WM 2010: Deutschland:Von Kätzchen zu Löwen

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Erst das 4:1 gegen England, nun das 4:0 gegen Argentinien: Eine derart fulminante Woche hat Fußball-Deutschland noch nicht erlebt. Und Michael Ballack muss einsehen, dass sich erst durch sein Fehlen eine passable Mannschaft zu einer zauberhaften Gruppe gewandelt hat.

Thomas Hummel

Michael Ballack saß auf der Tribüne im Kapstadt Green Point Stadion. Er lachte und freute sich bei den Toren der deutschen Mannschaft. Seiner deutschen Mannschaft. Nach Aussagen vieler ist er ja immer noch der Kapitän.

Eine Einheit: Die deutsche Nationalmannschaft beim sogenannten Turmbuilding mit Lukas Podolski als Spitze. (Foto: afp)

Als der 33-Jährige kurz vor der WM von Kevin-Prince Boateng aus dem Turnier getreten wurde, war dies ein harter Schlag. Wer sollte ihn ersetzen? Ist er überhaupt ersetzbar? Der einzige deutsche Spieler, der seit Jahren das Attribut Weltklasse mit sich herumtrug. Das Fußballland haderte.

Sechs Wochen danach weiß es das Fußballland besser. Aus einer passablen Gruppe mit dem riesenhaften Anführer Ballack ist eine zauberhafte Gruppe mit vielen kleinen und großen Anführern geworden. 4:1 im Achtelfinale gegen England, 4:0 im Viertelfinale gegen Argentinien - Deutschland fliegt. Mit jungenhaften, kraftvollen Flügeln segelt es durch die WM, wie das selbst Träumer nicht erträumen konnten. Eine derart fulminante Woche hat es in der DFB-Geschichte noch nicht gegeben.

Fulminantes Feuerwerk

Viele belächelten den Kapitän Philipp Lahm, als er im Vorfeld der Südafrika-Reise die Mannschaft als beste gepriesen hatte, in der er je gespielt habe. Wer will ihm jetzt noch widersprechen? Hat er geahnt, dass Arne Friedrich sich in die Reihe der zähsten deutschen Verteidiger spielt? Dass Bastian Schweinsteiger sich zum König des Mittelfelds krönt, Sami Khedira endlose Lauferei mit gescheiten Pässen verbindet, Mesut Özil das feinste Füßchen der WM hat, Thomas Müller den neuen Spielertypen des freigeistigen Räumesuchers erfindet? Dass Lukas Podolski und Miroslav Klose sich abermals von Bundesliga-Kätzchen in Nationalmannschafts-Löwen verwandeln?

Deutschland muss sehr lange zurückdenken, um eine Mannschaft mit derart vielen Talenten zu finden. Es ist Löws Verdienst, diese Talente gesehen und zur Blüte verholfen zu haben. Die Verletzung von Ballack, so schwer das für den (Ex-)Kapitän ist, kam ihm da gelegen. Damit 33-Jährige schied der letzte Platzhirsch aus, er wollte auf und neben dem Feld den Ton angeben, als Anführer die Entscheidungen treffen. Ohne ihn konnte Löw die Mittzwanziger Lahm, Schweinsteiger, Mertesacker, Podolski neue Verantwortungen geben. Und weil diese Mittzwanziger nicht vom Führungsspieler-Duktus durchdrungen sind, sondern viel Wert auf eine angenehme Atmosphäre legen, in der sich auch die Jüngeren entfalten, entstand ein Team voller Kraft, Energie und Lust am Spiel.

Noch ist nicht ausgemacht, dass die fliegenden Deutschen mit dem Weltpokal zu Hause landen werden. Im Halbfinale warten die Spanier, die seit vielen Jahren kein wichtiges Spiel mehr verloren haben. Doch selbst wenn diese Mannschaft noch scheitert, wird sie in Erinnerung bleiben als fulminantes Feuerwerk des Fußballsports, wie es Deutschland noch nicht gesehen hat.

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