Vorwürfe gegen Markus Anfang:Mit schweren Risiken und Nebenwirkungen

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Ende für Anfang: Der Bremer Trainer und sein Assistent müssen den Traditionsklub schon wieder verlassen - die Vorwürfe gegen beide wiegen schwer. (Foto: Kokenge/Nordphoto/imago)

Wegen des Vorwurfs, ein Impfzertifikat gefälscht zu haben, ermittelt nun die Staatsanwaltschaft gegen den Fußballtrainer Markus Anfang. Der Schaden für seinen Ex-Klub Werder Bremen ist schon jetzt immens.

Von Thomas Hürner, Bremen

Der Ordner an Tor 1 des Bremer Weserstadions, ein freundlicher und zuvorkommender Mitarbeiter des SV Werder, hatte am Samstag einen Job, um den ihn niemand beneiden musste. Tapfer hielt er die Stellung, während dieser fiese Sprühregen vom Himmel kam, den es so nur im Norden der Republik gibt. Der Abend des Ordners war aber noch aus einem weiteren Grund anstrengend. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Impfnachweise der Stadiongänger zu kontrollieren, weshalb er sich inmitten eines anderen Wolkenbruchs zurechtfinden musste: Es hagelte schlechte und vorhersehbare Witze.

"Der ist nicht gefälscht, wirklich nicht", unkte der erste Besucher, als er seinen digitalen Impfpass samt Ausweisdokument vorzeigte. Der Nächste gab zu Protokoll, er habe gehört, bei der anstehenden Partie handele es sich um eine Veranstaltung nach 4-G-Bestimmungen: "Geimpft, genesen, getestet und gefaked." Der Ordner rang sich ein gequältes Lächeln ab, ehe er zu verstehen gab, Sprüche dieser Art bereits dutzendfach gehört zu haben. Er fügte hinzu: "Was ein Wahnsinnstag, ey, sowas hab' ich noch nie erlebt." Er hielt kurz inne. "Einfach nur Wahnsinn."

Das 1:1 gegen Schalke war für die Bremer lediglich eine Randnotiz wert

Man konnte dem Ordner die mittelprächtige Laune nachsehen, er ist glühender Werder-Fan. Und fürwahr: Mit "Wahnsinn" waren die vorangegangen Ereignisse treffend beschrieben. Es ging um einen mutmaßlichen Schwindel, einen Besuch der Polizei im Weserstadion sowie um Fragen der Integrität, die über den Fußball hinausgehen. Dass die Bremer im Spiel gegen den FC Schalke 04 einen nahezu anrüchigen Elfmeter erhielten und in letzter Sekunde zum 1:1 trafen, unter Flutlicht, beim Zweitliga-Duell der abgestiegen Traditionsklubs? Das konnte kaum vergessen machen, was sich in den Tagen zuvor zugetragen hatte.

Anfang tritt als Werder-Trainer zurück
:Mit sofortiger Wirkung

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Markus Anfang wegen des Vorwurfs, ein Impfzertifikat gefälscht zu haben - nun lösen Werder und der Trainer den Vertrag auf. Sollte sich der Verdacht bestätigen, drohen weitere Konsequenzen.

Von Thomas Hürner

Begonnen hatte alles am Donnerstag mit einer Pressemitteilung, um 22.27 Uhr, was bereits nahelegte, dass es sich um einen Vorfall von besonderer Tragweite handeln musste. Der Titel des Kommuniqués auf Werders Internetseite: "Stellungnahme zum Impfstatus von Markus Anfang". Der Klub gab auf diesem Wege bekannt, dass gegen den Trainer des Bremer Profiteams ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, wegen der Nutzung eines angeblich gefälschten Zertifikats, mit dem er eine Corona-Schutzimpfung nachweisen wollte. Auffällig war jedoch: Stellung bezog lediglich Markus Anfang, der sich "irritiert" und "verärgert" zeigte und beteuerte, wie "jeder andere Bürger" eine Impfung erhalten und nichts Falsches getan zu haben.

Am Samstagvormittag war Anfang dann nicht mehr Trainer von Werder Bremen.

Eine Art Schuldeingeständnis? Anfang hat sich zu den Anschuldigungen seither nicht mehr geäußert. Das hängt gewiss auch mit den laufenden Ermittlungen zusammen. Seinen Vertrag mit dem Klub hat der 47-Jährige, für den weiterhin die Unschuldsvermutung gilt, jedenfalls auf eigenen Wunsch hin aufgelöst - zusammen mit seinem Assistenten Florian Junge, der auch in die Sache verwickelt zu sein scheint. Den SV Werder entbindet das von der Pflicht, weiter für die Gehälter des Trainerduos aufzukommen. Der Imageschaden ist aber bereits enorm für den Traditionsklub vom Osterdeich, bei dem man sich gerne auf die sogenannte "Werder-Familie" besinnt: Durch dick und dünn soll's gehen, auch dann noch, wenn das Schiff bereits gewaltig ins Wanken geraten ist.

