2. Bundesliga:Werder ist zurück im Licht

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Rational, nüchtern, erfolgreich: Werder-Coach Ole Werner. (Foto: Ulrich Hufnagel/imago)

Abstieg? Impfpass-Skandal? Werder Bremen hat seinen Frieden gemacht mit der jüngeren Vergangenheit und befindet sich im Aufschwung. Trainer Ole Werner muss sogar Parallelen zu Klublegenden ertragen.

Von Thomas Hürner, Bremen

Der sportliche Trümmerhaufen war noch nicht ganz beiseite geräumt, die lädierten Seelen waren noch nicht genesen, als im vergangenen November eine Meldung apokalyptischen Ausmaßes in der Bremer Geschäftsstelle einging.

Sie lautete: Die Leute mögen den SV Werder nicht mehr.

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Zu diesem Ergebnis war ein Meinungsforschungsinstitut gekommen, das eine Studie über die aktuellen Beliebtheitswerte aller Fußball-Bundesligisten angefertigt hatte. Und da stand es, Schwarz auf Weiß: Werder war Tabellenletzter, also noch schlechter postiert als im Endklassement der vergangenen Saison, die den Sturz in die Zweitklassigkeit zur Folge hatte. Konnte das wirklich sein? Ausgerechnet das kleine und tapfere Werder, das gallische Dorf in der Fußballrepublik, der Underdog aus Überzeugung? Dabei heißt es ja immer, die Menschen liebten den Underdog.

Werder war mal der Inbegriff des grundsoliden Fußballklubs

Werder-Sportchef Frank Baumann zweifelte damals an der Aussagekraft der Studie, er kritisierte deren Methodologie und gab dann im nächsten Halbsatz zu verstehen, dass er von Methodologie überhaupt keine Ahnung habe. Auch das passte in das Bild, das die Bremer in den vergangenen Jahren abgegeben haben: Bemüht, aber auch ein bisschen inkonsistent. Werder, der Inbegriff eines grundsoliden Fußballklubs, das Gegenmodell zum launenhaften Profimilieu, hatte so ziemlich alles verloren, was den Verein über Dekaden ausgezeichnet hatte: am Ende sogar den inoffiziellen Titel "beliebtester Zweitlieblingsklub" des Landes.

Brachte einige Unruhe nach Bremen: Trainer Markus Anfang, vom DFB nun wegen seiner Impfpass-Lüge gesperrt. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Wie fern all das zu Beginn des Jahres 2022 wirkt! Der einstige Meister und Europapokalsieger scheint angekommen zu sein in der zweiten Liga, er hat seinen Frieden gemacht mit der jüngeren Vergangenheit und sich wieder auf die etwas länger zurückliegende Vergangenheit besonnen. Damals, als Werder für kreative Entscheidungen stand, für einen offensiven und mutigen Stil.

Denn aktuell lässt sich das Zweitliga-Team nur unter Verwendung von Silbentrennung angemessen beschreiben: Spek-ta-ku-lär. In den vergangenen fünf Spielen hat Werder im Schnitt 3,6 Tore erzielt, die fünf Spiele wurden allesamt gewonnen, der Traditionsklub ist nach mäßigem Saisonstart bis in die Aufstiegsregionen vorgerückt - und in Bremen hält es natürlich niemand für einen Zufall, dass diese Sturm- und Drangperiode exakt mit der Dienstzeit des neuen Trainers Ole Werner zusammenfällt.

Werner passt besser in die Werder-Familie als der Rheinländer Anfang

In dieser Woche erinnerten zwei Artikelüberschriften daran, wie gut es das Schicksal mit dem Traditionsklub gemeint haben könnte. Nummer eins: "Nach Impfpass-Skandal - DFB sperrt Ex-Werder-Trainer Anfang für ein Jahr". Nummer zwei: "Schnappt sich Werner nun den Rehhagel-Rekord?" Zur Erinnerung: Werner, 33, übernahm den Trainerjob im November recht unvermittelt von Markus Anfang, weil dieser als Inhaber eines gefälschten Impfpasses überführt worden war und den Klub wie auch die Behörden belogen hatte.

Unter sportlichen Aspekten, hört man aus Bremen, sei man mit Anfang stets zufrieden gewesen, der Coach habe junge Akteure integriert und der Mannschaft eine Offensiv-Mentalität verpasst. Jedoch: In die sogenannte "Werder-Familie" passe der unaufgeregte Werner halt schon deutlich besser als der bisweilen aufbrausende Rheinländer Anfang.

