Die bayerischen Brauer, besonders die Münchner, sind ja schon stolz auf ihr Bier. Das zeigt sich nicht nur jedes Jahr kurz vor dem Oktoberfest, wenn die Braumeister ihre Kreationen bei einer Bierprobe wortreich anpreisen - mal als löwenstark, mal als umwerfend oder sonst wie besonders. Nur: Menschen wie der Münchner Biersommelier Holger Hahn können dem Geschmack des Wiesnbieres nur wenig abgewinnen. Wer an einer Bierverkostung mit Hahn teilnimmt, wird überrascht sein, welche Geschmacksrichtungen sich beim Brauprozess wirklich herstellen lassen.
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Das Motto lautet: Es muss nicht jedes Bier jedem schmecken
Craft-Bier ist für Bierkenner wie Hahn das Zauberwort. Wörtlich übersetzt bedeutet das nichts anderes als handwerklich gebrautes Bier. Nun ließe sich einwenden, dass dies auf jedes Bier zutrifft, auch auf Massenware. Aber es steckt weit mehr dahinter. Craft-Bier steht laut Hahn für Experimentierfreude und für eine ungeheure Vielfalt, die zunehmend beliebt wird. Biere mit Bananen- oder Himbeeraromen, schweres dunkles Gebräu, das geschmacklich eher an gezuckerten Speck erinnert, leicht saure oder extrem bittere Biere und und und. Das Motto der Craft-Brauer lautet: Es muss nicht immer alles allen schmecken, sonst wäre man ja wieder beim Massenbier. Und auch Sommelier Hahn sucht für seine Verkostungen eigens Biere aus, bei denen so mancher erst mal das Gesicht verzieht.
Weil viele Biertrinker vom Einheitsgeschmack genug hatten, ist in den USA in den Siebzigerjahren die Craft-Bier-Bewegung entstanden, in deren Zuge unzählige Kleinstbrauereien alte und neue Braukunst pflegen. Etwa 4000 Brauereien gibt es in den USA. Und glaubt man den Ende März veröffentlichten Angaben der Brewers Association, hat Craft-Bier inzwischen einen Marktanteil von zwölf Prozent des gesamten US-Bierabsatzes erreicht. Seit gut fünf Jahren wird auch hierzulande immer mehr über Craft-Bier geredet und geschrieben - und auch die Zahl der Betriebe wächst kontinuierlich, ob sie nun Buddelship heißen, Camba Bavaria, Crew Republic oder Ale-Mania.
Wie viele Craft-Bier-Brauereien es hierzulande gibt, lässt sich statistisch nicht genau erfassen. Nach Angaben des deutschen Brauerbundes ist die Zahl der Brauereien in Deutschland insgesamt in den vergangenen zehn Jahren um 107 Betriebe auf 1388 gestiegen. Gut die Hälfte davon seien sogenannte Mikrobrauereien mit einem Ausstoß von bis zu 1000 Hektoliter jährlich. Viele davon stellen aber auch konventionelle Biere her, weshalb es hierzulande keine belastbaren Angaben zum Marktanteil von Craft-Bier gibt. Dennoch nennt der Brauerbund als Hauptgrund für das Wachstum eben die wachsende Craft-Bier-Szene.
Ein Besuch in einem Laden in München-Schwabing, der sich auf Craft-Bier spezialisiert hat und in dem es 600 verschiedene Sorten zu kaufen gibt. Diese tragen zum Teil extravagante Namen wie "To Oel Wit is the new Black", "Molotov Lite", "Hop Gun" oder "Drunken Sailor Indian Pale Ale". Auch der Name des Ladens, Biervana, will sagen, dass Bierliebhaber hier glückselig werden sollen. Matthias Thieme, ein ehemaliger Microsoft-Manager, ist hier der Chef. Vor ein paar Jahren ist er ins Biergeschäft eingestiegen. Beim Craft-Bier, sagt Thieme, gebe es immer wieder Neues zu entdecken. So nimmt er jeden Monat immer wieder neue Biere in sein Sortiment auf.
Viele Craft-Brauer setzen auf spezielle Aromahopfen, die ihren Bieren sehr individuelle Noten verleihen. In anderen Ländern hingegen werden schon mal Rhabarber, Milchzucker oder andere Zusatzstoffe mitvergoren, die wegen des Reinheitsgebots in Deutschland jedoch nicht erlaubt sind.
Viele Jungbrauer wie zum Beispiel Phillip Roberts aus Düsseldorf halten deshalb nicht sonderlich viel von der 500 Jahre alten Vorschrift, die sie in ihren Möglichkeiten einschränkt. Absurd erscheint vor allem, dass Biere wie Milk Stout hier nicht Bier heißen dürfen, sofern sie in Deutschland hergestellt werden. Und je nach Bundesland, etwa in Bayern, ist sogar die Herstellung an sich verboten, während ein Import keinerlei Problem darstellt.
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Festhalten am Reinheitsgebot aus Angst vor dem Wettbewerb?
Phillip Roberts lässt sein "Onkel Bier" deshalb in Belgien brauen, um das Reinheitsgebot zu umgehen. Zusammen mit seiner Frau probiert der Unternehmensberater in der heimischen Küche neue Rezepte aus, bevor es in die Produktion geht. "Angst vor Wettbewerb" sei wohl ein Grund für das Festhalten am Reinheitsgebot, meint er. Und er finde es schade, dass etwa Aroma-Geber wie Bergamotte nicht erlaubt sind. Auch der Bonner Fritz Wülfing, der nach einer USA-Reise Anfang des Jahrtausends zu einem der Craft-Pioniere in Deutschland wurde und mit seinem Ale-Mania demnächst einen Ausstoß von 1000 Hektolitern jährlich anstrebt, hält das Reinheitsgebot für einen Marketing-Gag und für viel zu streng. "Was hat es zum Beispiel mit Reinheit zu tun, wenn man für Weizenbier keine untergärige Hefe verwenden darf?", fragt er.
Inzwischen stellen auch Traditionsbrauereien wie Schönramer in Oberbayern Craft-Bier her - das allerdings nach Reinheitsgebot. Und auch die großen Brauereien wie Beck's haben den Trend erkannt und werfen Craft-Bier-Sorten wie Amber Ale oder Pale Ale auf den Markt. Die kleinen Brauer sind allerdings nicht beunruhigt, dass die Konzerne das Geschäft an sich reißen. Denn ums Geschäft geht es den meisten gar nicht. Eher um den Spaß am Brauen - und die Freude am Genuss.