Die Werder-Verantwortlichen sind auf Distanz zu ihrem einstigen Trainer gegangen

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Ermittlungen hatte sich Frank Baumann, bei Werder der Geschäftsführer für das Ressort Sport, noch demonstrativ hinter den Trainer gestellt. Ein nachvollziehbarer Reflex in einer noch undurchsichtigen Gemengelage. Am Samstag erklärte Baumann dann, dass "weitere Entwicklungen" und eine "andere Sachlage" dazu geführt hätten, den Bruch mit dem "wichtigsten Mitarbeiter" des SV Werder zu vollziehen. Vor dem Spiel gegen Schalke sprach der Finanzchef Klaus Filbry bereits von einer "sehr klaren Indizienlage".

Und in der Tat: Es deutet nicht nur einiges darauf hin, dass die Beschuldigten eine Straftat begangen haben könnten, mit der sie als Personen des öffentlichen Interesses eine Impfung vortäuschten. Ein fatales Signal in Zeiten der in die Höhe schießenden Infektionszahlen. Sie hätten überdies den Klub, seine Fans sowie die Öffentlichkeit belogen - und dabei eine bemerkenswerte Dreistigkeit an den Tag gelegt.

Erste Unstimmigkeiten waren am Ende der vergangenen Woche aufgetaucht, als das Bremer Gesundheitsamt den Corona-Fall des Werder-Verteidigers Marco Friedl auf den Tisch bekam. Die Behörde machte sich an die Arbeit: Verfolgen der Infektionsketten, Überprüfen des Impfstatus der Kontaktpersonen, weil sich Nicht-Geimpfte in einem solchen Fall in Quarantäne begeben müssen. Alles Routine. Allerdings nur, bis ein genauer Blick ins gelbe Impfbüchlein von Anfang geworfen wurde. Die Chargennummer des Impfstoffs ließ sich offenbar nicht zuordnen, und einer der beiden Impftermine überschnitt sich mit einer dienstlichen Verpflichtung des Trainers. Hatte Anfang sich ein gefälschtes Dokument beschafft? Das Gesundheitsamt wurde stutzig und stellte Strafanzeige.

Anfang, so berichtete es Finanzchef Filbry, habe bis zuletzt versichert, dass er geimpft sei und alles seine Richtigkeit habe. Zweifel an dieser Version dürften den Bremer Verantwortlichen spätestens gekommen sein, als die Polizei am Freitag an der Bremer Geschäftsstelle vorstellig wurde, samt Befehl zur Hausdurchsuchung und der Bitte nach Kooperation. Anfang und Co-Trainer Junge seien daraufhin umgehend zum Weserstadion gefahren, um ihre Impfpässe auszuhändigen, so Filbry. Wenig später habe das Trainerduo bei Sportchef Baumann angerufen und um die Auflösung der Verträge gebeten.

"Ich bin selbst geimpft, aber jeder darf seine Entscheidung treffen", hatte Anfang vor knapp einer Woche noch gesagt

Was Filbry außerdem erzählte: Anfang, der vor der Saison aus Darmstadt an die Weser gewechselt war, habe bereits im Sommer Vorbehalte gegenüber einer Impfung geäußert. Als Klub sei man damals in den Dialog mit dem Trainer getreten, was kaum verwundert, da Werder vehement fürs Impfen geworben hatte und die eigenen Fans nur nach dem 2G-Modell ins Stadion lässt. Im Herbst sei Anfang dann an die Klubführung herangetreten, so Filbry, und habe diese über seine vollzogene Impfung informiert. Später machte der Trainer dies auch öffentlich, zum Beispiel in einem Interview vor knapp einer Woche: "Ich bin selbst geimpft, aber jeder darf seine Entscheidung treffen", sagte Anfang der Bild. Ein kalkulierter Schwindel?

Der Schaden ist jedenfalls schon jetzt immens für den SV Werder, fürs Image, auch sportlich und finanziell. Anfang galt nach dem Abstieg als Idealbesetzung fürs Traineramt in Bremen, er bekam von den Verantwortlichen einen Stift an die Hand, mit dem er eine lange Linie zeichnen sollte. Bis auf Weiteres wird das Team von Co-Trainer Danijel Zenkovic geleitet, er stand bereits gegen Schalke an der Seitenlinie.

Und die Ablöse in Höhe von 400 000 Euro, die angeblich an Darmstadt entrichtet wurde, damit die klammen Bremer vor der Saison ihren Wunschtrainer verpflichten konnten? "Für uns ist die Akte Markus Anfang geschlossen", sagte Filbry. Die Staatsanwaltschaft legt offenbar erst richtig los.

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