VfB-Krise:Stuttgart badstuberisiert sich

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Holger Badstuber steht aktuell für den Niedergang des VfB Stuttgart. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Das 0:3 gegen Frankfurt zeigt die Probleme des VfB Stuttgart, der auch mit dem neuen Trainer Markus Weinzierl nicht konkurrenzfähig wirkt.
  • Viele Spieler scheinen nicht fit genug zu sein, um in der Bundesliga mithalten zu können.
  • Einige Medien spekulieren bereits, ob Jürgen Klinsmann als starker Mann heimkehren könnte.

Von Christof Kneer, Stuttgart

Sven Jablonski ist ein 28 Jahre alter Bundesliga-Schiedsrichter, der für den Blumenthaler SV pfeift. Selbstverständlich lassen sich im weltweiten Netz weitere großartige Daten über diesen Mann finden, die Anzahl seiner Spiele, die Anzahl der Platzverweise, vielleicht auch die Anzahl der aberkannten Videobeweistore gegen Heimteams, die auf dem letzten Tabellenplatz stehen. Was man aber viel lieber wüsste über diesen Mann: ob er womöglich ein beachtlicher Gutmensch ist - oder einfach nur ein gnadenloser Realist.

Jedenfalls hat sich Jablonski etwas getraut, was sich schon länger keiner mehr getraut hat in der Liga: Beim Spiel des VfB Stuttgart gegen Eintracht Frankfurt ließ er nach 90 Minuten kein Täfelchen mit der "4", der "5" oder der "7" zücken, obwohl die Spiele in dieser Liga inzwischen mindestens 95,5 Minuten dauern. Jablonski wartete, bis die "90" erreicht war und zögerte dann keine Sekunde. Er pfiff ab.

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:"Über weite Strecken nicht bundesligareif"

Unter dem neuen Trainer Markus Weinzierl bleibt Stuttgart im dritten Spiel punkt- und torlos. Beim 0:3 gegen Eintracht Frankfurt zerfällt die Abwehr erneut - Sportchef Reschke ist besorgt.

Man wird wohl nie erfahren, ob es der Gutmensch in Jablonski war, der den Spuk rechtzeitig beendete und die Anhänger des Stuttgarter Traditionsvereins noch mit etwas Restwürde in den Abend entließ. Oder ob es der Realist in ihm war, der eine Verlängerung dieser Veranstaltung für sinnlos erklärte. Schon während der zweiten Halbzeit hätte man diese Partie eigentlich wegen Geringfügigkeit einstellen können: Die Frankfurter mussten nicht mehr, die Stuttgarter konnten nicht. Und den Frankfurtern war in jeder einzelnen Sekunde bewusst, dass sie sofort wieder gekonnt hätten, falls die Stuttgarter ihnen aus Versehen einen abgefälschten Fernschuss oder so was reingehauen hätten. Aber die Frankfurter mussten nicht mehr können. Die Stuttgarter schossen ja nicht mal.

Schon jetzt rechnen sie beim VfB die Rest-Vorrunde durch

Man werde "mit dem Abstieg definitiv nichts zu tun haben", hat Stuttgarts Sportvorstand Michael Reschke vor der Saison gesagt, und nun müssen sie beim VfB aufpassen, dass dieser Satz nicht bald auf besonders makabre Weise wahr wird. Wenn sie weiter so depressiv vor sich hin kicken wie beim 0:3 (0:2) gegen Frankfurt in der zweiten Halbzeit, werden sie bald wirklich nicht mehr viel mit dem Abstieg zu tun haben - weil sie dann irgendwann abgehängt sind wie vor einem Jahr der 1. FC Köln.

Schon jetzt rechnen sie beim VfB - natürlich heimlich - mit massiver Demut die Rest-Vorrunde durch: Jedes bis Weihnachten gesammelte Pünktchen würden sie als Geschenk betrachten, um dann eine der typischen VfB-Aufholjagden folgen zu lassen - mit externen Verstärkungen vom Wintermarkt und internen Zugängen aus der Krankenstation. Vor allem Daniel Didavi und Anastasios Donis werden zurzeit heftig vermisst, was auf ein zentrales Problem verweist: auf einen Kader, der offenbar weit weniger wettbewerbsfähig ist, als die Stuttgarter das in ihrem selbstbewusstseinsprallen Sommer erwartet haben - vor allem die Qualitäten von Didavi (Passspiel, Torgefahr) und Donis (Tempo, Torgefahr) gibt der Kader kein zweites Mal her.

