Alexander Zverev bei den Australian Open:Er ist zurück - und hat sich verändert

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Abwechslung der netten Art: Mit dem früheren Basketballer Dirk Nowitzki schlug Alexander Zverev in Melbourne einige Bälle, dann posierten sie für das obligatorische Selfie. (Foto: Kelly Defina/Getty Images)

Nachdenklich, ruhig, besonnen: Deutschlands bester Tennisprofi versucht in Melbourne, seine schwere Verletzung hinter sich zu lassen - die Zeit ohne Tennis hat bei ihm einen Lernprozess in Gang gesetzt.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Um 12 Uhr an diesem Samstag begann mal wieder jenes Prozedere, das "Media Day" genannt wird. Warum die Aneinanderreihung der Pressekonferenzen mit auserwählten Akteuren zwei Tage vor Turnierstart noch nicht mit einem Sponsorennamen versehen ist, mag zwar verwundern bei diesen Australian Open, die ja radikal durchvermarktet sind. Der Kids Day, der zeitgleich auch an diesem herrlich heißen Sommertag in Melbourne stattfand, heißt zum Beispiel Kids Tennis Day presented by Emirates. Aber der Medientag heißt wirklich nur: Medientag. Verrückt eigentlich.

Den Anfang im Main Interview Room machte der Australier Alex De Minaur, die Nummer 24 der Weltrangliste, der in seiner Heimat sehr beliebt ist, weil er in Spielweise und Auftreten an den früheren Kämpfer und Weltranglisten-Ersten Lleyton Hewitt erinnert. "Was ich ultimativ in meinem Leben erreichen möchte, ist, dass ich das meiste aus mir raushole", sagte De Minaur vorbildlich. Im Viertel- und Halbstundentakt wurde in Summe ein Dutzend Profis in den kinosaalhaften Raum geführt. Titelverteidiger Rafael Nadal, nun erstmals Vater, sagte wie immer, er gehe mit Demut in die erste Runde, der alte Tiefstapler.

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Doch genau das ist bei den diesjährigen Australian Open möglich. Was für ein verheerendes Signal.

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Der Grieche Stefanos Tsitsipas schwärmte davon, wie er sich gerne mit anderen Kulturen beschäftige, die japanische habe es ihm derzeit angetan. Auch Vorjahresfinalistin Danielle Collins aus den USA schaute vorbei und meinte, sie sei nicht abergläubisch, in Melbourne aber gehe sie stets in den selben Coffee Shop. Jeder hatte eine eigene kleine Geschichte zu erzählen, und gemeinhin wäre auch der Deutsche Alexander Zverev im wichtigsten Pressekonferenzraum gesessen. Diesmal nicht. Diesmal saß er in Room 2.

Das wäre früher vielleicht oder sehr wahrscheinlich so nicht vorgekommen, dass ihm einer der kleineren Räume zugewiesen worden wäre, was im Übrigen kein Problem darstellte, weder für ihn noch für die Reporter. Aber es war eben bezeichnend dafür, dass Zverev sich vorerst neu einreihen muss. Der 3. Juni 2022 hatte sein Profidasein verändert wie kein anderer Tag in seiner Karriere. Das machte er selbst klar.

Zverev muss sich nach einer langen Pause erst wieder einreihen in Melbourne

"In Paris hätte ich die French Open gewinnen und die Nummer eins der Welt werden können", sagte Zverev. Es kam bekanntlich anders. In einem packenden Halbfinale im vergangenen Frühling hatte er dem Spanier Rafael Nadal größte Schwierigkeiten bereitet, doch beim Stand von 6:7, 6:6 musste er aufgeben: Er war mit dem rechten Fuß umgeknickt. Auf Krücken humpelnd verabschiedete er sich vom Court Philippe Chatrier, die Diagnose: mehrere Bänder im Sprunggelenk gerissen. Eine Operation war notwendig. Eine solche Verletzung hatte Zverev noch nie erlitten. Seine Zuversicht kam trotzdem schnell zurück.

