Kolumne "In aller Munde":Wie schmeckt Natto?

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Natto besteht aus fermentierten Sojabohnen und zieht weißliche, speichelartige Fäden. (Foto: IMAGO/Pond5 Images)

Die in Reisstroh fermentierten Sojabohnen sind eine uralte japanische Spezialität. Hat das Trendfood bald auch einen festen Platz im deutschen Müsli?

Von Marten Rolff

In der westlichen Foodszene hat man sich in den letzten Jahren angewöhnt, nahezu alles Essbare, was aus Japan stammt, reflexartig als Segen zu preisen. Da ist natürlich etwas dran, die große kulinarische Tradition, die Handwerkskunst und die oft beispiellose Produktqualität machen es Köchen und Foodies auf der ganzen Welt leicht, in Japan nur das gelobte Land erkennen. Doch um bloß keinen Trend zu verpassen, wird selbstverständlich auch geheuchelt ("Ich liebe Matcha-Eis!") und übertrieben, dass es kracht.

Und es wird gerne verschwiegen, dass Japans zweifelsohne großartige Spezialitäten ob ihrer Fremdheit und Komplexität oft Jahrzehnte brauchten, um sich im Ausland durchzusetzen. Da unterscheiden sich Sushi, Dashi, Miso oder Ramen wenig. Ihr heutiger Erfolg lässt vergessen, wie absurd es (nicht nur) vor 25 Jahren gewesen wäre, einen schwäbischen oder holsteinischen Gastwirt zu bitten, er solle den Zander doch mal roh servieren und Brühe auf Basis von Algen und Bonitoflocken kochen.

Um es vorwegzunehmen: Es ist also trotz aller Japanbegeisterung eher unwahrscheinlich, dass Natto - das angeblich nächste große Ding - einen schnellen Siegeszug bei uns antreten und binnen Jahresfrist in deutschen Müslischalen oder im nächsten Krautsalat zu finden sein wird. Natto besteht aus gekochten Sojabohnen, die getrocknet und dann fermentiert werden (traditionell in Reisstroh, heute regeln das entsprechende Bakterienkulturen der Lebensmittelindustrie), um sie als Reistopping, Suppen- oder Salateinlage zu essen. Sie gelten als extrem gesund und werden auch von ersten europäischen Herstellern im ausgesuchten Lebensmittelhandel angepriesen.

Das Ferment erinnert optisch an Ridley Scotts Alien-Glibber

Wer zum ersten Mal ein Natto-Glas öffnet und harmlose Bohnen erwartet, muss allerdings stark sein. Der Inhalt sieht aus wie irgendwas zwischen Ridley Scotts Alien-Schleim, Halloween-Deko und den Gespinsten, die Lebensmittelmotten in Haferflockentüten weben. Verantwortlich für die weißlichen, speichelartigen Ziehfäden zwischen dem Wabbelsoja ist das Bakterium Bacillus subtilis, das die Proteine der Bohnen in Glutaminsäure (Polypeptide), also in Umami umwandelt. Dabei ebenfalls entstehender Ammoniak und Schwefelverbindungen verleihen dem Ferment ein Odeur, das eine prägnante Schnittmenge aus Frittenbude, Vulkanlandschaft und getragenen Tennissocken bildet.

Streng genommen ist Natto kein Trendfood, sondern eine der ältesten Speisen der japanischen Küche. Die vielen Legenden um ihre Entstehung drehen sich um frühmittelalterliche Kronprinzen, die Sojabohnen-Reste in Reisstroh aufbewahrten und so zufällig die Delikatesse entdeckten. Oder um Samurai, die ihre Schlachtensiege dem Umstand verdankten, dass sie ihre Krieger mit Natto fit machten. Tatsächlich gibt es zur gesundheitsfördernden Wirkung des Ferments viele Studien. Sein beispiellos hoher Anteil an Vitamin K2 soll den Knochenbau fördern. Zudem schreiben einige Forscher Natto eine vorbeugende Wirkung gegen Demenz, Krebs, Darmerkrankungen und Thrombose-Bildung zu.

Dafür aber müsste man sich erst an den fremden wie komplexen Geschmack gewöhnen. Vielleicht hilft eine alte Faustregel der Aromenlehre: Um wirklich zu beurteilen, ob einem etwas schmeckt, sollte man es 20 Mal probieren. Dranbleiben also! Natto hat salzige, süße und herzhafte Noten sowie Anklänge von Blauschimmelkäse. Als Anfänger sollte man es vorsichtig dosieren, zum Beispiel als Salatwürze. Auch einem Frühstücksshake aus Milch, Getreide, Nüssen und Früchten kann 1 EL Natto eine interessante Tiefe verleihen. Und wem es eher um die Gesundheit geht, sollte Natto nur in kalten Gerichten einsetzen, Hitze macht viele der empfindlichen Inhaltsstoffe kaputt.

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