Tennis:Durch das Frauentennis fegt ein Sturm

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Titel im Finalturnier der Frauen-Tour: Laura Siegemund (vorne) und Vera Zvonareva kurz nach ihrem verwandelten Matchball. (Foto: Henry Romero/Reuters)

Die WTA Finals in Cancún verlaufen chaotisch, Spielerinnen rebellieren gegen den Chef der Frauentour. Für die Deutsche Laura Siegemund endet das Turnier aber versöhnlich - ihr gelingt im Doppel Historisches.

Von Gerald Kleffmann

Die letzten Bilder, die von diesem durch und durch chaotischen Turnier in die Welt entsandt wurden, versöhnten immerhin etwas. Da stand Iga Swiatek, strahlend, lachend, auf dem Kopf trug sie statt ihrer Kappe nun einen Sombrero, in den Händen hielt sie den Pokal der WTA Finals. Applaus brandete auf.

Die immer noch erst unfassbare junge Polin, 22 Jahre alt, hatte in diesem Endspiel wieder mit ihrem tischtennisartigen Tennis geglänzt und ihrer Gegnerin kaum Luft zum Atmen gelassen. 6:1, 6:0, in 59 Minuten, zieht man Seitenwechsel und Sitzpausen ab, blieb nicht viel Tennis übrig.

Jessica Pegula war das arme Opfer, ihren Humor aber behielt die Amerikanerin, die aus einer milliardenschweren Unternehmerfamilie stammt und gemeinhin auf den Plätzen so sehr zu kämpfen versteht, als bräuchte sie jeden Preisgeld-Dollar für die Miete. Bei Instagram veröffentlichte Pegula ein Foto, ein Drink war darauf zu sehen und die Zeile: "Beendete das Jahr in der Iga Backfabrik lol." Swiatek beendet die Saison als Weltranglisten-Erste.

Athletisch und kraftvoll: Die Polin Iga Swiatek sichert sich mit dem Sieg in Mexiko auch den ersten Weltranglistenplatz zum Ende dieser Saison. (Foto: Susan Mullane/USA Today Network/Imago)

Auch aus deutscher Sicht gab es Erfreuliches zu berichten, tatsächlich gelang der unermüdlichen Laura Siegemund ein Erfolg, den man nun mit dem Attribut "historisch" versehen muss. Die 35-jährige Schwäbin gewann mit ihrer russischen Partnerin Vera Swonarewa, 39, den Titel in der Doppel-Konkurrenz. Im Finale besiegten die beiden, die 2020 bei den US Open schon einen Grand-Slam-Sieg errangen, Nicole Melichar-Martinez (USA) und Ellen Perez (Australien) mit 6:4, 6:4.

Siegemund ist die erste Deutsche, die diese Trophäe eroberte. Claudia Kohde-Kilsch erreichte viermal das Finale, 1985, 1986 und 1987 mit der Tschechoslowakin Helena Sukova sowie 1983 mit ihrer deutschen Kollegin Eva Pfaff, verlor jedoch stets. "Es war eine schwierige Woche in vieler Hinsicht. Aber am Ende steht ein großer Sieg, ein schöner Abschluss", sagte Siegemund und fasste damit treffend diese Jahresabschlussveranstaltung der WTA Tour zusammen, die großteils auf unrühmliche Art in Erinnerung bleiben wird.

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Die Malaise begann damit, dass lange überhaupt nicht klar war, wo die WTA Finals, das sogenannte Flagship Event der Frauentour, stattfinden werden. Auf den letzten Drücker wurde Cancún in Mexiko als Austragungsort verkündet. Auf den allerletzten Drücker wurde ein Stadion aus Metallgestänge zusammengezimmert, die Spielerinnen - die jeweils acht Besten im Einzel sowie die acht besten Doppelduos - konnten kaum vorab trainieren.

Doppelter Freudensprung: Laura Siegemund (links) und Wera Zwonarewa. (Foto: Susan Mullane/USA TODAY Network/Imago)

"Das ist für mich nicht akzeptabel, wenn so viel auf dem Spiel steht", brachte die als Weltranglisten-Erste angetretene Aryna Sabalenka aus Belarus ihren Unmut zum Ausdruck. Wimbledon-Siegerin Marketa Vondrousova sagte offen: "Das Stadion ist überhaupt nicht bereit für die Spiele, und ich habe das Gefühl, dass die Leute von der WTA überhaupt kein Interesse daran haben, wie wir, die wir auf diesem Platz spielen sollen, uns fühlen. Wir haben nicht das Gefühl, dass uns jemand zuhört oder sich für unsere Meinung interessiert. Es ist sehr traurig."