Im September bereits hatte er gehofft, das Gröbste überwunden zu haben, beim Davis Cup in Hamburg wollte er sich auf dem Platz zurückmelden, im Aufbautraining hatte er sich jedoch, wie herauskam, ein Knochenödem im Fuß zugezogen. "Klar möchte man auf der Tour sein, klar möchte man spielen", erklärte Zverev nun in Melbourne und räumte ein: "Wahrscheinlich habe ich zu viel getan, und deswegen habe ich eine andere, neue Verletzung bekommen."

Auf ein Neues musste er eine Reha-Phase angehen, ein erster kurzer Auftritt folgte dann Anfang Dezember bei einem Schauturnier in Saudi-Arabien, um den Jahreswechsel bestritt er seine ersten offiziellen Tour-Matches beim United Cup in Sydney. Er verlor zweimal deutlich, gegen den Tschechen Jiri Lehecka und den Amerikaner Taylor Fritz. "Aber es ist, wie es ist. Ich bin jetzt zurück, ich fühle mich gesundheitlich relativ gut", sagte Zverev jetzt. Die Rolle als Fatalist kannte man noch nicht von ihm.

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So ruhig, nachdenklich und besonnen, wie er redete und klang, drängte sich tatsächlich der Eindruck auf: Er hat sich verändert, was nicht überraschend ist angesichts der Schwere seiner Verletzung und der erzwungenen Auszeit. Hatte er sich früher mutig zu großen Zielen bekannt, versuchte er nun, bloß keine zu großen Ziele zu benennen. Mit Prognosen ist er vorerst noch vorsichtig. Mal sagte er, er hoffe dies und er hoffe das, oder er sprach plötzlich von "man", obwohl er sich selbst meinte.

Es war, als würde er, der Tennisprofi Zverev, in Melbourne über den anderen, diesen Patienten Zverev aus Paris, reden. "Wenn du sieben Monate kein Match gespielt hast, wirst du nicht zurückkommen und dasselbe Tennis spielen", analysierte er weiter. "Das hat mit der Verletzung eigentlich gar nichts zu tun. Für mich sind das wirklich die Matches. Für mich ist das auch mehr die Zeit auf dem Platz, die ich brauche."

"Das Tempo ist völlig anders", sagt Zverev. Das realisiere man von draußen gar nicht, "wie schnell das alles hier passiert"

An anderer Stelle sagte er: "Mal schauen, wie die ersten Matches werden", er machte eine Pause und korrigierte: "... oder das erste Match". Er weiß auch: Spielt er fahrig wie in Sydney, könnten diese Australian Open bereits am Dienstag in der ersten Runde enden, auch wenn sein Gegner, der Qualifikant Juan Pablo Varillas aus Peru, nur die Nummer 104 der Weltrangliste ist und als Lucky Loser aus der Qualifikation ins Hauptfeld nachrückte.

Zverev hat offensichtlich bemerkt, dass auch mit erst 25 eine Rückkehr nach einer solchen Verletzung nicht einfach im Schnellverfahren dahinflutscht. Denn selbst die wiedererlangte Gesundheit ist keine Garantie. Sein Spiel muss er wieder finden. "Am Anfang habe ich mich von den Schlägen her auf dem Platz sehr, sehr gut gefühlt. Aber dann ist es natürlich noch mal was ganz anderes, wenn man wieder hier mit den Jungs spielt", räumte er ein. "Das Tempo ist völlig anders. Das realisiert man eigentlich gar nicht, wenn man die ganze Zeit mit ihnen spielt, wie schnell das alles hier passiert." An die Verletzung denke er indes "nicht jeden Tag", er denke vielmehr daran, "was kann ich verbessern, wie kann ich zurück in Form kommen, was muss ich noch trainieren".

Ja, die Nummer eins hätte Zverev wirklich schon werden können, dieses Ziel verpasste er mehrere Male in der vergangenen Saison knapp. Inzwischen ist er 13. im Ranking. Sein Wunsch nun im Januar 2023 in Melbourne? "Dass ich schmerzfrei und gesund hier spiele und wieder zurück zu meinem Level finde." So haben sich vor diesen Australian Open Zverevs Maßstäbe verschoben.

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