WM 2010: Niederlande - Uruguay:Maestro am Spielfeldrand

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Der einstige Grundschullehrer Oscar Washington Tábarez hat aus den Fehlern gelernt, die ihm 1990 bei seinem ersten WM-Gastspiel als Uruguays Trainer unterlaufen sind. Er glaubt an die Schönheit des Fußballs - und ist sogar zu Spionen nett.

Javier Cáceres

Óscar Washington Tabárez, 63, war mal Grundschullehrer in seiner Heimatstadt Montevideo. Und wenn nicht alles täuscht, dann muss er ein guter Lehrer gewesen sein. Denn gegenüber allen, die ihm einen neuen Gedanken geschenkt haben, pflegt er eine Dankbarkeit, die vor nichts halt macht. Erick Mombaerts kann davon erzählen, der französische U20-Trainer, der im Mai eine Südamerika-Reise dazu nutzen wollte, um Uruguay, den ersten WM-Gegner der Franzosen, nach Strich und Faden auszuspähen.

Uruguays Trainer Oscar Tabarez (mitte) wurde einst als "Lyriker" verspottet. Doch der ehemalige Grundschullehrer hat den urugayischen Fußball wiederbelebt. (Foto: afp)

Als Tabárez von Mombaerts Gegenwart erfuhr, nahm er von dessen Absichten nicht bloß Notiz: Er ordnete an, dem Spion alle erdenklichen Informationen und Annehmlichkeiten zu bieten. Sogar zum Mittagessen lud er ihn ein, und dass er Zugang zum Training der Uruguayer bekam, verstand sich von selbst. Der Grund: "Ich habe kaum je ein besseres Fußballbuch gelesen als seins", sagte Tabárez. Und so viele Geheimnisse berge der Fußball auch nicht mehr. "Man weiß doch heutzutage eh schon alles."

Wer weiß, auf welche Fährten Tabárez seinen Kollegen gelockt hat, Fakt ist: Die Franzosen waren nach der ersten Runde wieder daheim, Tabárez' Uruguayer aber treten an diesem Dienstag in Kapstadt gegen die Niederlande an. Und spielen um den Finaleinzug.

Ein Außenseiter auf Augenhöhe

Uruguay hat in etwa die Einwohnerzahl der früheren Erstligastadt Berlin, das südamerikanische Land darf sich nun in jedem Fall unter den besten vier Mannschaften der Welt wähnen. Sie haben sich aus einer Außenseiterrolle gelöst, sie fühlen sich endlich wieder auf Augenhöhe. "Natürlich ist Holland ein schwieriger Gegner, dessen Spieler einen guten Fuß haben", sagte Tabárez dieser Tage, als er, die Handinnenflächen in den Achselhöhlen versteckt, die Beine schulterbreit auseinander, auf dem Trainingsgelände in Braamfontein, Johannesburg, einer Reporterschar gegenüberstand. Als er gefragt wurde, worauf die Wiedergeburt des uruguayischen Fußballs zurückzuführen sei, lenkte er den Blick auf die Jugendarbeit, die Talente, die Geschichte. Obwohl der Erfolg natürlich auch mit ihm zu tun hat. Und damit, dass er eine seltene Gabe hat: nicht zwei Mal über den selben Stein zu stolpern.

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Uruguay zieht mit einem 2:1-Sieg gegen Südkorea erstmals seit 40 Jahren wieder in die Runde der besten Acht ein, während die USA unter den Augen von Bill Clinton der ghanaischen Mannschaft in der Verlängerung unterliegen. Die Bilder.

1990 hatte er schon einmal Uruguays Nationalelf bei einer WM trainiert - fünf Jahre zuvor hatte er seinen Beruf als Lehrer - spanisch: Maestro - aufgegeben. "Natürlich hat mir meine Ausbildung als Maestro bei meiner theoretischen Ausbildung als Trainer geholfen", sagte Tabárez damals. "Lyriker" schimpften sie ihn. Zum einen, weil er oft den legendären Trainer César Luis Menotti zitierte ("Wer nur vom Fußball weiß, weiß nicht mal vom Fußball etwas") und den Revolutionär Che Guevara ("Man muss sich härten, ohne die Zärtlichkeit zu verlieren").

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Mit der Unterstützung des gesamten Kontinents war Ghana in das Viertelfinale gegen Uruguay gegangen - und scheiterte dennoch im Elfmeterschießen.

Zum anderen, weil er damals unter dem Eindruck der Tretereien der Uruguayer bei der WM 1986 eine Besinnung auf Technik reklamierte. Er glaubte zwar, dass die "Kampfbereitschaft durchaus Teil der Persönlichkeit der Uruguayer ist, weil wir uns immer gegen unsere gigantischen Nachbarn Argentinien und Brasilien wehren mussten". Er glaubte aber auch an die Schönheit des Spiels und entwickelte Neugier: "Ich frage die Leute: Gefallen Euch denn nicht die Krieger, die gut spielen?" Hochbegabte Spieler wie Enzo Francéscoli oder Rubén Sosa standen ihm zur Verfügung. Doch Tábarez beging Fehler, die er diesmal nicht wiederholte. Diesmal ließ er die Spielermanager nicht ins Hotel, er unterließ es, vor der WM auf Welttournee zu gehen, um für den Verband Kasse zu machen. Und er coachte pragmatischer. Er hat nicht von ungefähr bei dieser WM alle Feldspieler eingesetzt, die im Kader stehen. Außer Martin Cáceres von Juventus Turin, der wegen der zahlreichen Ausfälle aber wohl gegen Holland spielen wird.

Egal, ob Uruguay erstmals seit 1950 wieder ein WM-Finale erreicht, schon jetzt ist der Respekt vor Tabárez ins Unermessliche gewachsen. Das war nicht immer so. Im Laufe der WM-Qualifikation gab es Pfiffe, hier und da hielten ihm Kritiker vor, beim AC Milan in den neunziger Jahren gescheitert zu sein, weil er dort nach nur 22 Spielen gehen musste. "Jenen, die sagen, ich sei gescheitert, entgegne ich immer, dass ich es bis zum AC Milan geschafft habe", sagt Tabárez.

Immer der richtige Rhythmus

Gegen Holland wird Tabárez seine Elf mit einer defensiveren Ausrichtung als im Viertelfinale gegen Ghana aufs Feld schicken, sie fühlt sich darin, in Ermangelung eines richtigen Spielmachers, durchaus wohl. "Man darf das Wort Abwehr nicht dämonisieren", sagt er: "Wenn ein Trainer ankommen will, sagt er: Ich bin offensiv! Wir verzichten nicht auf Offensivfußball, aber es ist wichtig, intelligent zu sein. Zu wissen, wann man Druck machen und wann sich zurückziehen muss." Die Tempi diktiert Tabárez von außen: Im Stile eines Maestros.

© SZ vom 06.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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