WM 2010: Japan:Der mit dem Tigerschuss

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Freistoß-Spezialist Keisuke Honda ragt aus Japans tugendhafter WM-Elf heraus. Er hat die Gabe, Torhüter eiskalt zu erwischen - ähnlich wie in den japanischen Comics, die der Torjäger so liebt.

Moritz Kielbassa

Von Keisuke Honda ist die Marotte bekannt, zwei Armbanduhren zu tragen, an jeder Hand eine. Er findet, das fördere die "Körperbalance". Und Honda ist Fan von "Captain Tsubasa", einer japanischen Manga-Serie, in der junge Fußballer die Welt erobern. Hauptfigur des Comics ist der Knabe Tsubasa Ozora, der dem Traum nacheifert, mit Japan zur WM zu fahren. Sein bester Schuss ist der "Top Spin", bei dem der Ball anscheinend in hohem Bogen übers Tor fliegt, doch im letzten Moment die Richtung ändert, zum Verdruss des Torwarts. Honda mag auch Koijro Hyuga, den Comic-Stürmer mit dem scharfen, schnellen "Tigerschuss". Was diese Geschichten mit Honda, 23, zu tun haben? Jede Menge.

Der Jabulani-Versteher: Keisuke Honda hat offenbar die Gabe, Torhüter eiskalt zu erwischen. (Foto: rtr)

Wenn Japan am Dienstag gegen Paraguay die Chance hat, das erste Viertelfinale in seiner WM-Chronik zu erreichen, dann soll Honda, der Angreifer mit dem blondierten Haar, die Hauptrolle spielen. Wie schon bei seinem Siegtor in der Vorrunde gegen Kamerun und seinem mächtigen Freistoß zum 1:0 gegen Dänemark (3:1). Vielleicht hat Honda sogar ausreichend Klasse und Flair, um Japans zuletzt unerfüllte Sehnsucht nach einem neuen Fußballidol zu erfüllen.

Wie in den Zeichentrick-Büchern begann sein Weg in Fußballschulen der Heimat und führte nach Europa, 2008. In Venlo, einer beliebten Einkaufsstadt an der niederländisch- deutschen Grenze, stieg er mit dem VVV in die Eredivisie auf, Honda wurde zum Beckenbauer Venlos, die Fans sangen: "Keizer Keisuke". Auf der Tribüne saßen Späher aus London, Liverpool und der Bundesliga, gekauft hat ihn aber Anfang 2010 ZSKA Moskau. Auch dort zeigte Honda sofort, dass seine auffälligste Stärke harte, tückische Fernschüsse sind.

Die Torhüter schaudern

Der Torwart des FC Sevilla denkt an Hondas 2:1 unlängst in der Champions League - ein Hufschlag mit links aus 28 Metern -, ebenso schaudernd zurück wie sein dänischer Leidensgenosse ans 0:1 vorigen Donnerstag. Beide Treffer waren haltbar, doch Honda hat offenbar die Gabe, Torhüter kalt zu erwischen. Viele Freistoßschützen jammern, der WM-Ball sei derart glatt, dass er keinen Topspin-Drall entwickle, deshalb flöge er oft steil in den Oberrang. Der Jabulani-Versteher Honda wuchtete die Kugel gegen Dänemark auf kerzengerader Bahn ins linke Eck. Ähnlich zielbewusst bewertet er die Turnierperspektive: "Unser Weg ist noch nicht zu Ende", sagte er nach dem Eintritt in die K.o-Phase, und Kenner der Automobilwerbung fanden es besonders drollig, dass Herr Honda mit dem Satz zitiert wurde: "Nichts ist unmöglich".

Forsch mit Worten und ein wenig glamourös, damit ragt Honda heraus aus Japans Elf, deren Tugenden Fleiß und Disziplin sind. Seine Schnelligkeit und Energie hingegen sind typisch für die Gruppe, die wie ein blauer Ameisenhaufen übers Feld schwirrt. Honda ist erst seit kurzem Stammkraft. Nach einer ausufernden Teamkrise vor der WM - mit einer mäßigen Ostasien-Meisterschaft und 1:9 Toren in den letzten fünf Tests - hatte Trainer Takeshi Okada die Aufstellung und Taktik generalüberholt. Der offensiv vielseitige Honda ist nun Stürmer, eigentlich sieht ihn Kapitän Makoto Hasebe (VfL Wolfsburg) als "torgefährlichen Zehner, ein Typ wie Rafael van der Vaart".

