in dem System Rollen inne, aber mit Geschäftsführung haben diese wenig zu tun. Markus Freitag ist zum Beispiel "Counsellor", gehört also zu dem Kreis, der die Aufgaben eines Verwaltungsrats übernimmt. Dazu ist er "Apostel", eine Art Repräsentant nach außen. Ihre Hauptrollen haben die beiden in einem Kreis namens "Incubator": Dort überlegen sie, was Freitag neben dem Kerngeschäft noch tun könnte. Eigentlich das alte Pingpong-Spiel, fast wie damals in der Studenten-WG.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMytheresa-Einkäuferin Tiffany Hsu
:Die Dauerkäuferin

Modehändler müssen vorausahnen, was die Kunden in der kommenden Saison tragen wollen. Ein Tag mit dem prominentesten Aushängeschild der Luxus-Boutique Mytheresa.

Von Silke Wichert

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: