Fashion Week London:Pflicht und Schatten

Lesezeit: 4 min

Glamour, ehrwürdige Tradition, abgefahrene Looks: Die Londoner Fashion Week gibt sich ungeschliffener als ihre Schwestern in Paris und Mailand - It-Girls von Alexa Chung bis Cara Delevingne sitzen in der ersten Reihe.

Von Anne Goebel, London

Als sich am zweiten Morgen der Londoner Modewoche das sogenannte It-Girl Alexa Chung auf Pythonsandalen aus ihrem Ledermantel schält, ergibt das in der gediegenen Banking Hall ein hübsches Bild. Das coole Instagram-Mädchen, umringt von Fotografen; links ein Saaldiener in Uniform, der mit einem antiquierten Teppichbesen feierlich den Bodenbelag der Marmorhalle säubert. In der vorderen Reihe hackt ein asiatischer Blogger mit Lidstrich und bizarren Bärenfellpuschen die ersten Erleuchtungen des Tages in seinen Tabletcomputer.

Glamour, ehrwürdige Tradition, abgefahrene Looks: Das ist die charakteristische Mischung der britischen Fashion Week, die sich gern ungeschliffener gibt als der direkt darauffolgende kontinentale Schauen-Reigen in Mailand und Paris. Die Position der rauen Kreativen hält London unangefochten, aber man sollte sich nicht täuschen lassen: Auch hier geht es darum, Mode zu verkaufen.

Solche Balancen zu wahren ist ein Kunststück, auf das sich die Stadt bestens versteht, und die Schau an diesem kalten Vormittag an der geschichtsträchtigen Cornhill Road ist dafür kein schlechtes Beispiel. Die junge Emilia Wickstead ist ein Liebling der Szene und zeigt ihre sehr schöne, sehr tragbare Kollektion in sanften Cremetönen, garniert mit einer Spur von Siebzigerjahre-Mustern und etwas Lackleder. Draußen irrlichtert derweil Londons düsterer Modeheld durch die Straßen: Taxis und Plakate werben für die große Alexander-McQueen-Retrospektive im März, mit dem verstörenden Foto eines bleichen Schattenwesens. Mode, heißt die Botschaft, soll nicht gefällig sein, sondern aufrütteln.

Herzogin Catherine ist ein großer Fan der Mode von Emilia Wickstead. (Foto: AFP)

Das passt zum Selbstbild der Stadt, wobei Emilia Wickstead sicher nichts dagegen einzuwenden hat, wenn die Herzogin von Cambridge wieder einige ihrer Stücke in den Buckingham Palace ordert. "K-Middy", wie Kate Middleton zärtlich genannt wird von Londoner Mädchen, die so dünn, gebräunt und reich sein möchten wie sie, ist ein Fan der Designerin.

Zelebrierte Gegensätze an der Themse

Klare Trends für Herbst/Winter 2015 lassen sich aus dem fünftägigen Schauen-Marathon zwischen Mayfair-Noblesse und alten Industriehallen kaum ablesen. Es geht an der Themse gerade um zelebrierte Gegensätze. Auf der einen Seite die experimentellen Arbeiten von Absolventen der Talentschmiede Central Saint Martins - auf der anderen die unverrückbaren Ikonen des Königreichs: Paul Smith etwa, der mit großen Karos und Nadelstreifen souverän sein Repertoire durchspielt.

Zu den Klassikern zählt inzwischen auch der Feuerkopf Vivienne Westwood mit ihrem festen Stilkanon. Und das robuste Outdoor-Label Hunter nahm sich Alasdhair Willis zur geglückten Verjüngungskur vor. So funktionieren, mit Hang zu Allwetterkluft, Maßgeschneidertem und Eigensinn, urbritische Marken - und sie kommen, was Smith und Hunter betrifft, zunehmend gut in Deutschland an.

Aber die spannende Mode spielt sich in London zwischen den Polen ab. Sie ist weder nur abgefahren noch bloß pragmatisch, aber das Pendel neigt sich gerade in Richtung Tragbarkeit. Dass jemand wie Christopher Bailey im Schlaf weiß, wie er seine Entwürfe an die Kundin bringt, versteht sich von selbst. Seit 14 Jahren hängt an dem 43-Jährigen das Wohl und Wehe von Burberry, die Schau des Luxuslabels gilt als Höhepunkt der Fashion Week.

Mode-Gang in der ersten Reihe: Maggie Gyllenhaal, Sam Smith, Cara Delevingne, Jourdan Dunn, Kate Moss, Mario Testino und Naomi Campbell bei Burberry Prorsum. (Foto: Getty Images for Burberry)

Kate Moss, ihre Modelkollegin Cara Delevingne und die Hollywoodschauspielerin Maggie Gyllenhaal sitzen aufgereiht in der Front Row; Naomi Campbell in Flokati-Jacke kommt zu spät, und der Starfotograf Mario Testino macht ihr Platz; die Sängerin Clare Maguire gibt die Rockröhre, und am Ende regnet Silberflitter von der Decke: wenn die millionenschwere Traditionsmarke einlädt, dann steigt in den Kensington Gardens die Bailey-Forever-Party.

