Wintersport:Jenseits des Gletschers

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Auch im Leistungssport erfolgreich: Linus Witte vom SC Aibling ist deutscher U21-Meister in der Kombination. (Foto: Christian Walgram/Gepa Pictures/Imago)

"Bei uns muss niemand Millionär sein, um Rennfahrer werden zu können": Der SC Aibling ist vom Deutschen Skiverband mit dem Vereinspreis ausgezeichnet worden - und zeigt sich auch in der Pandemie kreativ.

Von Celine Chorus, Bad Aibling

In die enttäuschten Gesichter der Kinder zu blicken, war auch für einen erfahrenen Trainer wie Thomas Priermeier kaum auszuhalten: "Als wir ihnen mitteilen mussten, dass das angesetzte Training ausfallen wird, haben sie angefangen, vor der Kamera zu weinen." Gerade war der SC Aibling vom Deutschen Skiverband (DSV) mit dem Vereinspreis ausgezeichnet worden - für einen gemeinnützigen, mit ausschließlich ehrenamtlichen Machern agierenden Skiklub eine ziemliche Leistung -, als den Kindern die Vorfreude auf eine baldige Rückkehr in den Schnee erneut genommen wurde. Seit März vergangenen Jahres konnte mit Ausnahme des Landeskaders nicht in den Bergen trainiert werden, auch im Winter blieben die Pisten im angrenzenden Sudelfeld geschlossen. Dabei sei die Ansteckungsgefahr sehr gering, meint SCA-Präsident Stefan Rossteuscher: "Deshalb haben wir nicht nachvollziehen können, warum von der bayerischen Staatsregierung keine Abwägung getroffen wurde."

Um seinen Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, trotz der geltenden Beschränkungen gemeinsam zu trainieren und sich zumindest am Bildschirm zu treffen, hat der SC Aibling bereits im April 2020 ein Online-Trainingsangebot ins Leben gerufen. Bei dem Projekt "SkiAthletik dahoam" setzte der Verein auf eine Kombination aus wöchentlichen Trainingseinheiten im Rahmen eines gemeinsamen Zoom-Meetings und aus zusätzlichen Übungseinheiten, die zum Nachtrainieren auf den Social-Media-Kanälen hochgeladen wurden. Bis zum Schluss hätten viele Kinder teilgenommen, "aber wir haben auch schnell die Grenzen des Online-Trainings gesehen", sagt Priermeier. Daher wurden Profis wie Luca Engler (24, Ice Cross) und Friedi Kühne (31, Slacklining) um Unterstützung gebeten: "Wir haben sie eingeladen, mehrere Videos für uns zu drehen. Das hat den Kindern zusätzliche Motivation gegeben."

In Deutschland mangelt es an leistungswilligem Nachwuchs

Mit Stabilisationsübungen die körperlichen Fähigkeiten verbessern und durch polysportives Training neue Bewegungsabläufe erlernen - dieses auf die Monate zwischen Ostern und Weihnachten ausgelegte Konzept ist nicht erst durch die Corona-Pandemie entstanden: Um seine Rennfahrer leistungsfähiger zu machen, verfolgt der SC Aibling bereits seit Jahren den Ansatz, nicht nur im Schnee, sondern auch in der Halle zu trainieren. Das hat den Nebeneffekt, dass weniger teures Gletschertraining absolviert werden muss und die Athleten sich trotzdem eine gute Fitness antrainieren. "Ich würde mir wünschen, dass in dieser Hinsicht bei manchen Eltern ein Umdenken stattfindet. Auch durch die unterschiedlichen Trainingsangebote im Sommer können die Kinder gefördert werden", sagt Rossteuscher: "Dafür müssen wir uns nicht bei schlechten Witterungsverhältnissen auf dem Gletscher herumquälen."

Dass dieses Trainingskonzept sogar bis zum Leistungssport funktionieren kann, zeigen auch die jüngsten Erfolge des SC Aibling im Nachwuchsbereich. So ist Linus Witte, 19, amtierender deutscher U21-Meister in der Kombination und wurde als einer von nur vier deutschen Athleten für die Junioren-WM im bulgarischen Bansko nominiert (wo er im Slalom und Super-G ausschied). In seinem jüngeren Bruder Jonas Witte, 17, sowie Jacob Schramm, 21, stehen zudem zwei weitere Fahrer aus Bad Aibling im Landeskader. Gerade in Zeiten, in denen der Skisport nicht nur nach Meinung von DSV-Sportdirektor Wolfgang Maier einen "gewissen elitären Charakter" bekommen habe, ist das eine beachtliche Leistung. Denn der Wintersport erfreut sich zwar weiterhin großer Beliebtheit, trotzdem mangelt es in Deutschland an leistungswilligen Nachwuchsathleten.

Doch um in der nächsten Generation erfolgreich zu sein, "braucht man ein möglichst großes Fundament an Talenten", sagt Priermeier mit Blick auf die Nachwuchssorgen: "Und das ist in Deutschland, zumindest in der Breite, nicht mehr gegeben." Das hat auch mit den hohen Kosten im Skisport zu tun, die nur wenige Familien über Jahre stemmen können. Auch Linus Witte ist mit dieser Situation konfrontiert worden: "Ohne die Unterstützung des Vereins wären mein Bruder und ich nicht mehr weitergefahren. Dann hätten wir aufgehört, weil unsere Eltern es sich nicht mehr leisten konnten." Der SC Aibling möchte die Kinder mit günstigen Preisen zum Skifahren bringen und unterstützt auch die Kaderathleten mit erheblichen Mitteln: "Bei uns muss niemand Millionär sein, um Rennfahrer werden zu können", betont Rossteuscher.

Mit neuen Konzepten möchte der SC Aibling mehr Kinder auf die Skier bekommen

Trotzdem seien die sinkenden Mitgliederzahlen im deutschen Skisport nicht auszublenden. "In Deutschland müssen wir schauen, dass wir mehr Kinder auf die Skier bekommen. Das ist die Aufgabe von uns, den Vereinen an der Basis", sagt Priermeier. Deshalb hat der Verein eine Kooperation mit dem ansässigen Kindergarten gestartet, um ihnen die Freude an der Bewegung zu vermitteln und dadurch für den Skiclub zu gewinnen. Zudem haben sich die Trainer während des Lockdowns eine Kompetenz im Online-Training angeeignet, die sich inzwischen auch außerhalb von Bad Aibling herumgesprochen habe: So unterstützt der SC Aibling eine Reihe von Schulen in Bayern beim Distanzunterricht. Mit ihnen sollen auch gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt werden, um die Kinder an den Skisport heranzuführen - sobald die Beschränkungen aufgehoben sind.

Rossteuscher sieht seinen Verein für die zu bewältigenden Herausforderungen gerüstet: "Ich denke, dass wir für einen Verein in unserer Gegend - sowohl in die Breite als auch in die Spitze - sehr gut aufgestellt sind." Denn trotz des erfolgreichen Umgangs mit der Corona-Pandemie dürfe das generelle Nachwuchsproblem im deutschen Skisport nicht in den Hintergrund rücken. Aufgrund der politischen Vorgaben - DSV-Sportdirektor Maier monierte, dass man in anderen Ländern "sehr viel bessere Lösungen" für den Sport gefunden habe - droht Deutschland im internationalen Vergleich den Anschluss zu verlieren: "Wie der letzte Winter verlaufen ist, ist nicht nur für uns, sondern für alle Vereine und den gesamten Skisport sehr deprimierend", beklagt Rossteuscher: "Das ist eine Entwicklung, die uns nicht zufrieden stellen kann."

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