Start der Vierschanzentournee:Ausschluss per Pressemitteilung

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Ausgeschlossen, wie das gesamte polnische Team: Kamil Stoch. (Foto: AFP)

Beim ersten Qualispringen in Oberstdorf kommen die Deutschen im Wind ungeschoren davon - die Polen dagegen werden vom Gesundheitsamt ausgeschlossen.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Traurig sind auch die Details. Zum Beispiel die blauen Sitzschalen der großen Tribüne, auf denen gerade keine singenden und grölenden Zuschauer Platz nehmen, sondern Tausende stumme Schneehauben. Oder die vielen Gesichter gegenüber auf der anderen Tribüne, die zwar fröhlich lachen, aber aus Pappe bestehen. Und schließlich die Gute-Laune-Musik aus den Lautsprechern, die hauptsächlich die kalte Luft beschallt.

Die Oberstdorfer hört man nicht jammern, ihr Ort ist auch nicht schlechter dran als alle anderen in diesen Zeiten, und doch ist die Situation gerade besonders surreal in der kleinen Gemeinde am Fuße der Allgäuer Berge. Am Montag startete hier die 69. Vierschanzentournee mit einer windverwehten Qualifikation, die die Deutschen aber überstanden. Und nicht nur diese, auch alle Akkreditierten des Trosses und alle privaten Beobachter haben die Bilder der vergangenen 68 Tournee-Ausgaben vor Augen, je nach Alter.

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In keiner anderen Station der Tournee liegt die Schanze derart nahe am Zentrum, sind Ende Dezember derart viele Wintersportgäste auf engstem Raum versammelt, ist die Vorfreude auf die kommenden Tage so sehr zu greifen. In der Fußgängerzone wird durchgefeiert, an der Mauer neben der Kirche sonnen sich Rentner und trinken Prosecco, und manche Touristen drücken die Nase ans Glas, beim Blick ins Pressezentrum, das sich parterre hinter einer Scheibe befindet. Überall schallt Musik, auf Bühnen oder aus Lautsprechern. Der Tourneeauftakt ist ein Feiertag.

Skiflug-Weltmeister Karl Geiger gilt endgültig als coronafrei

Diesmal war es ein Montag. Handwerker sah man, die schlecht gelaunt zur Arbeit fuhren, Bäckereien, die Brötchen verkauften, vereinzelt Spaziergänger, ansonsten Lockdown-Stille. Und das Stadion liegt nun da, als riesiges Fernsehstudio mit Kamerapositionen und Pappkameraden. Denn es wirkt ein bisschen wie in einem Science-Fiction-Film; die Stimmung und die Aufregung sind gar nicht tot, sie sind nur verschwunden ins Digitale.

Schon lange werden Mediengespräche und Pressekonferenzen online durchgeführt, was erstaunlich gut funktioniert. So wurde zum Beispiel die erfreuliche Nachricht für das deutsche Team bekanntgegeben, nämlich dass Karl Geiger, der aktuelle Skiflug-Weltmeister, endgültig als coronafrei gilt, und von Anfang an dabei sein darf, also auch an der Qualifikation teilnehmen durfte. Auch die andere Top-Neuigkeit des Tages, die sonst ein Paukenschlag gewesen und vielleicht auf einem Podium diskutiert worden wäre, versendete sich eher im Internet oder im Fernsehen: Das gesamte polnische Team wurde vom Gesundheitsamt von der Tournee ausgeschlossen, weil Mannschaftsmitglied Klemens Muranka positiv getestet wurde.

Somit fehlen der Titelverteidiger Dawid Kubacki, der Mitfavorit Kamil Stoch, und auch der zurzeit Viertplatzierte im Weltcup, Piotr Zyla. Diese Entscheidung wirkt hart, auch weil die polnischen Springer sie nicht direkt, sondern per Pressemitteilung erfuhren, jedoch entspricht der Ausschluss den Regularien. Womöglich können die Polen in Innsbruck dann wieder antreten, mit dem Ausgang der Tournee aber hätten sie nichts mehr zu tun.

In der Quali wird der Wind zum Hauptdarsteller

Draußen, in der greifbaren, analogen Welt von Oberstdorf, machten sich am Montagnachmittag die Springer an die ersten Einsätze im leeren Stadion. Das erste Training der Tournee, das noch ganz ohne Übertragung blieb, und danach die Qualifikation. Karl Geiger hatte tags zuvor gesagt, so einsam habe er seine Heimat im Dezember noch nie gesehen, "es ist schon ein bisschen unwirklich". Am Montag dann setzte Schneefall ein, immer dichter wurde der, weshalb die weißen Hauben auf den blauen Sitzen immer mehr zu Zipfelmützen anwuchsen.

Und in der Qualifikation dann schwang sich der Wind zum Hauptdarsteller auf. Die Klärung, wer dabei sein darf beim ersten Tourneespringen (Di. ab 16.30 Uhr), dauerte lange. Denn immer wieder mussten die Akteure den Startbalken noch einmal verlassen. So kamen am Ende mehr als anderthalb Stunden Vorkampf zusammen. Die DSV-Springer versuchten dem Himmel zu trotzen, brachten nichts Großartiges zustande, kamen aber doch ungeschoren davon. Geiger wurde 14., der derzeit DSV-Beste, Markus Eisenbichler, kam nur auf Platz 25. Dazwischen landeten Severin Freund (17.) und Constantin Schmid (19.). Elf von zwölf Deutschen sind im ersten Durchgang dabei, der bei der Tournee im K.-o.-Modus ausgetragen wird. Der derzeit überragende Norweger Halvor Egner Granerud kam trotz der Bedingungen auf Platz zwei. Überraschend, aber auch wegen anfangs besserer Bedingungen, gewann der zuletzt formschwache Österreicher Philipp Aschenwald die Qualifikation.

Die Akteure des DSV eint der Wunsch, nach 19 Jahren endlich mal wieder die Tournee zu gewinnen. Die Chance dazu besteht in diesen unwirklichen Tagen weiterhin. Und doch ist nichts gewiss. Geiger sagt, dass ihn die ersten Corona-Springen im Dezember nicht sonderlich irritiert hatten. Jetzt aber sei es etwas anderes, bei dieser Ausgabe der Tournee, "bei der es sonst so richtig knallvoll ist".

Aber es helfe ja nichts, sagt er. Und unterm Strich sei alles einfach, nur runterspringen müsse man - "mit möglichst guten Noten, möglichst wenig Anlauf und möglichst weit nach unten".

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