HSV in der zweiten Liga:Das war's dann wohl

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Mach weiter, immer weiter: HSV-Coach Tim Walter. (Foto: Marcel von Fehrn/Imago)

Der Hamburger SV kann auch gegen Paderborn nicht gewinnen, ein direkter Aufstieg wird zunehmend unwahrscheinlich. Trainer Tim Walter versucht, eine mögliche Relegation als Erfolg zu verkaufen - Fans und Spieler dürfte diese Aussicht nicht begeistern.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Treue Besucher des Hamburger Volksparkstadions sind sich einig, dass die Performance besser ist denn je. Dynamisch sieht das aus, die Zuschauer sind begeistert vom Engagement und der Geradlinigkeit in den Aktionen, dazu ist ein wirklich bemerkenswerter Sinn für Rhythmus zu erkennen. Klar, die Kondition muss tendenziell als verbesserungswürdig eingestuft werden. Aber ist das verwunderlich bei so einem gewaltigen Hinterteil?

Ja, Dino Hermann, das blaue und voluminös geformte Maskottchen des Hamburger SV, liefert ab in dieser Saison, daran besteht kein Zweifel. Am Freitag hatte er jedoch einen kurzen Arbeitstag. Vor dem Spiel und während der Halbzeitpause hatte Dino Hermann dem Publikum ordentlich eingeheizt, doch nach dem Schlusspfiff war er nicht mehr auf dem Rasen aufzufinden. Um seinen Job muss einer der beliebtesten HSV-Mitarbeiter allerdings nicht fürchten. Nach so einem 2:2 zu Hause gegen den SC Paderborn gibt es nun mal nichts zu feiern - selbst wenn sich die Lage für den Traditionsklub am Sonntagabend dann doch nicht so trist darstellte, wie sie sich am Freitagabend abzuzeichnen schien.

Für den Paderborner Trainer Kwasniok sind Hamburg-Reisen das "Nonplusultra" in der zweiten Liga

Zunächst verpasste es der Tabellenführer Darmstadt 98 am Samstagabend, den direkten Aufstieg schon klarzumachen (0:3 gegen St. Pauli). Dann holte auch der Zweite, der 1. FC Heidenheim, am Sonntag nicht die erhofften drei Punkte, sondern lediglich einen Zähler (0:0 gegen Magdeburg). Der Rückstand des HSV auf Rang zwei beträgt deshalb weiter vier Zähler, nun allerdings bei nur noch drei ausstehenden Spielen - und bei der deutlich schlechteren Tordifferenz.

Es sieht also so aus, als ginge es für Hamburger in Relegation, was die Verantwortlichen und insbesondere der HSV-Coach in den vergangenen Wochen mit aller Vehemenz als Erfolg verkaufen wollten. Bei einer keinesfalls repräsentativen S-Bahn-Fahrt vom Volkspark in die Hamburger Innenstadt zeigt sich jedoch: Dieser Aussage stimmen circa null Prozent der in HSV-Devotionalien gekleideten Fahrgäste zu - warum sollten sie auch?

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Walter hat zuletzt vollmundig den Aufstieg versprochen und damit nicht Unerlaubtes getan, sondern lediglich unterstrichen, was ohnehin jeder denkt. Sogar der Paderborner Coach Lukas Kwasniok zeigte sich in dieser Sache am Freitagabend sehr transparent. "Der HSV", sagte er, "hat in der zweiten Liga grundsätzlich nichts verloren." Unter der Woche hatte Kwasniok die Reise nach Hamburg als "Nonplusultra" bezeichnet und dabei womöglich kurz daran gedacht, wie das wohl wäre, wenn man alle zwei Wochen vor 57 000 Zuschauern in einer EM-tauglichen Arena spielen darf - und das auch noch als Trainer einer Mannschaft, die mindestens das doppelte an Unterhalt kostet wie die eigene.

Tim Walter lebt sozusagen diesen Traum, doch als HSV-Coach jongliert er auch mit den Träumen und Sehnsüchten der stimmgewaltigen Anhänger. Und mit deren Nerven. Nicht nur, was den allgemeinen Ausgang der Saison anbelangt. Sondern auch während der einzelnen Partien. Der Freitagabend war dafür wieder ein illustres Beispiel: Kurz nach dem Anpfiff lief bereits ein Paderborner allein aufs Hamburger Tor zu, die weit aufgerückten HSV-Verteidiger waren nach einem Steilpass abgeschüttelt, Torwart Daniel Heuer Fernandes war kurz darauf umdribbelt, das Tor stand somit leer - bis Hamburgs Abwehrspieler Sebastian Schonlau mit einer Last-Second-Grätsche den First-Minute-Rückstand verhinderte.

