Protokoll des Abstiegskampfes:Werder springt aus dem Abgrund

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Hoffnung in Bremen: Dank eines Sieges gegen Köln darf Werder in zwei Spielen um den Klassenerhalt in der Bundesliga kämpfen. (Foto: AFP)

An der Weser geschieht wieder ein Wunder. Und Düsseldorf verspielt in Berlin alles und steigt zum sechsten Mal in der Vereinsgeschichte in die zweite Liga ab. Das Protokoll des Abstiegskampf-Finales.

Von Martin Schneider

Am 34. Spieltag der Fußball-Bundesliga melden sich Vereine traditionell vom Abgrund, diesmal Fortuna Düsseldorf und Werder Bremen. Das Protokoll des Abstiegskampf-Finales.

Die Ausgangslage: Alles hängt an der Fortuna. Wenn Düsseldorf bei Union gewinnt, ist Werder abgestiegen. Wenn Düsseldorf unentschieden spielt, braucht Werder gegen Köln einen Sieg mit vier Toren Unterschied, um die Relegation zu erreichen. Wenn Düsseldorf verliert, braucht Werder trotzdem einen Sieg. Düsseldorf ist bisher fünfmal aus der Bundesliga abgestiegen (1967, 1987, 1992, 1997 und 2013). Werder nur einmal (1980).

Aufreger vor dem Spiel: Harm Osmers, Schiedsrichter der Partie Düsseldorf gegen Union, ist gebürtiger Bremer. Warum der DFB den Unparteiischen in diese missliche Lage brachte, ist bisher ein Rätsel.

Stimmen vor dem Spiel: "Wir haben eine super Mentalität und heute gilt es, den Vorsprung vor den Bremern ins Ziel zu bringen." (Uwe Rösler, Trainer Fortuna Düsseldorf): "Es gilt nur: Messer zwischen die Zähne und raus da." (Florian Kohfeldt, Trainer Werder Bremen).

0-15. Minute: Werder startet forsch in die Partie, aber klar, sie müssen ja auch gewinnen. Yuya Osako und Milot Rashica haben gute Abschlusschancen, der Schuss von Rashica ist scharf, aber zu ungenau. Kölns Torhüter Timo Horn klatscht ihn ab. Fast im Gegenzug rettet Jiri Pavlenka Werder das Ergebnis. Einen Drehschuss von Anthony Modeste hält der Bremer Torhüter reaktionsschnell.

In Berlin überlässt Fortuna Union den Ball, auch verständlich - ein Remis würde Düsseldorf ja reichen, solange Werder nicht in einen Torrausch verfällt. Und Bremen hat in der ganzen Saison nur neun Tore im Weser-Stadion geschossen. In der 13. Minute hat Fortuna die erste Chance. Einen Kopfball von Kaan Ayhan klärt Ken Reichel auf der Linie. In Bremen heißt es derweil, ein Gewitter kündige sich an.

15. - 30. Minute: Wieder Rashica. Der schnelle Kosovare, nach einhelliger Meinung bester Bremer Stürmer, versucht, durch zwei Kölner Verteidiger hindurch zu sprinten. Als er merkt, dass es nicht klappen wird, versucht er den mitgelaufenen Niclas Füllkrug anzuspielen, ist dabei aber zu ungenau. Was kurze Zeit später völlig egal ist, denn Werder schießt das erste Tor des Tages. Marco Friedl dribbelt am Sechzehner entlang, passt zu Maximillian Eggestein, der findet mit einem scharfen wie fast schon genialen Pass durch die ganze Kölner Abwehr hindurch Osako. Der nimmt den Ball an und schießt ihn ins rechte obere Toreck.

In Berlin hat derweil Union einen Eckball. Düsseldorfs Trainer Uwe Rösler hatte noch vor der Partie gewarnt, dass der Gegner bei Standards stark sei. Er hatte recht. Eine Trimmel-Ecke fällt herunter, und Anthony Ujah, der ja Ex-Bremer ist, staubt ab; Torwart Rafa Gikiewicz ist noch dran, der Ball wird weggeschlagen, doch die Torlinientechnologie zeigt an: drin. Der Videoschiedsrichter sagt: alles okay. Nun ist Düsseldorf auf Platz 17.

Und in Bremen? Bricht der Wahnsinn aus. Die Kurzfassung: Tor Rashica, Tor Füllkrug. Die Langversion: Diesmal ist der Kosovare mit seinem Vorhaben erfolgreich, die Kölner Abwehr allein auszudribbeln. Nach zwei sogenannten Fjörtoft-Übersteigern (siehe Abstiegskampf 98/99) und einem Haken schlägt sein Schuss durch die Beine von Horn ein. Kurz darauf schreit ganz Bremen "Hand" - nur Friedl nicht, der weiterspielt, flankt, Füllkrug findet, der den Ball zum 3:0 einschiebt. Nun fehlt Bremen noch ein Tor zur Rettung bei Remis. Das Gewitter kam übrigens nicht, stattdessen scheint die Sonne über dem Osterdeich.

30. bis 45. Minute: Die Alte Försterei steht im Fokus. Im Moment reicht der Fortuna noch ein Tor zur Rettung, doch der Fußball-Fachbegriff für deren Zustand nach dem Rückstand lautet wohl "Schockstarre". Düsseldorf wird zwar aktiver (klar, was sonst), doch nach vorne fehlen Tempo und Präzision, Stürmer Rouwen Hennings bleibt ohne Torschuss, jede Flanke wird von Union entweder rausgeköpft, oder Gikiewicz hat die Fäuste dazwischen. Berlin, bekanntlich stark bei Standards, wehrt alle Eckbälle ab.

Und Bremen? Schießt zunächst kein weiteres Tor. Rashica hat die beste Chance, doch sein Schuss zischt am Tor vorbei. Pavlenka bekommt ein Knie an den Kopf, kann aber weitermachen. So geht es in die Pause - und in Bremen scheint weiter die Sonne.

45. - 60. Minute: Die grün-weiße Hoffnung hängt weiter an einem Düsseldorfer Tor - neun Minuten lang. Dann will Ayhan einen Ball wegköpfen, legt ihn aber Ujah (Ex-Bremer) vor die Füße, der zu Christian Gentner gibt, der das 2:0 macht.

Und Bremen? Die Kurzversion: Tor Klaasen, Tor Osako. Die Langversion: Rashica dribbelt zum x-ten Mal durch die Kölner Abwehr, haut den Ball gegen den Pfosten. Von dort prallt er auf den nicht im Abseits stehenden Davy Klaassen zurück, der das 4:0 macht. Kurz darauf steht Osako nach einer Gebre-Selassie-Flanke mut-ter-see-len-allein im Strafraum und macht das 5:0. Warum ganz Bremen zu diesem Zeitpunkt noch nicht völlig eskaliert? Weil Dominick Drexler nur vier Minuten später das 1:5 macht (nach einem haarsträubenden Rückpass von Rashica). Um 16:50 Uhr fehlen Düsseldorf also drei Tore zur Hoffnung.

60. - 75. Minute: Was soll man sagen? Milot Rashica ist mittlerweile dazu übergegangen, die Kölner Abwehr bei jeder seiner Aktionen komplett rund zu machen. Diesmal behauptet er den Ball gegen zwei, leitet ihn weiter zum eingewechselten Josh Sargent. Der macht das 6:1.

Die Fortuna, die immer noch drei Tore schießen muss, schießt nicht mal eins. Kenan Karaman tritt ins Leere, Hennings' Schuss wird geblockt - und der eingewechselte Markus Suttner trifft die Latte. Kurz darauf schießt Hennings wieder vorbei. Fortuna läuft die Zeit davon.

75. - 90. Minute: Bei Düsseldorf erkennt man Anzeichen von Verzweiflung. Düsseldorfs Torhüter Florian Kastenmeier geht schon in der 79. Minute (!) bei einer Ecke mit nach vorne. Es bringt nichts, weil Union stark bei Stand ... ach, Sie wissen schon. Die Uhr tickt gandenlos herunter und die Mannschaft von Trainer Uwe Rösler kommt einfach nicht durch die eiserne Abwehr. In der 84. Minute steht Kastenmeier wieder vorm gegnerischen Tor, wieder nützt es nichts, ein Kopfball von Ayhan fliegt am Tor vorbei. Und mit dem (nur noch halbherzig verteidigten) 3:0 von Suleiman Abdullahi ist es dann zu Ende.

Nach dem Spiel: Grenzenlose Freude in Bremen, Trauer bei Fortuna Düsseldorf. Rouwen Hennings kommen die Tränen, Florian Kastenmeier blickt in den Berliner Himmel. Was soll man sagen: Wunder passieren in der Bundesliga eben an der Weser. Im Weserstadion umarmt Sargent Sturmkollege Rashica (den Spieler des Spiels) - die Bremer wirken erleichtert, aber nicht euphorisch. Das hat ja auch seinen Grund. Denn der Klub ist nicht gerettet, sondern darf in zwei Spielen um den Klassenerhalt kämpfen. Vielleicht gegen den 1. FC Heidenheim. Vielleicht auch gegen den HSV.

Die Stimmen: Marco Bode (Aufsichtsratsvorsitzender Werder Bremen): "Die letzte halbe Stunde war ich eher in Berlin. Wir müssen ein großes Danke Richtung Berlin schicken, die haben das super gemacht. Da ist mehr als ein Danke angebracht. Es fällt mir noch schwer, eine Einordnung vorzunehmen. Jetzt ist die Tür wieder offen, ich bin sehr optimistisch, dass wir es schaffen können.

Davy Klaasen (Werder Bremen): "Wir haben diese Leidenschaft, die wir die letzten Wochen gezeigt haben, heute auch gezeigt. Wir haben schnell die Tore geschossen und es dann schön gemacht. Der Trainer hat uns mitgegeben, dass wir noch nicht tot waren, dass es immer noch eine Chance gibt und wir unseren Job machen sollen. In der Halbzeit habe ich das 1:0 in Berlin gesehen, am Ende dann 3:0. Heute ist alles für uns gelaufen. Aber es ist ein Halbfinale, es gibt noch zwei Finals. Beide Mannschaften fangen dann wieder von Null an. Ich habe noch kein Derby (gegen den Hamburger SV) gespielt, vielleicht wäre das eine schöne Sache."

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Niclas Füllkrug (Werder Bremen): "Ein ganz aufregender Tag, die Zeit ist nicht vergangen. Wir dürfen unheimlich dankbar sein, dass wir diese zwei Spiele noch spielen dürfen. Wir danken Union unglaublich, mal sehen, ob wir da mal eine Kiste Bier rüberwachsen lassen."

Kaan Ayhan (Fortuna Düsseldorf): "Im Moment ist eine große Leere in den Köpfen. Wir haben es in den letzten Wochen und Monaten liegen lassen, nicht nur heute. Ich hatte das Gefühl, wir hätten noch zwei Stunden spielen können und es passiert nichts."

Adam Bodzeck (Fortuna Düsseldorf): "Wir haben schon versucht, an uns zu glauben, aber es ist natürlich zu wenig. Es ist ein Scheiß-Gefühl."

Uwe Klein (Sportvorstand Fortuna Düsseldorf): "Der Abstieg sitzt tief, wir müssen uns erst mal schütteln und zusammensetzen und mit dem Trainer in Ruhe alles analysieren, damit wir wieder positiv in die Zukunft schauen. Selbstverständich bleibt Uwe Rösler unser Trainer."

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