WM 2010: Joachim Löw:Komplette Funkstille

Lesezeit: 3 min

Auch bei einem Sieg gegen Ghana bleibt es sehr fraglich, ob Joachim Löw als Bundestrainer weitermacht. Seine Pläne verrät er nicht mal engsten Vertrauten.

Christof Kneer und Philipp Selldorf

Joachim Löw bat sich Bedenkzeit aus "bei dieser schwierigen Frage". Es war am Tag vor dem entscheidenden deutschen Gruppenspiel gegen Ghana jene Sein-oder-Nichtsein-Frage, die ihm so oder ähnlich seit ungefähr vier Monaten gestellt wird: Ob er Bundestrainer bleibt oder ob er nicht Bundestrainer bleibt. Diesmal hatte ihn jemand mit seinem alten Ausspruch konfrontiert, wonach es auf der Welt keinen schöneren Beruf gebe, als Bundestrainer zu sein.

WM 2010: Das deutsche Team
:Aus dem Labor von Q

Ein Libero im Tor, ein Präsidentschaftskandidat in der Abwehr und ein EFFIFU im Angriff - Bundestrainer Joachim Löw hat für seinen Angriff auf den WM-Titel eine sonderbare Reisegruppe um sich geschart.

Und die schwierige Frage an ihn lautete: Werden Sie das am Donnerstag immer noch sagen? Löw überlegte, und im rappelvollen Pressesaal des Stadions in Pretoria, wohin der DFB die Berichterstatter aus aller Welt gebeten hatte, wuchs die Spannung. Dann lächelte Löw, er freute sich, dass er einen eleganten Ausweg gefunden hatte: "Ich habe noch nicht gehört, dass ein Trainer während des Turniers ausgetauscht wurde", erwiderte er , "ich gehe davon aus, Ihnen am Donnerstag als Bundestrainer zu begegnen."

Eine Antwort war das zwar nicht, aber eine gekonnte Entgegnung. Die Antwort auf die Sein-oder-Nichtsein-Frage hat Löw stattdessen zu seinem ganz privaten Staatsgeheimnis gemacht, nicht mal im südafrikanischen Hauptquartier der Nationalelf an der staubigen Hennops-River-Street Nummer 1 gibt er Tendenzen preis. "Darüber redet er nicht, da ist er stur", sagt ein Vertrauter.

Der schwerwiegende Raffke-Vorwurf

Bisher beschränkte sich das Spektrum aber auf zwei Fragen: ob Löw aus einer Position der Stärke heraus einer möglichen Vertragsverlängerung zustimmt oder ob er sich lieber eine andere Tätigkeit sucht. Unter dem Eindruck dieses Gruppenfinales kommen jedoch zwei neue Varianten hinzu: Tritt er im Fall des Ausscheidens zurück? Oder verzichtet dann der DFB darauf, ihm ein Angebot zu machen?

Keinesfalls, sagt DFB-Präsident Theo Zwanziger dieser Tage jedem, der es hören möchte. Er hat sich in Südafrika eine Art Sport daraus gemacht, Löw das Vertrauen auszusprechen - wobei Löw der Meinung ist, dass dieser Bekenntnismarathon ein bisschen spät kommt. Die Verletzungen über die unter öffentlichem Getöse geplatzte Vertragsverlängerung sind nicht verheilt; es ist vor allem der unterschwellige Raffke-Vorwurf, den Löw vergessen, aber nicht vergeben kann.

"Eine Kurzschlussreaktion halte ich für ausgeschlossen", sagt Zwanziger zwar, auf einen möglichen Rücktritt Löws im Falle eines Ausscheidens angesprochen. Aber alle Insider gehen davon aus, dass Löw keine große Lust verspürt, mit dem Brandmal eines historisch frühen Scheiterns in einem Verband weiterzuarbeiten, der ihm nicht mehr nahe ist.