"Das Glück ist uns nicht hold", sagte Walter über die Lage seines Teams

Walter bejubelte die Szene, als hätte sein Team gerade selbst einen Treffer erzielt, und nach dem Spiel lobte er geradezu euphorisch die Willenskraft, die dieser Rettungsaktion innewohnte. Schon richtig, aber: Man hätte gern gesehen, wohin die Augenbraue eines Carlo Ancelotti nach so einer Szene gesprungen wäre oder wie Pep Guardiola und Thomas Tuchel versucht hätten, ihre schäumenden Wutanfälle zu unterdrücken.

Last-Second-Grätsche verhindert First-Minute-Rückstand: HSV-Verteidiger Sebastian Schonlau (rechts) blockt den Schuss von Paderborns Sirlord Conteh- (Foto: Michael Taeger/Imago)

Derlei Vergleiche, so ungerecht sie wirken mögen, muss Zweitliga-Coach Walter aushalten. Er lässt eben anders spielen als die Norm - und er tut das ganz bewusst. Während andere Balance als oberste Priorität ansehen, gehört Risiko für Walter zu dem Offensivfußball, den er von seiner Mannschaft sehen will. In die Quere kommt ihm ausgerechnet die wichtigste aller Gesetzmäßigkeiten im Fußball: Jede noch so aufregende Spielidee steht und fällt nun mal damit, ob man verlässlich ein Tor mehr schießt als der Gegner.

"Das Glück ist uns nicht hold", sagte Walter und spielte damit auf eine Mischung aus individuellen Fehlern und vergebenen Torchancen an, die aus seiner Sicht maßgeblich für das Frühjahrstief des Teams sind. Konkret sieht die Lage so aus: Der HSV hat nur zwei der vergangenen acht Spiele gewonnen und die schlechteste Defensive im erweiterten Spitzenfeld der zweiten Liga. Im Spiel gegen giftige Paderborner, die vor ihrer Hamburg-Reise übrigens seit fünf Auswärtspartien ohne Sieg geblieben waren, zeigte der HSV erneut die ganze Spannbreite seiner Probleme - aber auch, wie es womöglich in der Saisonendphase besser laufen könnte.

Der Führungstreffer ging aufs Konto des Hamburger Stürmers Robert Glatzel, der den Angriff mit einem Dribbling selbst eingeleitet und nach einer Flanke von Flügelflitzer Jean-Luc Dompé vollendet hatte (39.). Ein seriöser Aufstiegsaspirant hätte darin womöglich die Möglichkeit gesehen, ein stabiles Sicherheitsnetz über die Defensive zu spannen, in dem sich der Gegner so lange verheddert, bis er an Konzentration und Kraft einbüßt. Der HSV fing sich vier Minuten später den Ausgleich ein - und konnte zu diesem Zeitpunkt froh sein, nach einer desolaten Anfangsviertelstunde nicht schon mit drei oder vier Treffern hinten zu liegen.

In der Vorsaison fühlte sich die Relegation wie ein Erfolg an - jetzt wäre das anders

In der zweiten Halbzeit präsentierte sich die Heimelf dann stabiler, auch wenn es schon einiges an Wohlwollen braucht, um den Auftritt - wie Walter - als "richtig toll" einzustufen. Spielmacher Sonny Kittel brachte den HSV erneut in Führung, nachdem er den Ball von einem unaufmerksamen Paderborner Verteidiger geklaut hatte (49.). Diese währte aber nur so lange, bis Miro Muheim, schon seit Wochen ein Sicherheitsrisiko in der Hamburger Abwehr, einen vermeidbaren Elfmeter verschuldete (73.). "Zwei Gegentore zu Hause sind zu viel", monierte Stürmer Glatzel: "Wir brauchen nicht darüber zu reden, ob wir Zweiter, Dritter oder Vierter werden. Wir müssen Spiele gewinnen." Und Kapitän Sebastian Schonlau sagte: "Wenn's nicht anders geht, dann nehmen wir die Relegation." Begeistert klang er bei dieser Aussicht nicht.

Dabei hatte Walter wenige Tage zuvor eine durchaus bemerkenswerte Aussage zum Thema Tabellenplatz getätigt. Sein Weg, so der HSV-Coach, habe den Klub ja überhaupt erst dahin gebracht, wo er aktuell steht. Ketzerische Rückfragen gab es auf der Pressekonferenz dazu nicht. Jeder weiß schließlich, dass der HSV nicht dort steht, wo er zu diesem Zeitpunkt der Saison stehen wollte und sollte.

Ein Blick ins Archiv zeigt: In der Vorsaison scheiterte die Walter-Elf in der Relegation, obwohl sich diese wie ein Zwischenerfolg anfühlte, weil sich der HSV seinerzeit mit einer Willensleistung im Endspurt noch den dritten Platz sichern konnte - hinter den beiden anderen Edelmarken FC Schalke 04 und Werder Bremen. Jetzt wäre das anders. Wirklich besser ist nur die Performance von Dino Hermann.

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