VfB Stuttgart:Arrogant oder doch nur unkonzentriert?

Lesezeit: 3 min

Stuttgarts Anthony Rouault ärgert sich beim 1:1 in Köln. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Kurzer Blick in die Zukunft: Beim 1:1 gegen wehrhafte Kölner merkt der VfB Stuttgart, wie kompliziert es sein kann, wenn man plötzlich Favorit ist.

Von Christof Kneer

Es lief die 90. Minute, der VfB versuchte es noch mal. Serhou Guirassy zog noch mal einen Sprint an, und Angelo Stiller schickte den Ball durch eine schmale Gasse, die sich nur für diese Zehntelsekunde öffnete. Solche Momente hat man in dieser Saison schon häufiger gesehen beim VfB Stuttgart, und nicht selten sind die Spieler dann im nächsten Moment beim Jubeln übereinandergepurzelt. Der Ball war dann halt wieder drin.

Beim Heimspiel gegen den 1. FC Köln fand der Moment ein anderes Ende. Stillers Pass geriet etwas zu lang, Guirassy drehte sich um und widmete dem Absender einen genervten Blick, den Stiller mit einem ebenfalls genervten Blick konterte. Kurz darauf war das Spiel zu Ende, und neben dem unbefriedigenden Ergebnis (1:1) stand eine weitere unerwünschte Erkenntnis: So grantig geschaut hat der VfB in dieser Saison selten bis nie.

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Wer sich noch mal die Abschlusstabelle der vergangenen Saison vergegenwärtigt, erkennt allerdings schnell, dass es sich bei den selbstkritischen Anmerkungen, die der VfB im Anschluss an dieses 1:1 anbrachte, um massive Luxusprobleme handelt. Während der 18. und der 17. der Vorsaison, Hertha BSC und Schalke 04, in den Tiefen bzw. Untiefen der zweiten Liga versunken sind, spekuliert der 16., der VfB Stuttgart, inzwischen einigermaßen offiziell darauf, sich in der kommenden Saison in einem Wettbewerbsspiel mit Manchester City oder Real Madrid zu messen.

Deniz Undav benennt das neue Ziel: "Wir wollen international spielen."

"Ich glaube, langsam kann man nicht mehr drum herumreden: Wir wollen international spielen, das ist das Ziel", sagte Stürmer Deniz Undav vor der Partie gegen Köln, die er mit einer Muskelverletzung auf der Tribüne verfolgte. "Wir versuchen, so erfolgreich wie möglich zu sein, dann gucken wir, ob es für die Europa League oder Champions League reicht."

Die Stuttgarter haben sich ein interessantes Spiel ausgesucht, um ihre Ambitionen öffentlich zu machen. Das 1:1 gegen Köln illustrierte einerseits, warum der VfB zu Recht auf einem höheren Plateau angekommen ist; andererseits aber auch, warum die Luft da oben recht dünn sein kann. Ausdruck findet dieser Gegensatz im einzigen Tor, das der VfB an diesem Tag erzielte. These: Das Tor war zu schön.

Und zack, liegt ein Stuttgarter auf dem Rücken: Angelo Stiller (unten) in Aktion mit Kölns Eric Martel. (Foto: Marijan Murat/dpa)

"Nach dem 1:0 haben wir einfach arrogant gespielt", meinte der Mittelfeldspieler Stiller und fand für sein scharfes Adjektiv sogar eine amtliche Bestätigung, weil es Kapitän Waldemar Anton später wiederholte. Vereinfacht gesagt war es so, dass die Stuttgarter von der Qualität ihres wirklich wunderschönen Führungstreffers - herausgespielt über 14 Stationen, doppelter Doppelpass von Hiroki Ito und Chris Führich, Abschluss Enzo Millot (53.) - dermaßen hingerissen waren, dass sie für ein paar Minuten anfingen, diese Qualität für selbstverständlich zu halten.

Was keine gute Idee war gegen eine wehrhafte Kölner Elf, die im großen Einvernehmen mit ihrem Trainer Timo Schultz zu stehen scheint und sich mit hoher Professionalität auf das konzentriert, was sie leisten kann: seriös verteidigen und das Spiel so gut nach vorne tragen, wie es ohne Stürmer eben geht. Und das Tor im Zweifel dann halt nach einer Standardsituation erzielen, wie Eric Martel (62.).

Es gibt eine unsichtbare Grenze zwischen Selbstsicherheit und einer klitzekleinen Überheblichkeit

Vermutlich hat der VfB gegen Köln mal kurz in die Zukunft geblickt. Die Mannschaft hat gemerkt, welche völlig neuen Kräfte auf einer höheren Ebene wirken können. Sie hat gemerkt, dass es eine unsichtbare Grenze zwischen Selbstsicherheit und einer klitzekleinen Überheblichkeit gibt, und sie weiß jetzt auch, wie tückisch es sich anfühlen kann, wenn man ein bisschen müde und trotzdem klarer Favorit ist. Und wenn man plötzlich etwas zu verlieren hat - zum Beispiel die Qualifikation für die Champions League, deren finanzielle Dimension ein unerwarteter Glücksfall wäre für diesen immer noch klammen Klub.

Nein, den Vorwurf der Überheblichkeit würde er seinem Team ungern machen, hat der Trainer Sebastian Hoeneß später gesagt. Mit dem Stil, seinen Spielern zu vertrauen, hat er bisher ja gute Erfahrungen gemacht.

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