Brasiliens Sieg im WM-Eröffnungsspiel:Neymar besteht den Nervencheck

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Die Fans der Seleção atmen auf: Neymar trifft zweimal (Foto: Getty Images)

Das Eröffnungsspiel beginnt mit einem gewaltigen Schreck, doch nach frühem Rückstand dreht Brasiliens Nationalmannschaft die Partie gegen Kroatien und gewinnt glücklich 3:1. Neymar schießt zwei Tore - profitiert aber von einem fragwürdigen Elfmeterpfiff.

Von Thomas Kistner, São Paulo

Die Nervenschlacht in der Arena Corinthians nahm ein glückliches Ende für die brasilianische Seleção und damit für die Eröffnungsstimmung im WM-Land. Beim 3:1 (1:1)-Sieg über Kroatien benötigte die brasilianische Auswahl allerdings die lichten Momente ihres Ausnahmespielers Neymar, der zweimal traf und dabei einen fragwürdigen Elfmeter verwandelte. Die Kroaten blieben bis zuletzt auf Augenhöhe und hätten fast noch den Ausgleich geschafft. Oscar erlöste die Gastgeber erst in der Nachspielzeit.

Den ersten Nervencheck für die Gelb-Grünen gab es schon beim Aufwärmen: Neymar knickte um und griff sich grimassierend ans Sprunggelenk. Ein Stöhnen ging durchs Land, ein Physiotherapeut eilte herbei - gleich darauf war alles okay.

Zu den Eigenheiten von Nationaltrainer Felipe Scolari zählt Berechenbarkeit. Und so schickte er, als Ausweis seines gusseisernen Vertrauens in die Elf, die 2013 das Confed-Cup-Finale gewann, dieselbe Startformation aufs Feld. Auch die Einstimmung empfand den damaligen Turniererfolg nach: Die Nationalhymne, geschmettert aus 60 000 Kehlen auch noch lange, nachdem die Musik bereits verklungen war, war vermutlich noch im 400 Kilometer entfernten Rio zu hören.

Die Seleção agierte zunächst zurückhaltend. Kroatiens Kreativmittelfeld mit Modric, Rakitic und Kovacic kam besser zum Zug. Neymars Bilanz nach zehn Minuten: zwei von drei Dribblings verloren, einmal rüde gefoult. Dann der große Schockmoment: Olic flankt von links, Jelavic touchiert den Ball und der irritierte Marcelo dahinter lenkt ihn ins eigene Tor (11.).

Welch ein Beginn! Kurz gingen die Köpfe runter, dann fuhren den Gelben die donnernden Brasil-Chöre von den Rängen in die Glieder. Wütend rannten sie an, angetrieben von Scolari, der seine Coaching-Zone wie ein Tiger durchmaß. Sie flankten, schossen, Neymar war nicht mehr zu stoppen, im Blick eine nicht gekannte Wildheit. Und im Blut ein bisschen zu viel davon, nach 27 Minuten sah er die erste gelbe Karte des Turniers: für einen im Luftkampf mit Modric ausgefahrenen Ellbogen.

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Es war nur das letzte Luftholen.

Beim nächsten Angriff fand sich Neymar in der Mitte, er nahm den Ball, umkurvte einen Gegner und schoss die Kugel mit links so präzise an den rechten Innenpfosten, dass der Jubelschrei von Itaquerão die Wolkendecke über dem unfertigen Stadiondach aufriss. Vielleicht waren das aber auch die Feuerwerkskörper, die in den Stadtteilen ringsherum explodierten.

Neymar stürmte zur Bank, in Felipaos väterlich offene Arme. Fortan war der Mann, den alle als Anspielstation suchten, nicht mehr zu bremsen. Außer durch Fouls oder eigenen Übereifer. Ziemlich beeindruckt, beschränkten sich die Kroaten zunächst auf die Sicherung des Zwischenstands, der ja noch immer einer war, den man beim Pausentee genießen konnte.

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Im zweiten Abschnitt, die Nacht hatte sich bereits über Itaquerão gesenkt, wirkte die Seleção viel energetischer, sie setzte sich in der kroatischen Hälfte fest. Vor allem Oscar war es nun, der immer mehr in der Rolle eines Neben-Neymars aufging, während sich das Original zunächst deutlich zurückhielt. Der stete Vorwärtsdrang schaffte den Kroaten allerdings Räume für Konter, und dabei offenbarte die Abwehr der Gastgeber eine erstaunlich brüchige Konsistenz.

Was einerseits an den Außenverteidigern Marcelo und Dani Alves lag, die zu Flüchtigkeitsfehlern neigten, vor allem aber daran, dass Mittelfeld-Abräumer Paulinho noch Fitnessrückstände hat. Nach 60 Minuten brachte Scolari Hernanes für seinen Schlüsselspieler, wenig später Bernard für den bulligen Hulk, der wenig zustande gebracht hatte.

Corluka räumte Neymar ab, der sich damit wieder in Erinnerung rief - und wenig später erneut die Nation entzückte. Einen Strafstoß, von Lovren an Fred verursacht, versenkte er mit reichlich Dusel im linken Eck. Kroatiens Torwart Pletikosa hatte sich von seinen Trippelschrittchen und Finten nicht täuschen lassen und war mit den Händen noch am Ball.

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Fragwürdig war indes die Szene, die zum Elfmeter führte: Fred hatte ihn zumindest gewollt, als er beim Versuch, aus der Drehung zu schießen, Lovrens Hand an der linken Schulter spürte. Und Schiedsrichter Yuichi Nishimura aus Japan, bis dahin sehr souverän, war sich seiner Sache sofort sicher. Das wird nicht die Spekulationen all jener verstummen lassen, die schon beim Confed-Cup eine gewisse Kulanz der Spielleiter zugunsten der Gastgeber bemängelt hatten. Nun, bei der Weltmeisterschaft im aufgewühlten Land, dürfte das Abschneiden der Seleção von besonderer Relevanz sein.

Die Schlussphase diente dann als Anschauungsmaterial für alle, die nach Schwachstellen der Seleção Ausschau halten. In der Defensive finden sich genug davon. Die Kroaten wurden schon an der Mittellinie mit taktischen Fouls empfangen, trotzdem schnürten sie die Gastgeber in der eigenen Hälfte ein. Ein ums andere Mal musste Torwart Julio Cesar ins Getümmel, parierte zwei, drei Scharfschüsse und wurde einmal böse weggerempelt, weshalb Rakitics anschließender Treffer nicht zählte.

Neymar ging, aber der Neben-Neymar blieb: Oscar, der unspektakuläre Held des Abends. Einen Konter spitzelte er trocken zum 3:1 (90.+1) ins Eck.

© SZ vom 13.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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