Gegen Frankfurt zeigte sich das in einer düsteren zweiten Hälfte, in der sich die Fankurve minutenlang vom Geschehen abwandte - zu Unrecht im Grunde, denn was auf dem Platz nach Lustlosigkeit und mangelndem Aufbäumen aussah, war in Wahrheit die nackte Verzweiflung. Um aber aus dieser Spirale von Eigendynamik, Verletzungen, ungünstigen Spielverläufen und den falschen Gegnern zur falschen Zeit wieder herauszukommen, wäre dringend ein Aha-geht-doch-Effekt in Form einer Einzelaktion nötig, wofür es wiederum Unterschiedspieler wie Didavi und Donis bräuchte, die zurzeit ja aber . . . und so weiter.

Es war dann schon ein bemerkenswertes Bild, das es nach dem Spiel in der Mixed Zone zu sehen gab: Da stand leicht zerknittert der VfB-Sportchef Reschke und räumte ein, dass ihm die Situation "große Bauchschmerzen" bereite und dass er sich auch hinterfrage - ein paar Meter weiter führte Frankfurts Sportchef Fredi Bobic ein besonders verschmitztes Grinsen aus seiner Verschmitzte-Grinsen-Kollektion vor.

Das war, auf einer höheren Ebene, die Geschichte dieses Spiels, das auf banaler Ebene durch Tore von Sebastian Haller, Ante Rebic und Nicolai Müller entschieden wurde: dass Bobic an diesem Tag das Kaderplaner-Battle um Längen gewonnen hatte. Ausgerechnet Bobic, muss man sagen, jener eingeborene Stuttgarter, den sie beim VfB einst als Manager vertrieben haben. In Bobics durchwachsener Amtszeit wurde "die Bank von Hannover" (Rausch, Abdellaoue, Haggui) verpflichtet, bis heute ein fester Begriff im VfB-Deutsch, in Bobics Verantwortung fällt auch die Vernachlässigung des hauseigenen Großtalents Joshua Kimmich.

Nun aber hat er in Frankfurt eine Pokalsieger-Elf trotz diverser Abschiede so zusammengehalten, dass dort Ante Rebic, Luka Jovic und Sebastian Haller stürmen - ein Spektakeltrio, das nach Herzenslust die VfB-Deckung zerzauste, in der die Badstuberisierung allmählich voranschreitet. So langsam und unsicher der frühere Nationalspieler in seinem zweiten Fußballer-Leben spielt, so langsam und unsicher spielt inzwischen der ganze VfB.

Die Fitness im Team sei "definitiv suboptimal", sagte Reschke am Sonntag, "läuferisch ist die Mannschaft im Moment nicht in der nötigen Verfassung". Ein dezenter Wink ist das in Richtung des verflossenen Trainers Tayfun Korkut, dessen Training sie beim VfB als zu wenig intensiv wahrgenommen haben. So muss der hoch geschätzte Kaderplaner Reschke nun darauf hoffen, dass mit zunehmender Fitness auch seine Neuverpflichtungen ihr Können nachweisen - und der neue Trainer Markus Weinzierl muss nicht nur seine Bilanz des Grauens (0:4, 0:4, 0:3) moderieren, sondern ein verunsichertes Team im laufenden Spielbetrieb fit bekommen.

Seine beste Zeit hatte der Trainer Weinzierl übrigens in Augsburg: mit einer soldatisch abgerichteten Truppe, die bis zur 95,5. Minute laufen, laufen, laufen konnte.

Und dann weht ja noch der Name Jürgen Klinsmann seit einigen Tagen sachte durchs Ländle. Die Stuttgarter Nachrichten berichten nämlich bezugnehmend auf einen Bericht der Welt am Sonntag, Klinsmann wolle "zurück ins Spiel und kann sich einen Managerjob beim VfB vorstellen." Der 54-Jährige ist seit seinem Rauswurf als US-Nationaltrainer im November 2016 ohne Posten im Fußball. Klinsmann, von 1984 bis 1989 Profi beim VfB, steht in regelmäßigem Kontakt zu Klub-Präsident Wolfgang Dietrich. Aktuell, so heißt es aus dem Verein, soll es allerdings keinen Austausch über eine mögliche Rückkehr nach Cannstatt geben. Speziell Michael Reschke dürfte sich wünschen, dass das auch so bleibt, denn Klinsmann wäre einer, der es nur mit vollendeter Machtbefugnis macht.

© SZ vom 05.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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