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Wie an Traditionsstandorten üblich, werden nach den Werner'schen Erfolgswochen bereits Parallelen zu allerlei Klublegenden gezogen, die Fans und Regionalmedien sind sich nur noch nicht ganz sicher, ob die Fußstapfen von Otto Rehhagel oder Thomas Schaaf nun die passende Vergleichsgröße sind. Nur noch drei Siege fehlen zu "König Ottos" Startrekord aus der Saison 1980/81, allerdings kann Werner eher wenig anfangen mit Rehhagels früherer Interpretation der "kontrollierten Offensive".

Seit der Schaaf-Ära in den Nullerjahren herrscht im Weserstadion so oder so eine nostalgische Sehnsucht nach dem schönen Spiel, nach dieser Kunst der Leichtigkeit, die Einzelkönner wie Johan Micoud und der Brasilianer Diego als Erbe hinterlassen haben. Werners Werder gibt sich jedenfalls große Mühe, diese Philosophie auch im ruppigen Unterhaus zu wahren. Und wenn sich auch noch der Gegner am Angreifen beteiligt, ergibt das ein knalliges Unterhaltungsprogramm wie beim 4:3-Erfolg am vergangenen Wochenende in Paderborn.

"Die Gruppe funktioniert sehr gut", sagt der Werder-Coach

Mit der jüngsten Entwicklung, sagte Werner am Mittwoch, könne man schon "sehr zufrieden" sein. Die Bremer hatten gerade ihr erstes Spiel unter der Regie des neuen Trainers verloren, ein 0:1 gegen den niederländischen Erstligisten PEC Zwolle, aber der Testkick-Charakter und der ackerbraune Rasen nahmen diese Partie freilich aus der offiziellen Werner-Gesamtwertung. Bedeutsamer als das Spiel war ohnehin, wer den Auftritt der Werder-Reservisten von der Tribüne aus sah.

Einer aus dem neuen Führungszirkel der Mannschaft: Spielmacher Leonardo Bittencourt (rechts). (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Trotz eines freien Nachmittags hatte sich der dort Führungszirkel der Bremer Mannschaft versammelt; dem peitschenden Nordwind trotzten unter anderem die Verteidiger Ömer Toprak und Marco Friedl, der Spielmacher Leonardo Bittencourt, die Stürmer Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch. Wer wollte, konnte darin eine zumindest kleine Symbolik erkennen. Und Werner wollte: "Das haben die Jungs selbst so entschieden", berichtete der Coach, "und das zeigt, dass es insgesamt eine Gruppe ist, die sehr gut funktioniert."

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Werners rationale, nüchterne Art steht auch exemplarisch für den Reflexionsprozess, den der gesamte Klub und sein Umfeld in den vergangenen Monaten durchlebt haben. Die Bremer Fans sind leidensfähig, sie sind in schlechten Phasen auch geübt darin, ihren Frust hinter einer Mauer aus Optimismus zu verstecken. Wenn es gut läuft, dann schwelgen sie aber auch gerne in den großen Momenten der Vereinsgeschichte.

Das war zum Beispiel der Fall, als die Bremer in der Saison 2018/2019 nur knapp an der Qualifikation für den Europapokal gescheitert waren - und weil auf der Werder-Geschäftsstelle insbesondere auch langjährige Werder-Fans arbeiten, sah man dort den passenden Augenblick gekommen, um die hanseatischen Prinzipien über Bord zu werfen und einen Angriff auf die internationalen Plätze zu starten.

Bei Werder wären "beinahe die Lichter ausgegangen", heißt es in der Bremer Führungsetage

Sportchef Baumann sowie der Finanzchef Klaus Filbry setzten einiges auf diese Karte und verzockten sich am Ende, weil es gegen die wirtschaftlich potenteren Retortenunternehmen aus Wolfsburg, Leverkusen und Leipzig nur wenig zu gewinnen gab. Kurz darauf fegte die Pandemie über den Globus und sorgte dafür, dass "beinahe die Lichter ausgegangen" wären, wie das heute in der Bremer Führungsetage formuliert wird. Dann kamen der Abstieg, die Runderneuerung des Kaders, der Impfpass-Eklat um Trainer Anfang.

Und nun? Stehen die Chancen stehen ganz gut, dass die Beliebtheitswerte des SV Werder wieder ein wenig gestiegen sind. Den letztgültigen Beweis dafür müssen jetzt eigentlich nur noch die Meinungsforscher erbringen.

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