"Die Show war die reinste Wonne!", ruft ein beglückter Besucher lange nachdem das letzte Model in schenkelhohen Patchwork-Stiefeln verschwunden ist. Die Wonnen für Fans der Burberry-Linie Prorsum im kommenden Herbst: Fransencapes, Flickenmäntel, bestickte Kleider mit Spiegelperlen. "Ich liebe unsere digitale Welt", sagt der umlagerte Bailey nach der Show, die er als Live-Stream auch im Netz übertragen ließ. Aber eben nicht nur. Seine "handcraft collection" zeige, dass es "erfüllend ist, sich für kunstvolle Dinge Zeit zu nehmen."

Wie ein Puzzle für Große

Das ist die gute Nachricht von Burberry an die Freunde von Räucherstäbchen und klirrendem Silberschmuck: Der Hippie-Trend der Paisleyblusen im kommenden Sommer wird in den Herbst verlängert. Andere Labels setzten in London andere Akzente, aber eine Gemeinsamkeit war doch auffallend: Die Designer konnten gar nicht mehr aufhören, mit Materialien zu spielen.

Wie bei einem Puzzle für Große wurde verknüpft und aneinandergelegt, Gestepptes mit flauschiger Wolle gekoppelt, Brokat mit Glanzleder, als sei es eine Offenbarung, dass man Kleidung nicht bloß in 3D am Rechner entwerfen, sondern tatsächlich aus Stoffen zusammennähen kann. Die Ergebnisse waren ganz unterschiedlich, mal von verhaltener Melancholie, mal von kindlicher Pseudo-Unschuld, als biete die Vergangenheit mehr Halt als die Gegenwart. Vielleicht auch nur deshalb, weil etwas Retro immer schön aussieht.

London Fashion Week

1 / 5
(Foto: Jack Taylor/AFP)

Wunderkind Jonathan Anderson überraschte mit einer Hommage an New-Wave-Ästhetik (links),...

London Fashion Week

2 / 5
(Foto: Suzanne Plunkett/Reuters)

...während bei Burberry Prorsum leichte Patchwork- und Indiana-Referenzen zu sehen waren.

London Fashion Week

3 / 5
(Foto: Ben A. Pruchnie/Getty Images)

Design: Paul Smith.

London Fashion Week

4 / 5
(Foto: Ian Gavan/Getty Images)

Design: Vivienne Westwood.

London Fashion Week

5 / 5
(Foto: Leon Neal/AFP)

Design: Jonathan Saunders.

Der britisch-türkische Designer Erdem Moralioğlu schickte seine Models in hochgegürteten Kleidern durch Salon-Interieurs als Laufstegkulisse. Peter Pilottos perfekt sitzende Ensembles in Weiß zierten bunte Muster, die an Mensch-ärgere-Dich-nicht-Figuren erinnern - der ironisch naive Twist einer umjubelten Kollektion, zu der das schöne Celebrity-Mädchen Amber Le Bon in der ersten Reihe aber nur seine übliche Schmollmiene aufsetzte.

Geometrische Op-Art-Spielereien bei Jonathan Saunders, Mary Katrantzou verwandelte viktorianische Muster in knisternde Kunststoff-Looks. Und die Newcomerin Simone Rocha ließ eine renaissancerote Tapisserie-Stola frappierend modern wirken, dazu Jeans und bis zehn Grad Celsius locker mit nackten Füßen in die Stilettos: So stöckeln die Tudor-Damen des 21. Jahrhunderts im nächsten Herbst durch die Bond Street.

Bleiben zum Schluss die hoch gehandelten Stars der Fashion Week, die am ungeduldigsten erwarteten Shows, was ja nicht immer mit echten Überraschungen belohnt wird. Gareth Pugh, nach dem Exil in Paris mit ungebrochener Hingabe an Gothic-Looks in die Heimat zurückgekehrt, wird vorerst genug damit zu tun haben, seine gewaltige Aufgabe zu meistern. Die Kritikerin Suzy Menkes erkor ihn nach einer vorhersehbar düsteren Präsentation zum Erben Alexander McQueens.

Halb königliche Wache, halb teuflische Amazone: Gareth Pugh mit gewohnt düsteren Gothic-Looks. (Foto: Getty Images)

Christopher Kane, Londons Wunderkind Nummer eins, dürfte mit dem Fokus auf unterkühlte Erotik, edle Taschen und Schuhe auch die erhofften Verkaufszahlen in seinem neuen Store an der sündteuren Mount Street im Blick gehabt haben.

Und JW Anderson, Wunderkind Nummer zwei, legte die beste Show von allen hin. Der gebürtige Nordire baute für seine smarte, präzise New-Wave-Hommage eine Kollektion aus Cord, gerüschten Blusen und geschoppten Stiefeln zusammen, von der man sich fragte, wie das um alles in der Welt eigentlich gut zusammen aussehen kann.

Es sah großartig und sehr gegenwärtig aus an diesem Februartag in London, Handel Street. Nächster Stopp: Mailand.

© SZ vom 26.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: