Darmstadt in der zweiten Liga:Eine Saison aus Feiertagen

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Darmstadts Phillip Tietz (li.) ist mit neun Treffern bester Schütze der Lilien. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Tabellenführer SV Darmstadt 98 hat im Aufstiegskampf die besten Chancen. Das verdankt der Klub seiner beeindruckenden Heimstärke, Christian-Streich-artigen Protagonisten und einem effektiven Fußball, der beinahe stur daherkommt.

Von Christoph Ruf

In der Rückrunde dieser Zweitliga-Saison, genauer gesagt am Samstag, dem 11. März, erlebte Carsten Wehlmann zum ersten Mal einen echten Christian-Streich-Moment. Der Trainer des SC Freiburg reagiert ja bis in die Haarspitzen panisch, sobald er den Eindruck hat, dass die Erfolge seiner Fußballmannschaft zu Erwartungshaltungen führen, die er für völlig überzogen hält. Und genau so erging es Wehlmann, Sportdirektor des SV Darmstadt 98, als er nach der 1:3-Niederlage in Bielefeld gefragt wurde, wie er das denn nun der Öffentlichkeit zu erklären gedenke: drei Spiel in Serie ohne Sieg. "Es hat mich überrascht, wie schnell da bei manchem Beobachter die Stimmung umgeschlagen war", sagt er rückblickend. Er sei nicht nur überrascht, sondern eher "schockiert" darüber gewesen, welcher Sound sich da in den Reporterfragen plötzlich Bahn brach.

Schließlich hatten seine Darmstädter Lilien vor jenem 1:1-Unentschieden gegen den Aufstiegskonkurrenten HSV und den beiden Niederlagen in Heidenheim und Bielefeld 18 Spiele lang kein Mal verloren. Und auch nach dem 1:3 auf der Bielefelder Alm war Wehlmann noch der Sportchef des amtierenden Tabellenführers des zweiten Liga. Überrascht hatten ihn die Fragen auch deshalb, weil Innen- und Außenwahrnehmung dabei so krass auseinanderlagen: "Uns hier ist immer bewusst", betont Wehlmann, "dass es nicht selbstverständlich ist, wenn Darmstadt 98 dort steht, wo es gerade steht." Zur Vergangenheit des Klubs gehören schließlich Jahrzehnte in den Spielklassen drei bis fünf. Zudem treten die Darmstädter mit einem Etat an, der deutlich unter dem der beiden ärgsten Aufstiegskonkurrenten, Heidenheim und Hamburger SV, liegt. Und natürlich auch unter dem von Klubs wie Hannover 96 oder dem 1. FC Nürnberg, den beiden prominenten Under-Performern der Liga.

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Natürlich ist die Bescheidenheit, mit der sich die Offiziellen der Lilien derzeit äußern, auch bewusstes Understatement - sie wollen sich nicht irgendwann vorhalten lassen müssen, dass sie den Mund zu voll genommen hätten. Andererseits muss sich der sachliche Hanseat Wehlmann, der immer wieder hört, er solle doch verbal "endlich mal einen raushauen", auch nicht verstellen, wenn er sagt, dass "jeder Spieltag, an dem wir so einen Tabellenplatz belegen, für uns ein Feiertag ist". Für Cheftrainer Torsten Lieberknecht, einen geerdeten Fußballpragmatiker, der bestens nach Darmstadt passt, verbietet sich Großsprecherei ohnehin von selbst.

Dabei besteht die laufende Saison fast ausschließlich aus Feiertagen für Darmstadt. Wie zuletzt sogar nach der erschütternden Zwei-Niederlagen-Serie belegen sie nach dem jüngsten 2:1-Sieg gegen Karlsruhe weiterhin Platz eins im Fußball-Unterhaus. Im Dreikampf um die beiden direkten Aufstiegsplätze haben sie die mit Abstand besten Karten. Der Abstand auf Platz vier beträgt sogar schon 14 Punkte - deshalb erscheint es fast unmöglich, dass Darmstadt am Ende der Saison nicht mindestens die Relegationsspiele bestreiten wird.

Effizienz in Zahlen: Zehn der 18 Saisonsiege gelangen Darmstadt mit nur einem Tor Unterschied

Zudem stellt das Team aus Hessen in dieser Spielzeit ein Muster an Konstanz dar. In Heimspielen, wo im kleinen engen Stadion viele Menschen lärmen, die schon gegen den FSV Frankfurt und den FV Bad Vilbel da waren, ist Darmstadt seit 17 Partien ungeschlagen. Und die Tabellenführung haben die Lilien seit dem zwölften Spieltag nicht mehr abgegeben.

Beständigkeit im engeren Sinne bilden die Darmstädter auch auf dem Rasen ab. Es gibt wohl keine andere Mannschaft im bezahlten Fußball, bei deren Spielen man so wenig merkt, wie gerade das Zwischenergebnis lautet. Ob nach früher eigener Führung, nach einem Gegentreffer zur Unzeit oder vor 49 500 Zuschauern beim DFB-Pokal-Achtelfinale in Frankfurt: Lieberknechts Spieler lassen sich nie und nirgends aus dem Konzept bringen und spulen immerzu ihren taktisch disziplinierten, laufintensiven Fußball ab, der sie so stark gemacht hat. Dieser Fußball ist nicht immer spektakulär, aber stets engagiert und unterhaltsam.

Und vor allem ist er effektiv: Zehn der 18 Saisonsiege gelangen Darmstadt mit nur einem Tor Unterschied, die beste Defensive der Liga mit nur 24 Gegentoren hat das Team ohnehin. Dass in Marcel Schuhen einer der besten Keeper der Liga im Tor steht, schadet sicher nicht. In der Offensive fällt Braydon Manu auf, auch Mathias Honsak, der lange verletzt war und dennoch in dieser Zeit ersetzt werden konnte, ist eine Klasse für sich in dieser Liga. Wie auch Angreifer Phillip Tietz, der oft auch dann herausragt, wenn er mal nicht trifft - wie in den vergangenen zwei Monaten, bis zu seinem Treffer zuletzt gegen den KSC.

Das 2:1 in diesem engen Derby war das nächste enge Resultat auf dem Weg zum Aufstieg. "Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch mal gerne schon zur Halbzeit 3:0 führen würde", sagt Wehlmann, aber er hat kein Problem mit all den knappen Siegen: "Das ist dann vielleicht auch kein Zufall mehr, sondern auch ein Reifeprozess, den wir spätestens seit Saisonbeginn feststellen." Damals, im September, hatten die Lilien am Betzenberg in Kaiserslautern 2:0 geführt und am Schluss mit Ach und Krach ein 3:3 geholt, weil die Lauterer gegen die damals noch ein wenig zu selbstgewissen Darmstädter drei Tore nachgelegt hatten: "Das war vielleicht ein Schlüsselerlebnis", meint Wehlmann, "danach kam das Spiel gegen Nürnberg und da haben wir trotz 2:0-Führung kein Stück nachgelassen, und das Spiel einfach konzentriert zu Ende gespielt."

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