Zwei Mal Silber für den DLV:Zu zweit gegen Usain

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Nadine Kleinert stößt und gewinnt Silber, Jennifer Oeser läuft, fällt und gewinnt Silber - eine Initialzündug für eine aus deutscher Sicht erfolgreiche WM?

M. Farmbauer und T. Hummel

Bei der Ausbildung zur Bundespolizistin, so viel weiß nun die Nation, wird Abrollen geübt. Jennifer Oeser aus Brunsbüttel hat die Prüfungen bestanden, weshalb sie beim abschließenden 800-Meter-Lauf des WM-Siebenkampfs in Berlin nach etwa 380 Meter glasklar über die Bahn rollte. "Keine Ahnung, ob mir die Übungen wirklich geholfen haben", scherzte Oeser später.

Jennifer Oeser bedankt sich nach ihrer Silbermedaille beim Publikum. (Foto: Foto: dpa)

In diesem Moment, als sie im Pulk laufend von hinten einen Schlag gegen ihre Beine gespürt hatte, der sie stürzen ließ, nahm sie nur ein Raunen um sich herum war, wie sie erzählte. Das war auch kein Wunder, denn den deutschen Anhängern unter den 51.000 Zuschauern im Olympiastadion fuhr ein derartiger Schrecken in die Glieder, dass ihr Aufschrei wohl noch am Kilometer entfernten Brandenburger Tor zu hören war. Jennifer Oeser vom TSV Bayer Leverkusen, vor dem Rennen im Siebenkampf auf Platz drei liegend, noch mit Chancen auf Silber, lag auf dem Boden. Es schien vorbei.

"Ich habe vorher gedacht, mich kann nur noch ein Sturz stoppen. Und schwups, lag ich da", sollte die 25-Jährige danach erzählen. Doch weil sie schön abrollte, stand sie flugs wieder auf den Beinen und merkte, dass "die anderen nicht weit weggekommen waren". Also rannte sie hinterher. Begleitet von infernalischen Schreien der Zuschauer überholte sie fast im Sprint eine Läuferin nach der anderen - bis sie fast wieder ganz vorne im Feld war.

Als sie auf der Zielgeraden dann doch langsamer wurde, kaum mehr die Knie heben konnte, brüllte das Publikum, als sollte es die ganze Republik hören. Jennifer Oeser kam als Vierte ins Ziel, mehr als zwei Sekunden schneller als die mäßige Läuferin Kamila Chudzik aus Polen, die vorher Platz zwei inne hatte. Auf der Anzeigetafel stand kurz darauf: 2. Jennifer Oeser 6493 Pts. PB - persönliche Bestleistung.

Oeser zeigte in diesem Moment keine Regung, sie saß auf der blauen Bahn und atmete schwer. Anja Mächtig aus Neubrandenburg, die mit 6265 Punkten Neunte wurde, zog sie am Arm in die Höhe. Oeser war so erschöpft, dass sie eigentlich noch liegen bleiben wollte, aber Mächtig sagte: "Steh auf Jenny, Du musst Dich bedanken." Beim Publikum, das sie "400 Meter bis zu einem unheimlichen Traum getragen" hatte, wie Oeser es ausdrückte. Zur Silbermedaille hinter der britischen Weltmeisterin Jessica Ennis.

Auf der anderen Seite des Stadioninnenraums hatte Nadine Kleinert das Malheur und das gute Ende der deutschen Siebenkämpferin miterlebt. Sie stand vor ihrem letzten Versuch im Kugelstoßen, als das Publikum noch Jennifer Oeser huldigte. Sie riss die Arme ein paar Mal in die Höhe zum Zeichen: Hallo, ich bin noch mal dran. Der monströse Lärm im Stadion hielt an, doch ein Wunder konnte er nicht vollbringen.

Die 20,44 Meter der Neuseeländerin Valeri Vili waren einfach zu weit. Kleinert wusste das wohl, brachte in diesem letzten Versuch nichts mehr zustande, doch auch sie tanzte nun jubelnd umher: Mit 20,20 Meter hatte sie im dritten Durchgang die Kugel weiter gestoßen als jemals zuvor und damit den zweiten WM-Platz erklommen.

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Der Siebenkampf der Frauen ist eine extrem kräfteraubende Angelegenheit. Doch selbst ganz am Ende haben die Athletinnen noch Energie: zum Jubeln.

Zwei Silbermedaillen binnen zweier Minuten - das deutsche Publikum feierte die Erfolge angesichts der düsteren Prognosen vor der WM enthusiastisch und forderte zunächst sogar mit wütenden Pfiffen eine Fortsetzung der Ehrenrunden von Kugelstoßerinnen und Siebenkämpferinnen, obwohl vor der Haupttribüne schon Usain Bolt auf seinen Wunderlauf wartete.

"Ich hab nicht viel vom Wettkampf miterlebt", sagte die 33-jährige Kleinert später, "es war wie auf einer Welle, einfach nur geil." Nach der schwachen Qualifikation am Vormittag hatte sie am Abend alle Energie auf den ersten Versuch konzentriert - und die Taktik ging auf. Schon mit dem ersten Stoß stellte sie ihre eigene Bestleistung von 20,06 Meter aus dem Jahr 2005 ein.

Das schien sie mit derart viel Glückshormonen zu überschütten, dass sie den wohl besten Wettkampf ihrer ohnehin erfolgreichen Karriere zeigte. Es war das dritte WM-Silber für die Magdeburgerin, Olympia 2004 hatte sie ebenfalls als Zweite beendet. Dass es auch diesmal nicht zum ganz großen Triumph reichen würde, daran bestand angesichts Vilis Stärke kaum ein Zweifel. Umso mehr freute sich Kleinert über den neuerlichen zweiten Platz.

Am ersten Wochenende haben sich damit für den Deutschen Leichtathletik-Verband mehr Wünsche erfüllt, als selbst große Optimisten vor der WM prophezeiten. Schon vor der Doppel-Feier am Sonntagabend hatte ja Kugelstoßer Ralf Bartels am WM-Eröffnungstag Bronze gewonnen.

Bundestrainer Jürgen Mallow hatte noch am Samstag daran erinnert, dass bei Olympia in Peking viele Athleten "der Situation nicht gewachsen waren", was sich in der Minusbilanz von nur einer Bronzemedaille niederschlug. Er sprach die Hoffnung aus, dass die Athleten bei dieser WM vor eigenem Publikum die Herausforderung annähmen und an ihre Leistungsgrenzen gingen.

Nun stieß Bartels persönliche Bestweite, Kleinert ebenfalls. Oeser steigerte ihre Punktzahl im Siebenkampf um 51 Zähler, in fast allen Disziplinen näherte sie sich ihrer Bestmarken, im Kugelstoßen (15,21 Meter) und über 200 Meter (24,30 Sekunden) verbesserte sie sich sogar. Und eigentlich muss man ihre Bestzeit über 800 Meter nun zweimal angeben. Einmal 800 Meter Laufen, und einmal 800 Meter Laufen mit einmal Abrollen.

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