Serhou Guirassy und der VfB Stuttgart:Der ist der Knaller

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Zehn Tore in fünf Spielen: VfB-Stürmer Serhou Guirassy scheint mit jedem neuen Wochenende unwiderstehlicher zu werden. (Foto: Julia Rahn/Imago)

Hat der VfB Stuttgart nur einen Lauf, oder ist Serhou Guirassy wirklich so gut? Die Bundesliga-Tabelle zeigt jedenfalls einen klaren Trend: Wer gute Stürmer hat, steht oben.

Von Christof Kneer

Das schönste Tor des Abends war gar kein Tor. Von Enzo Millot flog der Ball zu Serhou Guirassy, der ließ den Ball hinüber zu Chris Führich prallen, der den Ball zu Guirassy zurückpasste, der sich mit einem weiteren Pass revanchierte, worauf Führich den Ball ins Tor zirkelte. So filigran diese Millimeterarbeit im Angriff des VfB Stuttgart war, so erbarmungslos war das Statement, das sich damit verband. Es lautete: Wir kommen überall durch. Zwar hatten die Darmstädter eine Menge Menschen vor ihrem Strafraum versammelt, aber Spieler wie Millot, Führich und Guirassy betrachten solchen Menschenmengen zurzeit nicht als Hindernis. Höchstens als Herausforderung, der sie sich mit dem größten Vergnügen stellen.

Auf die Millimeterarbeit der Stuttgarter folgte allerdings die Mikrometerarbeit aus dem Kölner Keller. Ergebnis: Eine nicht näher benannte Zehenspitze von Guirassy befand sich im Abseits. Kein Tor.

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Aber wie das gerade so ist bei diesem sagenhaften Mittelstürmer: Selbst seine Zehenspitzen lernen schnell. Eine halbe Stunde später hob der Linienrichter zwar die Fahne, um Guirassys adrettem Hebertor die Zustimmung zu verweigern, aber wieder griffen die Mikrometerarbeiter aus Köln korrigierend ein. Diesmal war das Tor, das erst keines war, doch eines. Am Ende stand ein 3:1 des VfB Stuttgart gegen Darmstadt 98, ein Sieg, der, wie man in der Fachsprache sagen müsste, um ein paar Tore zu tief ausgefallen war.

Zwei verblüffende Geschichten lassen sich gerade aus Stuttgart erzählen, eine über den Stürmer Guirassy, der in fünf Spielen zehn Tore erzielt hat und mit jedem neuen Wochenende noch unwiderstehlicher zu werden scheint; und eine über die Mannschaft, in der er spielt. In beiden Fällen stellt sich dieselbe Frage: Ist der/sind die wirklich so gut, oder ist das ein Lauf?

Im Fall Guirassy ist die Antwort einfach, sie lautet: beides. Was die Mannschaft anbetrifft, gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Die Tendenz geht klar Richtung Lauf.

Aber wahrscheinlich ist das ohnehin ein und dieselbe Geschichte. Der VfB ist ohne Guirassy nicht zu verstehen - und das nicht nur, weil dieser Mittelstürmer gerade mit einer Selbstverständlichkeit Tore schießt, die mindestens unheimlich ist. Es ist ja nicht nur so, dass der 27-Jährige nahezu jede Torchance nutzt, die sich ihm bietet; er übt sich auch in der Kunst, Tore ohne Torchance zu schießen. Wenn der Ball unauffällig in seine Nähe gerät, dreht er sich, setzt eine kleine Finte oder einen kurzen Zickzacklauf, und durch das winzige Raum- und Zeitfensterchen, das er sich dadurch verschafft, knallt er den Ball mit einer Wucht, die nur von ihrer Präzision übertroffen wird - wie beim 2:1. Und falls ihm irgendwo ein Torwart in die Quere kommt, lupft er das Bällchen drüber - wie beim 3:1.

Wundervoller Schlusspunkt: Stuttgarts Serhou Guirassy (links) hebt den Ball Darmstadts Schlussmann Marcel Schuhen ins Tor. (Foto: Tom Weller/dpa)

Wer irgendwann mal behauptet hat, eine Mannschaft könne auch ohne Mittelstürmer spielen, sollte längst schamrot angelaufen sein, es sei denn, er wäre der junge Pep Guardiola, der in Barcelona einst mit dem jungen Lionel Messi stürmte. Messi war mehr Universalgenie als Mittelstürmer, und leider haben Teile der Fußballwelt gedacht, dass sie auch ohne Messi so spielen könnten. Inzwischen hat Guardiola diese kurze Phase des Fußballs persönlich für beendet erklärt, indem als Coach von Manchester City den Prototypen eines Mittelstürmers verpflichtete, Erling Haaland aus Dortmund.

Was nun wieder zu Serhou Guirassy und in die Bundesliga zurückführt. In jene mit Hilfe des großen Gerd Müller erbaute Spielklasse, die im vorigen Sommer von Haaland und Robert Lewandowski gleichzeitig verlassen worden war und ihre berühmte Torjägerkanone deshalb unter Wert weggeben musste.

Nur je 16 Treffer haben Christopher Nkunku und Niclas Füllkrug einreichen müssen, um sich die Urkunde der besten Saisontorjäger aushändigen zu lassen - in dieser Saison müssten einige Bundesligastürmer schon sehr lange in Urlaub gehen, um diese Zahl nicht zu erreichen.

Für die Attraktivität der Bundesliga ist es eine gute Nachricht, dass sie nun wieder eine Torjägerliga ist, und so hat das aktuelle Wochenende mit zahlreichen Stürmertoren eine Tabelle hervorgebracht, deren Botschaft nicht zu übersehen ist: Wer gute oder gar verlässlich gute Stürmer hat, steht oben - und umgekehrt. Je athletischer und schneller der Fußball und mit ihm seine Abwehrspieler werden, desto unverzichtbarer werden wieder jene Strafraumspezialisten, die - siehe Guirassy - mit dem minimalen Raum- und Zeitangebot, das ihnen noch bleibt, etwas anzufangen wissen.

Am Beispiel Guirassy lässt sich aber auch erkennen, dass ein treffsicherer Neuner einem Team noch mehr geben kann als Tore. Ähnlich wie bei Kane ist Guirassys Einfluss über den ganzen Platz spürbar - eine Mannschaft kann eine große Gelassenheit erfassen, wenn sie weiß, dass der Aufwand, den sie betreibt, wahrscheinlich nicht umsonst ist. Dass da vorne einer ist, der dem Spiel eine Richtung gibt und im Zweifel ein Tor mehr macht, als man hinten kassiert.

Auch so erklärt sich die plötzliche Stressresistenz der Stuttgarter: Nach dem 0:1-Rückstand durch Zagadous Eigentor (17.) haben sie einfach mit enormer Seelenruhe weiterkombiniert, und es dauerte tatsächlich nur fünf Minuten, bis Pascal Stenzel da vorne Guirassy ansteuerte, dessen schlaue Ablage Millot zum 1:1 einschob.

Beim VfB gehen sie nicht davon aus, dass der Lauf für immer anhalten wird, im Moment nehmen sie jeden Sieg erst mal auf Vorrat. Sie ahnen, dass sie die Punkte noch brauchen werden, wenn sich Serhou Guirassy im Januar für ein paar Wochen zum Afrika-Cup verabschiedet.

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