Bundesliga:Den Abstieg vor Augen

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Werder-Trainer Florian Kohfeldt. (Foto: Getty Images)

Bremens Chancen auf den Klassenerhalt schwinden mit dem 1:3 in Mainz noch weiter. Der sonst so kampfeslustige Trainer Kohfeldt wirkt geschockt.

Von Frank Hellmann

Jiri Pavlenka wollte am Ende nicht mehr aufstehen. Der Torhüter des SV Werder kauerte am Pfosten seines Tores in der leeren Mainzer Arena. Den Abstieg vor Augen, schien der stille Keeper allein sein zu wollen. Sich selbst hatte er nichts vorzuwerfen: Mit seinen Paraden hatte Pavlenka, 28, verhindert, dass die 1:3 (0:2)-Niederlage der Bremer im Abstiegsendspiel beim FSV Mainz 05 noch höher ausfiel. Das sagt eigentlich alles über die nicht mehr erstligataugliche Verfassung seiner Vorderleute.

Entsprechend geschockt wirkte Florian Kohfeldt nach einer Niederlage, die kaum mehr reparabel erscheint. "Wir haben eine riesengroße Chance vergeben. Deshalb bin ich sehr enttäuscht. Ich bin leer", sagte der Werder-Trainer, der am Samstagabend kaum noch Kampfeslust verbreitete. Bei der Pressekonferenz standen ihm beinahe Tränen in den Augen. Der 37-Jährige hatte in seiner Coaching Zone seit Wochen keine verbale Auseinandersetzung gescheut, um das leckgeschlagene Schiff vor dem Untergang zu bewahren - nun schien auch er eingedenk der Ausweglosigkeit zu kapitulieren. Zwei Punkte und vier Tore fehlen auf Fortuna Düsseldorf. Selbst bei einem Düsseldorfer Remis bräuchten die Bremer einen Kantersieg im letzten Heimspiel gegen den 1. FC Köln.

Wie soll das einem Team gelingen, das in dieser vollkommen verkorksten Spielzeit nur einen einzigen Heimerfolg - am 1. September vergangenen Jahres gegen den FC Augsburg (3:2) - zustande brachte? Und die schon oft zitierten "Wunder von der Weser" haben sich allein im Europapokal abgespielt. Bremen droht der zweite Abstieg nach 1980. "Es ist nur eine geringe Chance. Aber es ist noch eine Chance. Das sind wir jedem Fan, jedem Mitarbeiter schuldig", sagte Kohfeldt noch, fing aber den Optimismus gleich selbst wieder ein: "Ich kann heute nicht Zuversicht verbreiten." Der Trainer des Jahres 2018 sah sich außerstande, eine normale Analyse dieser Partie anzustellen.

"Wir müssen auf die Mannschaft mit dem großen Sportsgeist hoffen", sagt Kohfeldt mit Blick auf Union Berlin

Werder wirkte zu wenig wehrhaft, um die Grundlage für die Rettung zu bereiten. Die Wahrscheinlichkeit ist nun groß, dass die Bundesliga einen Verein verliert, der mit einer Unterbrechung immer dazugehörte. Die Bremer sind auf Schützenhilfe von Union Berlin angewiesen, das nächsten Samstag Düsseldorf empfängt. "Wir müssen auf die Mannschaft mit dem großen Sportsgeist hoffen", sagte Kohfeldt in Richtung der Berliner.

Seine Mannschaft hatte in Mainz zwar anfangs durch Josh Sargent (4.) und Leonardo Bittencourt (7.) gute Gelegenheiten vergeben, doch dann zeigte sich die altbekannte Schwäche bei Standardsituationen: Nach einem Freistoß von Daniel Brosinski gewann Karim Onisiwo das erste Kopfballduell, dann brachte Robin Quaison im Nachsetzen die Kugel über die Linie - Schiedsrichter Manuel Gräfe erhielt an seiner Uhr sofort das Signal zum 1:0 (25.). Werder hatte das 22. Gegentor nach einer Ecke oder einem Freistoß geschluckt.

