Bundesliga:Vergiftetes Klima in Wolfsburg

RB Leipzig v VfL Wolfsburg - Bundesliga

Wolfsburgs Trainer Bruno Labbadia.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Nach dem 1:4 gegen Leipzig zeigt ausgerechnet der unglückliche Felix Uduokhai Haltung und stellt sich nach seinen Fehlern.
  • Ansonsten zeigt der VfL Wolfsburg alle Symptome einer verunsicherten Mannschaft.
  • Radikale Fans wollten die Spieler am Stadion "in Empfang nehmen".

Von Javier Cáceres, Leipzig

Es gab doch noch rührende Szenen in Leipzig, nicht jeder bekam sie mit. Wer weiß, vielleicht können sie als Indiz dafür gelten, dass der Zusammenhalt der Mannschaft des VfL Wolfsburg größer ist, als es die nackte Beobachtung der Leistung auf dem Platz vermuten lassen könnte. Denn als der VfL bei RB Leipzig 1:4 verloren hatte und nur die Ergebnisse der beiden Abstiegsrivalen Hamburg (1:3 in Frankfurt) und Freiburg (1:3 in Mönchengladbach) verhinderten, den VfL als designierten Absteiger zu titulieren, gingen die Spieler zu Felix Uduokhai, um ihn zu trösten. Sie wussten, an ihm wird es nicht gelegen haben, wenn es doch noch schief geht.

Das kann noch immer passieren; der direkte Abstieg ist für den VfL nicht abgewendet. Das hatte insofern mit Uduokhai zu tun, als er sich zwei kapitalen Fehler leistete. Beim 0:2 durch Timo Werner (34.), das dem 0:1 durch Ademola Lookman folgte (24.), trat er ein Luftloch. Und als Wolfsburg nach dem 1:2 durch Daniel Didavi (47.) unverhofft die Illusion hegte, das Spiel vielleicht doch noch umbiegen zu können (und der eingewechselte Dimata nur knapp das Tor verfehlte), spielte er einen katastrophalen Fehlpass, den Werner erlief, um den Ball dann zum zwischenzeitlichen 3:1 auf den einschussbereiten Lookman zu passen. All das, nachdem Uduokhai Werner noch gestellt hatte, aber dann unglücklich ausgerutscht war (52.).

Uduokhai war im teuren Team ein Schnäppchen - und er überzeugte

"Ich möchte mich bei der Mannschaft entschuldigen", sagte Uduokhai und biss sich auf die Lippen. Er wusste, dass er damit dem 1:4-Endstand den Weg geebnet hatte, denn Jean-Kevin Augustin traf noch in der 63. Minute. Beziehungsweise: Dass er die individuellen Fehler begangen hatte, "die uns in der momentanen Situation die Lichter ausschießen", wie es Maximilian Arnold formulierte.

Als Uduokhai eine für seine 20 Jahre außerordentliche Persönlichkeit zeigte und im Gegensatz zu den Routiniers und VfL-Geschäftsführer und VW-Manager Tim Schumacher zu den Journalisten sprach, konnte man ahnen, dass er wieder (oder noch?) mit den Tränen rang. Das hatte eine gewisse Tragik, denn Uduokhai ist einer der wenigen VfL-Zugänge, die sich als positive Überraschung erwiesen haben. Für 100 Millionen Euro hat der - mittlerweile freigestellte - Manager Olaf Rebbe in anderthalb Jahren neue Spieler an den Mittellandkanal gelockt, der frühere Profi des TSV 1860 München und deutsche U20-Nationalspieler Uduokhai war mit einer Ablösesumme von nur einer Million ein Schnäppchen. Zwischen dem 20. und dem 30. Spieltag, hatte Uduokhai verletzungsbedingt aussetzen müssen. Doch als ihm quasi angeboten wurde, die Patzer mit der fehlenden Spielpraxis zu erklären, sagte er: "Ich suche jetzt keine Ausreden".

Der Absturz des Meisters von 2009 auf Platz 16 ist erstaunlich

Auch ihm blieb am Ende bloß der Trost, dass die Wolfsburger es vor der abschließenden Visite des 1. FC Köln in der eigenen Hand haben, den Relegationsplatz zu verteidigen. Angesichts der letzten Leistungen der Wolfsburger gleicht das einem Wunder. Unter dem dritten Trainer der laufenden Saison, Bruno Labbadia, hat der VfL spielerisch nie überzeugt. Die vor der Partie in Leipzig angeordnete Team-Building-Maßnahme, ein Kurztrainingslager in Thüringen, verpuffte ebenso wie Labbadias Entscheidung, nach der Halbzeit das dunkle Sakko abzulegen und die Ärmel bis zum Bizeps aufzukrempeln. Wolfsburg zeigte gegen ein zuletzt kriselndes, nun wieder auf Europapokal-Kurs befindliches Leipziger Team alle Symptome einer verunsicherten Mannschaft ohne fußballerische Idee. Mittlerweile ist auch die Häme auf die Ränge zurückgekehrt. Wie schon bei seinem ersten Spiel in Wolfsburg (1:2 gegen Bayer Leverkusen) musste Labbadia hören, wie VfL-Fans den Text eines alten Gospelsongs "When The Saints Go Marching in" umdichteten und auf ihn münzten: "Wir steigen ab, wir kommen nie wieder, wir haben Bruno Labbadia". Der Besungene sagte, dass man "sich in so einer Phase immer Unterstützung" wünsche, wohl wissend, dass er "nichts einfordern" könne. Denn der VfL hat aus zehn Spielen unter seiner Regie nur einen Sieg und drei Unentschieden geholt. Und aus der Kabine kommen Töne, die andeuten, dass Labbadia als Teil des Problems gesehen wird.

Rundherum ist das Klima so vergiftet, dass die radikalsten VfL-Fans bereit zu sein scheinen, Grenzen zu überschreiten. Am Samstagabend rotteten sich Dutzende am Stadion in Wolfsburg zusammen, um die Mannschaft in Empfang zu nehmen. Nach Rücksprache mit der Polizei entschied der VfL, die Spieler nicht bei ihren Autos an der Geschäftsstelle, sondern an einem anderen Ort in der Stadt auszusetzen. Anderntags meldete sich Geschäftsführer Schumacher doch noch zu Wort. Dem Magazin Kicker richtete er aus: "Wir stehen voll hinter dem Trainer und sind weiterhin davon überzeugt, dass wir die fehlenden Punkte für die Relegation holen werden."

Ziel Relegation - was für ein Fall für den Meister von 2009, den letzten Meister, der nicht FC Bayern oder Dortmund hieß. Damals regierte beim VfL-Mutterkonzern Volkswagen ein gewisser Martin Winterkorn, der nun Deutschland nicht verlassen kann, ohne Gefahr zu laufen, festgenommen zu werden. Doch das ist eine andere Geschichte.

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