Die Probleme wurden nicht weniger, die Doppel-Matches fanden oft nur vor ein paar Dutzend Zuschauern statt, und besonders erschwerend, aber wenig verwunderlich: Inmitten der Hurrikan-Saison blies ein Hurrikan das halbe Turnier weg, Regen floss in Unmengen, letztlich wurden die Finals auf den Montag verschoben, weshalb nun diverse Spielerinnen neue Probleme haben. Evergreen Siegemund etwa muss schnellstmöglich nach Sevilla reisen, in Spanien wird in dieser Woche die Finalrunde des Billie Jean King Cups abgehalten (ehemals Fed Cup).

Bundestrainerin Barbara Rittner urteilt scharf: "Das ist erneut ein Trauerspiel"

Das deutsche Team ist dort mit Tatjana Maria, Jule Niemeier, Anna-Lena Friedsam, Eva Lys und eben Siegemund vertreten; am Donnerstag ist Italien der erste Gegner. Scharfe Kritik zu den stürmischen Zeiten von Cancún kommt bereits von Bundestrainerin Barbara Rittner, die dem Sportinformationsdienst sagte: "Das ist erneut ein Trauerspiel, dass die Spielerinnen darunter leiden, dass sich ITF und WTA nicht besser abstimmen können." Weiter befand sie: "Brutal, auch wirklich über die Jahre nicht mehr zu verstehen. Da muss man auch wirklich ganz klar die Führung der beiden Verbände angreifen."

Als wären das nicht schon genügend Baustellen, wird WTA-Chef Steve Simon seitens der Profis neuerdings in die Mangel genommen, wie es selten ein derart ranghoher Tennisfunktionär erfuhr. 21 Top-Spielerinnen, deckte die Internetplattform The Athletic zu Turnierstart auf, wandten sich in einem geschlossenen Schreiben an ihren Tour-Vorsitzenden, von Rebellion wurde gar gesprochen. Bei einem Treffen mit Simon sollen die Spielerinnen, die sich offenbar mit dürren Antworten abgespeist fühlten, den Raum vorzeitig verlassen haben.

Vom Winde verweht: US-Open-Siegerin Coco Gauff erfuhr in Cancún die Kraft eines Hurrikans am eigenen Leibe. (Foto: Susan Mullane/USA Today Network/Imago)

Auch dass Simon offenbar nur ungenügend der Aufforderung nachkam, schriftlich Antworten zu drängenden Fragen zu geben, drang an die Öffentlichkeit. Die Spielerinnen fordern grundlegende Verbesserungen, etwa frühere Planungen von Turnieren, je nach Ranglistenplatz gestaffelte fixe Jahresgehälter, um eine finanzielle Basis zu haben, eine bessere Kinderbetreuung, eine bessere Vermarktung in den sozialen Medien, generell Ansprechpartner für Sorgen und Nöte und vieles mehr.

Simon bündelte einige seiner Gedanken dann doch, in einem zweiseitigen Schreiben nahm er kurz die Verantwortung für die Probleme des Turniers in Cancún auf sich und blieb doch eher allgemein bei seinen Versprechungen. Sein Zögern führte nun gar zu Rücktrittsforderungen von prominenter Stelle. "Vielleicht ist es Zeit für eine neue Führung", sagte unverhohlen die frühere Tennisgröße Martina Navratilova und postulierte: "Wenn wir eine neue Führungskraft bekommen, ist es hoffentlich eine Frau."

WTA-Chef Simon wird sich wohl auch 2024 rechtfertigen müssen - sollte Saudi-Arabien die Finals erhalten

Sollte es Simon schaffen, sich in seinem Amt trotzdem zu behaupten, dürfte es für ihn 2024 kaum ruhiger werden. Einen klar kommunizierten Plan, wie es etwa mit den WTA Finals weitergeht, die zu einer Art Wanderzirkus-Veranstaltung verkommen, ist offen. Mit Cancún gab es nur einen Vertrag für 2023, Saudi-Arabien soll die besten Chancen haben, die WTA Finals ab kommendem Jahr auszurichten.

Mit diesem Manöver würde sich die WTA sicher viel Kapital ins Haus holen, aber auch neue Debatten zu Menschenrechtsfragen. Ein sensibles und hochpolitisches Themenfeld, das Simon nicht fremd ist. Im Fall der chinesischen Spielerin Peng Shuai, die zwischenzeitlich wie verschwunden wirkte, hatte er 2022 viel Lob für eine harte Haltung gegenüber China erhalten und Turniere dort ausgesetzt - das jedoch mancherorts in Kritik umschlug, als er, nachdem Peng Shuai zumindest physisch aufgetaucht war, letztlich wieder in China Tennis spielen ließ. Der wirtschaftliche Druck lastet unübersehbar auf der WTA Tour. Eine höchst vertrackte Gemengelage ist das, in der Simon nun die Zukunft gestalten muss.

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