Der Rückstand war Gift für die Grün-Weißen: Nachdem Danny Latza sich recht ungestört durchs Mittelfeld dribbelte, setzte Jean-Paul Boetius nach der Hackenvorlage des Kapitäns gleich den nächsten Vorstoß an und stellte mit seinem unhaltbaren Linksschuss auf 2:0 (30.). Warum die Bremer nur Spalier standen, fand Kohfeldt "nur bedingt erklärbar". Seine Kritik: "Das müssen wir einfach verhindern, das müssen wir anders verteidigen. Wir müssen da sein, das haben wir 33 Spieltage nicht geschafft."

Hätte Torwart Pavlenka nicht bei einer Doppelchance von Onisiwo und Jean-Philippe Mateta zweimal prächtig reagiert, hätte Werder auch noch ein drittes Tor kassieren können (36.). Vereinspräsident Hubertus Hess-Grunewald und Aufsichtsratschef Marco Bode falteten auf ihren roten Schalensitzen die Hände wie beim Gebet, als bräuchte ihr 1899 gegründeter Verein im 1899. Bundesligaspiel höheren Beistand. Es sollte nicht helfen.

Der von der Geschäftsführung geschützte Kohfeldt hatte in dieser wegweisenden Partie auch kein glückliches Händchen bewiesen: Mit der eher defensiv orientierten 3-5-2-Formation mit Christian Groß als zentralem Kopf der Dreierkette für den nicht einsatzfähigen Kevin Vogt setzte der 37 Jahre alte Fußballlehrer letztlich falsche Signale. Immerhin brachte die Einwechslung von Niclas Füllkrug kurzzeitig einen positiven Effekt, denn der neun Monate verletzte Mittelstürmer war mit seinem Einsatz wesentlich am 1:2 von Yuya Osako beteiligt (58.).

Doch erstaunlicherweise löste der Anschlusstreffer keine echte Aufbruchsstimmung aus. Werder hatte am Ende mit Sargent, Füllkrug, Claudio Pizarro und Davie Selke zwar vier echte Mittelstürmer auf dem Rasen, die Durchschlagskraft blieb auf dem Niveau eines Abstiegskandidaten. Nachdem Adam Szalai (66.) und Onisiwo (69.) noch an Pavlenka scheiterten, machte der eingewechselte Edimilson Ferndandes alles klar für die nun endgültig geretteten Mainzer (85.).

Normalerweise wären die Nullfünfer nach Abpfiff zu dem bekannten "Ole Ole Fiesta" auf den Zaun geklettert, um mit ihren Fans den Ligaverbleib zu feiern. Nun mussten eine bis in den letzten Stadionwinkel vernehmbare Ansprache von Sportvorstand Rouven Schröder ("Wir sind in der Bundesliga! Das zählt Männer! Ich bin stolz auf Euch!") und flugs verteilte T-Shirts ausreichen. "8 x Meister - langweilig. 11 x drinbleiben - Mainzer Weltklasse", stand mit einem Seitenhieb auf den Meister FC Bayern drauf.

"Es ist nicht alltäglich, dass wir jedes Jahr in der Bundesliga spielen. Wir machen seit Jahren hier einen guten Job", erklärte Kapitän Danny Latza. Sportvorstand Schröder fühlte sich in seinem Weg bestätigt, vermehrt jungen, entwicklungsfähigen Spielern zu vertrauen, die Wille und Talent vereinen: "Das war 05er-Mentalität. Daraus werden Männer." Klar, dass auch der von Schröder im Herbst installierte Trainer Achim Beierlorzer sich bestätigt fühlte: "Wir haben alle belehrt, die uns abgeschrieben haben", sagte der gebürtige Franke mit einer gehörigen Portion Genugtuung. "Wir haben uns aus eigener Kraft rausgezogen. Ich bin natürlich glücklich, ich bin aber auch kaputt."

© SZ vom 21.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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