WM 2010: Slowakei - Italien:Gesichter aus Stein

Lesezeit: 3 min

Italien scheitert mit 2:3 an der Slowakei - das Achtelfinale findet damit ohne die Endspielgegner der WM 2006 statt. Die Slowakei zieht wie Paraguay in die nächste Runde ein.

Christian Zaschke

Fabio Quagliarella brach auf dem Rasen zusammen und weinte. Sein Körper bebte, es dauerte eine Weile, bis Kapitän Fabio Cannavaro den Mitspieler entdeckte und zu ihm hinübereilte. Cannavaro trug ein Gesicht aus Stein, er richtete Quagliarella mit einem Ruck auf und klopfte ihm einige Male fest auf den Rücken. Vielleicht wollte er ihm sagen, Männer weinen nicht wegen Fußball, vielleicht auch, etwas weniger dramatisch: Komm schon, Junge, davon geht die Welt nicht unter. Zumindest nicht ganz, obwohl das 2:3 (0:1) der Italiener gegen die Slowakei das erste große Beben der WM bedeutet, die erste Sensation. Italien, der Weltmeister, ist in der Vorrunde gescheitert, und da auch Frankreich nicht mehr im Turnier steht, geht es jetzt ohne die beiden Finalisten der vorangegangenen Auflage weiter.

Italien trauert, die Slowaken aber feiern. Hier nach dem Treffer zum 2:0. (Foto: dpa)

Bis zuletzt hatten die Italiener hoffen können, die letzten zwei Minuten der Nachspielzeit dehnten sich auf fünf Minuten, ewig wurde weitergespielt, und wann immer der Ball sich dem slowakischen Tor näherte, versuchten die vielen italienischen Fans, ihn mit Gebrüll ins Netz zu bewegen. Doch es blieb beim 3:2 für die Slowakei, die den größten Erfolg ihrer jungen Fußball-Geschichte feiert: Durch den Sieg zieht der kleine Nachbar Tschechiens ins Achtelfinale ein.

Angst lähmt auch die Beine

Als Quagliarellas Tränen allmählich getrocknet waren, als Italiens Spieler sich ein wenig gesammelt hatten, zeigte ihr Trainer Marcello Lippi, wie man Größe bewahrt im Moment der sportlichen Niederlage. "Entschuldigen Sie, dass ich nicht bescheidener bin", sagte er, "aber ich habe in der Vergangenheit eine Rolle bei unseren Erfolgen gespielt, und ich bin jetzt für unser Scheitern verantwortlich. Es ist immer der Kopf, immer der Anführer, der verantwortlich ist. Es ist mir nicht gelungen, die richtige Dynamik herzustellen, das bedauere ich zutiefst." Dass Lippi nach der WM von Cesare Prandelli abgelöst wird, stand bereits vor dem Turnier fest. Ob er dennoch mit harscher Kritik in der Heimat rechne, wurde Lippi gefragt. "Kritik?", fragte er und fügte nach kurzer Pause an: "Ich stehe hier, sie anzunehmen."

Wenig später berichtete der slowakische Trainer Vladimir Weiss mit stockender Stimme, dass er gerade den zweitschönsten Tag seines Lebens verbringe. Der schönste? Natürlich die Geburt seines Sohnes, sagte Weiss, und später richtete der sichtlich bewegte Mann auch seiner Frau noch liebe Grüße aus.

Was für ein denkwürdiger Abend. Der Mond stand fast voll über dem Ellis Park, der die Bühne bot für diese besondere Aufführung. Auf dem Papier war die Sache klar gewesen, der Titelverteidiger musste sich des einzigen Debütanten der WM erwehren; alles andere als ein Sieg Italiens erschien unvorstellbar zu sein. Doch die Italiener hatten bekanntlich bereits gegen Neuseeland nicht gewinnen können, und verglichen mit dem Land vom Ende der Welt ist die Slowakei ein fußballerischer Riese. Entsprechend verhalten begannen die Italiener, beinahe ängstlich - wiewohl jeder italienische Fußballer es neuseelandweit von sich wiese, jemals in seinem Leben auch nur den Anflug von Angst verspürt zu haben, und überhaupt: Was soll das sein, Angst?

Doch sie war da, sie kroch dem Team in die Glieder und setzte sich fest; Angst isst nicht nur die Seele auf, Angst lähmt auch die Beine. Die Slowaken hingegen spielten munter, furchtlos, beschwingt. Das Wort "Italien" weckte bei ihnen offenbar nicht die Assoziationen "Fußballgroßmacht" oder "Taktikmeister", sondern "Dolce vita" und "Lebenslust". Während die Italiener schwer und düster daherkamen wie Chopins Klaviersonate Nr. 2, gemahnte die Spielfreude der Slowaken an, nunja: Italo-Pop.

WM 2010: Einzelkritik Italien
:Wo ist Toni?

Bei der Pleite Italiens gegen die Slowakei werden Buffon, Del Piero und sogar Luca Toni vermisst. Aber selbst bei den Spielern, die auf dem Platz stehen, fragt man sich: Wo sind sie? Die Italiener in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Johannesburg

Ein, zwei Chancen hatten sie bereits ausgelassen, bevor sie zuschlugen und der Partie die Richtung gaben. Bezeichnenderweise entsprang die Führung der Slowaken einem krassen Fehler der Italiener. Daniele De Rossi - gegen Neuseeland zum Mann des Spiels gewählt, was als Treppenwitz der WM gelten darf - spielte einen Fehlpass in die Beine von Juraj Kucka. Der legte klug ab auf Robert Vittek, und Vittek hatte einen dieser Tage erwischt, an denen man auf den fast vollen Mond zielen kann und immer ins Tor trifft. Aus 18 Metern schoss er den Ball flach links unten ins Netz.

Nun musste Italien etwas tun, und Italien tat etwas: Lange Pässe flogen ins Aus, kurze Pässe landeten beim Gegner, die Mannschaft war mit den Nerven am Ende. Fabio Cannavaro hatte Glück, dass er in der 34. Minute nach wiederholtem Foulspiel nicht die gelb-rote Karte sah. Gennaro Gattuso schlitzte Zdenko Strba den Oberschenkel einige Zentimeter auf; der Slowake konnte mit einem dicken Verband weiterspielen. Und auf ging's in die bisher kurioseste und spannendste zweite Halbzeit der WM.

Quagliarellas Abseitstor

Erst vier Tore später sollte feststehen, dass Italien gescheitert ist, am Ende gab es Schreie von den Rängen. Als Robert Vittek in der 73. Minute das 2:0 erzielte, schien die Partie gelaufen zu sein, doch die Italiener, die zuvor die Halbzeit dominiert hatten, schüttelten nun alle Angst aus dem Körper. Sie griffen an, sie warfen alles nach vorn, und was ist das für ein Spektakel, wenn eine italienische Mannschaft angreifen muss. Antonio Di Natale besorgte den Anschlusstreffer, und hatte Quagliarella nicht in der 85. Minute das reguläre Ausgleichstor erzielt? Der Linienrichter jedenfalls gab abseits.

Kamil Kopuneks 3:1 (89.) folgte Quagliarellas Traumtor aus 20 Metern (90.+2), der erneute Anschlusstreffer, die Italiener gaben nicht auf. Bis zur letzten Sekunde der lang und länger werdenden Nachspielzeit rannten sie, rackerten sie, dann beendete Schiedsrichter Howard Webb die Partie mit einem Pfiff, und Italien erstarrte.

© SZ vom 25.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: