Volleyball:Zitterhand im Hangar R

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Gesichter, die Bände sprechen: Friedrichshafens Spieler nach der Niederlage gegen Berlin. (Foto: Harry Langer/dpa)

Friedrichshafens Volleyballern fehlen drei Punkte zur deutschen Meisterschaft - doch Gegner Berlin erzwingt ein Entscheidungsspiel. Dabei könnten sie am Bodensee gerade jetzt einen Titel gut gebrauchen.

Von Sebastian Winter, Friedrichshafen

Volleyballspiele erleben ihre besten Momente, wenn sie auf ein Finale im fünften Satz zusteuern - und dieser die Spannung dann noch auf die Spitze treibt. Wie im Elfmeterschießen entscheiden dann oft die besseren Nerven (und das Glück der Mutigen) über Wohl und Wehe. 13:14 stand es also in jenem fünften Satz des vierten Playoff-Finalspiels zwischen Friedrichshafen und Berlin. Der VfB, seit neun Jahren ohne Titel in der Bundesliga, führte in der Best-of-five-Serie mit 2:1, er war also drei mickrige Punkte von der Meisterschaft entfernt. Michal Superlak, knorriger polnischer Anführer des VfB, ging zum Aufschlag, er ist einer der Besten auf diesem Gebiet. Doch sein Sprungservice segelte ins Aus.

Tristesse bestimmte dann am Dienstagabend die Szenerie in der Spacetech-Arena am Bodensee, in die die VfB-Volleyballer Anfang 2023 gezogen sind, weil ihre eigene Halle zu marode ist. Superlak ließ sich von seinem kleinen Sohn trösten. Andere wie Nationalspieler Tim Peter kauten später lustlos an Hühnchen mit Reis im provisorischen Spielerbereich. "Ich war nie so knapp an einer deutschen Meisterschaft dran", sagte Peter. Wieder andere warfen sich in der ebenso provisorischen Umkleidekabine (übereinander gestapelte Container) schnell in Straßenkleidung und nahmen den Ausgang. Sie wissen, dass sie nun im Entscheidungsspiel in der Berliner Max-Schmeling-Halle am Sonntag ein Himmelfahrtskommando vor sich haben. Strukturell enteilt sind die Hauptstädter den Bodensee-Volleyballern ohnehin.

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Bevor sie zur Sportarena wurde, hieß ihre direkt am Rollfeld gelegene Halle Hangar R, in ihr wurden Flugzeuge gewartet und später Privatjets geparkt. Adresse: Flughafen 28/2, Friedrichshafen. In die Halle direkt nebenan zieht bald die "Landshut", das wohl berühmteste Flugzeug der deutschen Geschichte, 1977 von palästinensischen Terroristen nach Mogadischu entführt. Die Boeing rostet zurzeit rund 200 Meter vom Hangar R vor sich hin, bald soll sie zum zeitgeschichtlichen Museum werden.

Das Zeppelin-Museum, das Dornier-Museum, wuchtige Luftfahrtgeschichte spiegelt sich hier in Friedrichshafen, und im vergangenen Jahrzehnt hatte man den Eindruck, dass sich die Volleyballer auch in ein museales Dasein hineinspielen. Lange vorbei die Zeiten, als sie 2007 unter dem streitbaren Chefpiloten Stelian Moculescu das Triple gewannen; samt gloriosem Champions-League-Erfolg in Moskau, dem ersten und bislang einzigen für einen bundesdeutschen Klub. Die jüngste deutsche Meisterschaft ist auch schon ein paar Tage her. 2015 war das, damals verrottete die Landshut noch auf einem Flugfeld in Fortaleza, Brasilien.

Muss sich zurzeit öfter an den Kopf fassen: Friedrichshafens scheidender Trainer Mark Lebedew. (Foto: Harry Langer/dpa)

Superlak also, der knapp zwei Meter lange Diagonalspieler, trug diesen Titel in seinen Händen. Doch auch sie wurden zittrig, als es um alles ging, wie die seiner Mannschaftskollegen. Da spürte man, was Friedrichshafen und Berlin auch in mentaler Hinsicht gerade trennt. José Israel Masso Alvarez, jener Kubaner, den Friedrichshafen im Herbst verpflichtete, springt beispielsweise so hoch wie kaum ein anderer. "Er hat eingeschlagen wie eine Bombe", sagte VfB-Geschäftsführer Thilo Späth-Westerholt am Mittwoch, "aber gestern war er überdreht." Und er verlor das Duell gegen Berlins Besten, den Blocker Nehemiah Mote, um Längen.

Es war zugleich die erste Heimniederlage Friedrichshafens in der Liga seit November, damals hatten sie auch gegen Berlin verloren. Sechs Tage, nachdem sie im DVV-Pokal-Achtelfinale zu Hause mit 13:15 gekentert waren, wieder im Duell mit Berlin.

Zuletzt schrumpfte beim VfB auch der Etat

Eigentlich hatte in dieser Saison keiner auch nur einen Pfifferling auf Friedrichshafen gesetzt, viel zu weit ist das Schnellboot aus Berlin inzwischen enteilt. Der VfB wirkt da eher wie eine dieser gemächlich Richtung Romanshorn schippernden Bodensee-Fähren. Der Jahresetat schrumpfte zuletzt auch. Um die zwei Millionen Euro hat Friedrichshafen noch zur Verfügung, der Hauptsponsor, ein Automobilzulieferer, ächzt unter der Wirtschaftslage. Giesen und Lüneburg, die aufgeholt haben, bewegen sich inzwischen in ähnlichen Sphären. Berlins Budget dürfte dagegen bei weit über drei Millionen liegen. Eine Champions-League-Teilnahme kommt für Friedrichshafen auch nicht mehr in Betracht, weil die Hangar-Halle nicht die erforderliche Zahl an Zuschauern beherbergen kann. Geplant ist, dass der Klub mit Unterstützung der Stadt eine eigene Multifunktionsarena baut. In vier Jahren könnte sie fertig sein.

Aggressiv zum Ausgleich: Berlins Cody Kessel (links) schmettert den Ball an Friedrichshafens Zuspieler Aleksa Batak vorbei. (Foto: Harry Langer/dpa)

Es wäre jetzt ein hervorragender Zeitpunkt, Stadt, Sponsoren und Fans endlich wieder mal mit der Meisterschaft zu verwöhnen - und dem Trainer Mark Lebedew das passende Abschiedsgeschenk zu bereiten. Der Australier, der mit Berlin 2012, 2013 und 2014 den Titel gewann und nun von einer "bitteren Lektion" sprach, hört nach dieser Saison in Friedrichshafen auf.

"Wir müssen jetzt den Reset-Knopf drücken", sagte VfB-Blocker Marcus Böhme noch, "und dahin kommen, wieder gelöster zu spielen." Ohne Zitterhand. Vielleicht sind sie ganz dankbar, jetzt in Berlin wieder in der Außenseiter-Rolle zu sein.

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