Leipzigs 3:1 gegen Roter Stern:Ein Tor wie eine Leuchtfackel

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Leipzigs Xavi Simons erzielte das 2:0 gegen Roter Stern - und ließ sich entsprechend feiern in der Kurve. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Durch einen der großartigsten Treffer der laufenden Champions-League-Saison gibt Leipzigs Xavi Simons dem Spiel seines Teams gegen Belgrad einen Anker - und ebnet RB den Weg in die nächste Runde.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Am Mittwochabend leckte der Fußballer Xavi Simons Blut: sein eigenes. Wegen einer Verletzung, die der 20-jährige Stürmer von RB Leipzig kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit erlitten hatte. Nach einer unsanften Kollision mit einem Gegenspieler blutete die Lippe. Man sah Simons mit einer voluminösen Mullbinde im Mund über den Platz jagen, bis die sich mit Blut vollgesaugt hatte. Dennoch durfte man behaupten, dass die Wunde weder ihm noch seiner Mannschaft zum Nachteil gereichte. Im Gegenteil.

Simons erzielte gegen Roter Stern Belgrad eines der großartigsten Tore der bisherigen Champions-League-Saison und kanalisierte auf diese Weise einen ebenso erwarteten wie notwendigen Sieg für RB Leipzig. Mit dem 3:1 (1:0) kamen die Sachsen dem Achtelfinale der Königsklasse ein gewaltiges Stück näher. Nach drei Spieltagen liegt Leipzig - mit drei Punkten Rückstand auf Manchester City, aber fünf Zählern Vorsprung auf Belgrad und Young Boys Bern - auf dem zweiten Gruppenplatz.

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Als die Partie vorbei war, war zu erfahren, dass Simons' Wunde ambulant grundversorgt werden musste, mit ein paar Stichen. Das erklärte möglicherweise, warum nicht Simons, sondern der deutsche Linksverteidiger David Raum von offiziellen Stellen zum "Man of the Match" gekürt worden war. Nicht, dass die Wahl Raums vollends absurd gewesen wäre; auch er hatte sich nach dem ersten Champions-League-Tor seiner Karriere (1:0/13. - nach einem blendenden Pass von Xavi Simons) gute Noten und ein Lob seines Trainers Marco Rose verdient. Aber Simons war an diesem Abend in einer eigenen Kategorie unterwegs. Sein Treffer zum 2:0 aus der 59. Minute gab einer Partie einen Anker, die nach einer guten Anfangsphase der Leipziger die Ruhe verloren hatte. Weil die Belgrader ein paar ganz gute, individuelle Künstler wie Regisseur Mirko Ivanic auf dem Platz hatten, die durch Inspiration ein Spiel aus den vorgefertigten Bahnen wuchten können.

Die gefürchteten Fans von Roter Stern verhielten sich vergleichsweise anständig: Sie rauften sich nur untereinander

Simons' Tor fiel nach einem Spielzug über links, den Raum initiiert hatte, der aber erst durch Simons einen tieferen Sinn bekam. Der Niederländer zog nach innen und dann aus 25 Metern ab; der Ball drehte sich mit präzisem Effet in den Winkel - Belgrads Torwart Omri Glazer flog schön, aber ohne Chance hinterher. Was folgte, war fast schon amüsant, denn es waren nicht wenige Leipziger, die es Simons gleichtun wollten und ebenso aus der zweiten Reihe angeschnittene Bälle probierten, zum Beispiel Kevin Kampl (62.) und Loïs Openda (64.). Bis Leipzigs dritter Treffer fiel, sollte aber noch einige Zeit vergehen, der spät eingewechselte Dani Olmo traf per Abstauber (84.), nachdem Christoph Baumgartner den Ball aus einem Gewühl heraus per Kopf an die Querlatte gewuchtet hatte. Baumgartner hätte auch in eigener Sache plädieren können, am Ende landete aber auch er bei Xavi als Mann des Abends und sprach über ihn in bemerkenswerten Tönen.

"Ich wusste, dass er ein Riesenkicker ist, aber nicht, dass er auch so ein unangenehmer Gegenspieler ist", sagte der Österreicher Baumgartner über Simons. Ähnlich äußerte sich Raum: Simons sei "sich nicht zu schade, auch nach hinten zu sprinten", betonte der Linksverteidiger. Solche Attitüden sind Spielern mit dem Talent von Xavi Simons nicht immer eigen. Das dürften auch die Verantwortlichen von Paris Saint-Germain mit immer stärkerem Interesse zur Kenntnis nehmen, ebenso wie die Fähigkeit von Simons, auf der größtmöglichen Bühne der Champions League zu reüssieren.

Denn Simons gehört offiziell noch immer PSG, in Leipzig ist er bis zum Saisonende nur als Leiharbeiter beschäftigt. Die einzige Hoffnung, die sie in Leipzig haben, besteht darin, dass sich Simons aus zwischenmenschlichen Erwägungen und zwecks gesicherten Spielzeiten doch dafür entscheidet, länger in Sachsen zu bleiben. "Erst mal genießen wir, dass er da ist. Über alles andere machen wir uns keine Gedanken", sagte Manager Rouven Schröder, als er sinngemäß gefragt wurde, ob er vorauseilend Nostalgie verspüre. "Wer Xavi sieht, der weiß: Er fühlt sich hier pudelwohl."

Die kommenden Aufgaben hat Simons schon fest im Blick. Am Samstag gastiert der 1. FC Köln in Leipzig ( 18.30 Uhr, Liveticker SZ.de), in knapp zwei Wochen soll der Achtelfinaleinzug in der Champions League gesichert werden. Dann muss Leipzig in Belgrad antreten, im legendären Marakana, auf das sich Trainer Rose und die Mannschaft freuen. Er erwartet dort eine prächtige und feurige Stimmung, "einen kleinen Vorgeschmack haben wir heute bekommen", erklärte der Trainer in Anspielung auf die sangesgewaltigen Anhänger von Roter Stern.

Die serbischen Fans benahmen sich gemessen an früheren Auslandseinsätzen vergleichsweise anständig - jedenfalls gemäß einer vorläufigen Bilanz der Leipziger Polizei. Sie waren sogar so freundlich, sich nur untereinander zu raufen (also die Belgrader, nicht die sächsischen Beamten). Ein paar wenige Leuchtfackeln zündeten die Belgrader schon auf den Rängen. Doch gemessen an der Rakete, die Xavi nach knapp einer Stunde zündete, wirkten sie bloß wie Wunderkerzen.

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