WM 2010: Achtelfinale
:Der Raketen-Robben

Er nimmt Tempo auf, zieht nach innen, schießt - und der Ball ist im Tor. Beim 2:1 der Niederländer gegen die Slowakei macht Arjen Robben das, wofür man ihn so schätzt. Das Spiel in Bildern.

Japans größter Exportschlager war Hidetoshi Nakata, von 1998 bis 2006 in Italien und England erwerbstätig. Seinetwegen wurden Flugzeuge gechartert, um Fans aus Tokio zu Spielen des AS Rom zu bringen. Die russische Liga wird in Japan kaum beachtet, das ist ein Nachteil für Honda. Doch die WM-Schlagzeilen gelten ihm - nicht dem alten Anführer Shunsuke Nakamura, 31, den alle Fachmagazine als "Star des Teams" angekündigt hatten.

Eiskalt erwischt: Der dänische Torwart Thomas Sørensen streckt sich, doch Hondas Freistoß fliegt kerzengerade an ihm vorbei ins linke Eck. (Foto: rtr)

Nakamura ist von Gastspielen bei Celtic Glasgow und Espanyol Barcelona nach Yokohoma heimgekehrt, in Südafrika ist er bisher nur Reservist: "Irgendwann werde ich gebraucht", glaubt Nakamura, wie das der Trainer sieht, ist fraglich. Das Mittelfeld festigen die Arbeiter Hasebe und Abe (Urawa), gestalterisch bringt sich Yasuhito Endo (Osaka) ein, neben Honda der zweite Freistoß-Künstler (2:0 gegen Dänemark).

Okada, 55, ist zum zweiten Mal Nationaltrainer, seine erste Periode endete mit der mäßigen WM 1998. 2007 übernahm er wieder den Lehrstuhl des Verbandes, Vorgänger Ivica Osim hatte einen Schlaganfall erlitten. Vom früheren Profi Okada ist die Anekdote überliefert, er habe 1990 bei einem Testspiel gegen den FC Bayern beschlossen, Trainer zu werden - um zu studieren, wie man übermächtige Gegner besiegt. Den WM-Jahrgang 2010 vergleicht er mit "hungrigen Fliegen. Das sind keine Feiglinge. Um die Energie dieser Spieler beneiden uns viele".

Okada verblüffte alle, als er das "Halbfinale" als Ziel der Afrika-Tournee ausrief. Japans Stilmittel sind eher schlichter Natur: gute Defensive, taktisch weniger naiv als früher, mentale Stärke dank offenbar großer Eintracht im Team, Konter und Freistöße als Optionen des Außenseiters - und das höchste Laufpensum aller WM-Teams.

Okadas Kritiker grummelten schon, Kraft und Konzentration fürs Wesentliche, das Toreschießen, gehe auf den weiten Rennstrecken der Spieler verloren. Kaum jemand in Japan erwartete eine erfolgreiche WM. Der Zustand der Nationalelf galt zuletzt als Beleg für den großen Abstand zur Weltspitze und als Spiegel des sinkenden Niveaus in der J-League. Nun werden gegen Paraguay die Grenzen nach oben neu erforscht.

Buchwald als Nachfolger?

Ins Achtelfinale kam Japan bei drei Versuchen bis dato nur 2002, bei der Heim-WM. Damals war der Franzose Troussier Trainer, Okada galt als zu unerfahren. Zu Verbandspräsident Motoaki Inukai soll Okada keine sehr herzliche Beziehung haben, heißt es, sein Abschied nach Südafrika sei sicher.

Als neuer Trainer ist der Japan-affine Guido Buchwald im Gespräch, der kürzlich von Inukai als Verbandsberater "für internationale Beziehungen" verpflichtet wurde. Über Buchwald als möglichen Trainer wird in Japan aber kontrovers diskutiert, seit seinem Aus 2007 in Aachen ist der Schwabe ohne Anstellung. Auch der Argentinier Pekerman und Chiles Trainer Bielsa wurden an der Börse in Tokio gehandelt.

Okada denkt ans Jetzt. Als letzte Hoffnung Asiens im Turnier solle man "mit Stolz spielen", sagt er. Seine eigene Ehre ist durch die WM wiederhergestellt, eine Zeitung pries ihn als "Buddha und Seine Hoheit Okada". So funktioniert Fußball, nicht nur im Comic.

© SZ vom 29.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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