Zverev bei den Australian Open:Halbfinale im 19. Anlauf

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Alexander Zverev: Mit kleineren Hoffnungen nach Melbourne gereist, mit dem Halbfinale belohnt. (Foto: dpa)
  • Für Alexander Zverev war in Australien jedes Jahr spätestens in der vierten Runde Schluss, dieses Mal schafft er es ins Halbfinale.
  • Gegen Stan Wawrinka gewinnt Zverev 1:6, 6:3, 6:4, 6:2. Er dankt anschließend seinem Vater und Trainer, in einer liebevoll-brüsken Art, in der das nur Söhne öffentlich können.
  • Im Halbfinale am Freitag trifft er nun auf den Österreicher Dominic Thiem, der Rafael Nadal besiegte.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Nach zwei Stunden und 19 Minuten Spielzeit am zehnten Turniertag hob er kurz den rechten Zeigefinger. Ein kurzes Lächeln. Ein langer Blick in seine Box. Turbulentere Gefühlsausbrüche leistet sich Alexander Zverev an diesem Nachmittag nicht: keinen Kniefall, kein Erlösungsschrei, keinen Schlägerwurf, der sonst zu seinem Repertoire gehört, nicht mal den kleinsten Hüpfer.

Er zog sich langsam das Stirnband aus dem Haar nach dem Matchball, einer verschlagenen Vorhand von Stan Wawrinka, ging ans Netz zum Handschlag mit dem Gegner, dann ans Stadionmikrofon. "Sie können sich nicht vorstellen, was mir das bedeutet!", sagte er, schwer bewegt, ins weite Rund. Sein Vater Alexander Zverev, der auch sein Trainer ist, wischte sich auf der Tribüne über die Augen. Aber das konnte natürlich auch ein Staubkorn gewesen sein.

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Damit scheitert der Weltranglistenerste und Topfavorit im Viertelfinale. Roger Federer muss fürs Schimpfen bezahlen. Biathlet Erik Lesser wird für die EM nominiert, obwohl er die Norm nicht erfüllt hat.

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Erstmals in seiner Karriere hat sich Zverev, 22, bei den Australian Open in Melbourne in das Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers durchgeschlagen. Und gemessen an der Energie, die dazu nötig war, "eine Barriere zu durchbrechen", wie er es formulierte, offenbarte er erstaunliche Ruhe und Selbstkontrolle. "Es fühlt sich fantastisch an", sagte er nach dem 1:6, 6:3, 6:4, 6:2-Sieg gegen den 34-jährigen Stan Wawrinka aus der Schweiz, den Turniersieger von 2014. Von einem vergleichbaren Triumph in der Rod-Laver-Arena ist Zverev selbstverständlich immer noch zwei Matches entfernt. Aber nachdem ihm nun die größte Last der vergangenen Jahre von den Schultern genommen ist, erscheint auch das nicht mehr unmöglich.

Sein bestes Ergebnis bislang war das Viertelfinale der French Open

Vier Mal ist Alexander Zverev jedes Jahr im Januar, im australischen Sommer, mit seinem Vater nach Melbourne gereist, jedes Mal war für den Hochbegabte spätestens nach der vierten Runde Schluss. 18 Anläufe insgesamt hat Zverev in seiner noch jungen Laufbahn bei den vier Grand-Slam-Turnieren genommen. Aber ob in Melbourne, Paris, Wimbledon oder New York: Immer ist er, wenn es ernst wurde, in der zweiten Wettkampfwoche wie von einer Wand zurückgeprallt.

Sein bestes Ergebnis bislang war das Viertelfinale der French Open, das er zweimal (2018, 2019) erreichte. Dabei hat er auf seinem Karriereweg bei anderen weniger mit Bedeutung aufgeladenen Turnieren der ATP-Tour der Männer jede Menge Pokale einheimst. Elf Titelgewinne stehen für Zverev zu Buche, der zwischenzeitlich bis auf Platz drei der Weltrangliste aufstieg. Darunter der Sieg beim ATP-Finale 2018 in London, zu dem jeweils nur die Elite einer Saison geladen ist.

Aber der Fokus Zverevs lag auf den Erfolgen bei Grand-Slam-Turnieren, heutzutage gewissermaßen der Goldstandard in seinem Sport. "Ich wollte das zu sehr", sagte er am Mittwoch im Melbourne Park. "Ich habe mich viel zu sehr nur darauf konzentriert." Was letztlich wohl zu einer mentalen Blockade geführt hat, wann immer mit seinen Schlägern im Gepäck in Melbourne, Paris, London oder New York aus dem Flugzeug stieg.

Und so war es vielleicht ganz heilsam, dass er in diesem Januar völlig ohne Hoffnungen nach Melbourne kam. Zu Beginn des Jahres war er beim neu geschaffenen ATP-Cup in Brisbane angetreten und hatte "verheerend", wie er selbst sagte, gespielt. Er verlor alle drei Matches, leistete sich Doppelfehler en masse, und musste sich sogar vom Teamverantwortlichen Boris Becker die Leviten lesen lassen ("Er ist irgendwo in einem dunklen Zimmer gefangen und sucht den Lichtschalter"). Danach hat Zverev trainiert, wie noch nie im Leben, sagte er, manchmal sieben Stunden am Tag, bis er sich wieder Sicherheit mit dem Racket in der Hand erarbeitet hatte.

Er hatte bis Mittwoch noch keinen Satz abgegeben bei den Australian Open. Doch das Match gegen den dreifachen Grand-Slam-Sieger Wawrinka lief zunächst nicht nach Plan. Sein Aufschlag ließ ihn meist im Stich, zum 0:2 und 0:4 kassierte Zverev ein Break im ersten Satz. Wawrinka blieb fast fehlerfrei und punktete vor allem mit seinem zweiten Aufschlag. Er habe sich erst mit den geänderten Bedingungen in der Halle zurechtfinden müssen, sagte Zverev hinterher.

Doch er behielt die Nerven, im zweiten Satz verbesserte sich sein Service, er gewann alle fünf Aufschlagspiele ohne Punktverlust und nutzte seine Chance zum Break zum 5:3. Auch im dritten Satz blieb er ruhig, während Wawrinka zunehmend Fehler unterliefen. Nach Breaks zum 1:0 und 3:0 im vierten Satz war das Halbfinale, im 19. Anlauf, in Sicht. Hier trifft er nun auf Dominic Thiem, der den Weltranglistenersten Rafael Nadal in vier Sätzen niederrang.

Zverev hat anschließend seinem Vater gedankt, in einer liebevoll-brüsken Art, in der das nur Söhne öffentlich können: "Er ist einer von diesen normalen Trainern, die ihre Spieler nicht besonders mögen." Dann wurde er ernst: "Er hat mich zu dem Tennisspieler gemacht, der ich bin", sagte er im Stadion. Und darum werde er auch, entgegen allen anderen Ratschlägen, etwa von Becker, keinen anderen verpflichten. "Meiner Meinung nach gibt es keinen Grund zu wechseln. Wenn er mir sagt, er ist müde, dann verstehe ich das, und wir holen Hilfe. Ich denke, er wird für lange Zeit Teil meines Teams sein." Vielleicht war es doch eine Träne und kein Staubkorn in den Augen von Zverev senior.

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