Für den DFB bedeutet das, dass derzeit alle Planungen ruhen. Unter normalen Umständen könnte der Verband auf dem kleinen Dienstweg Löws Tendenz erkunden, ihm ein Signal geben und womöglich eines von ihm empfangen - normal sind die Umstände aber längst nicht mehr. Es herrscht komplette Funkstille. Jede Seite unterstellt der anderen unlautere Absichten, keine Seite weiß, was die andere plant.

WM 2010: Deutsche Fans beim Serbien-Spiel
:Zeichensprache in Schwarz-Rot-Gold

Nicht nur Bundestrainer Joachim Löw musste wegen dem Vuvuzuela-Lärm bei der WM auf Gesten umstellen. Auch die Fans setzten deutliche Zeichen.

Als wahrscheinlich gilt, dass der im Verband wegen seiner Geschäftstüchtigkeit angefeindete Teammanager Oliver Bierhoff nach der WM seinen Posten bei der A-Elf aufgibt; Bierhoff kann sich das leisten, er ist eine unabhängige Persönlichkeit. Dass sein Ausstieg automatisch den Weg für Löws Vertragsverlängerung freimachen würde, ist aber ein Trugschluss: Ohne einen gleichgesinnten Manager an seiner Seite käme Löw seine geschätzte Autonomie abhanden, er wäre nur noch der oberste Verbandssportlehrer - eines Verbandes, dem er von Herzen misstraut und der ihm gewiss nicht nochmal einen eigenen Teammanager an die Seite stellen würde.

Es ist kaum denkbar, dass Löw sich den strategischen Vorgaben des Verbandssportdirektors Matthias Sammer unterwerfen würde. Zwar sind Sammer und Löw keineswegs so überkreuz wie Sammer und Bierhoff, dennoch ist zu hören, dass beide deutlich mehr trennt als nur die Frage, ob es auf dem Platz Führungsspieler geben darf (Sammer) oder nicht (Löw).

Wer diese Personalkonstellation bis zum Schluss durchdenkt, kann sich nur schwer vorstellen, dass Löw in diesem Verband noch einen Platz für sich sieht. "Sollte sich Joachim Löw gegen eine Fortsetzung seiner Tätigkeit entscheiden, gäbe es im Gegensatz zu 2004 aber eine viel größere Auswahl an Kandidaten, die infrage kämen", sagte Zwanziger am Dienstag dem Sport-Informationsdienst. Die zu Recht mit einigem Spott verfolgte Trainersuche 2004 hat Zwanziger geprägt, er hat sich damals geschworen, dass ein von ihm geführter DFB vorbereitet sein soll.

Sammer als Nachfolger?

Unter anderem deshalb wurde 2006 der lizenzierte Trainer Sammer als Sportdirektor eingestellt - um im Fall der Fälle für eine Übergangszeit als Nationalcoach zur Verfügung zu stehen. Die Löw-Partei unterstellt, dass aus der Übergangs- eine Dauerlösung werden soll. Hartnäckig hält sich im Umfeld der A-Nationalelf das Gerücht, wonach Zwanziger seinem Sportdirektor den Bundestrainerposten versprochen habe - eine Version, die Sammer nicht bestätigt.

Wer Sammers Weg verfolgt, darf meinen, dass er am liebsten Sportdirektor bleiben würde. Er hat großen Gefallen gefunden an seinem Strategenjob, er verweist auf die Erfolge der von ihm verantworteten DFB-Juniorenteams. Gleichwohl gilt als sicher, dass Sammer sich einem Notruf des Verbandes nicht verweigern würde. Wenn sie ihn fragen, würde er schon den Bundestrainer machen - unter gewissen Voraussetzungen. Die zentrale Voraussetzung wäre eine Demission des Rivalen Bierhoff, der ihm bisher den Zugriff auf die A-Elf verweigert.

Was aber passiert, wenn Löw mit seinem Team ein erfolgreiches Turnier spielt, wenn Deutschland diesen Trainer feiert? Theo Zwanziger gilt als durchaus anfällig für die Stimmungen im Land. Möglich, dass er dann bereit wäre, Löws Wünsche zu erfüllen. In diesem Fall könnte sich Löw daran erinnern, dass Bundestrainer der schönste Beruf der Welt ist.

© SZ vom 23.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: