VfB Stuttgart:Kampfabstimmung im Kessel

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Fans des VfB Stuttgart halten Protestplakate in der Kurve hoch: Diese Kundgebungen Richtung Verein gab es zuletzt immer wieder. (Foto: Tom Weller/dpa)

Auf dem Rasen herrscht beim VfB Stuttgart große Harmonie. Eine Etage höher wird allerdings heftig darüber gestritten, wer künftig den Vorsitz im Aufsichtsrat innehaben soll. Die Frage ist: Entscheiden die Mitglieder oder das Gremium selbst?

Von Christoph Ruf

Dass die Wahrheit auf dem Rasen liege, ist einer jener Sätze, die man wohl schon bei der Grundsteinlegung des Tempels der Fußballweisheiten hätte hinterfragen können. Am vorigen Freitag, als der VfB Stuttgart mal wieder ziemlich souverän ein Heimspiel gegen Union Berlin gewann, dürfte einigen Vereinsinsidern allerdings ein Satz, der auf dem Rasen fiel, recht lustig vorgekommen sein.

Dabei hatte Stadionsprecher Holger Laser ja nur die Wahrheit gesagt, als er angesichts der Vertragsverlängerung von Trainer Sebastian Hoeneß "die große Einigkeit" lobte, die im Verein herrsche. Er meinte damit natürlich nur den sportlichen Bereich, der beim VfB tatsächlich geräuscharm, harmonisch und erfolgreich arbeitet - drei Attribute, die sich gegenseitig bedingen. Für die Zustände im Machtzentrum des Vereines passt zurzeit allerdings kein Begriff weniger als "Einigkeit".

Hinter den Kulissen werden vehemente Grabenkämpfe geführt, die in ihrer Heftigkeit an die überwunden geglaubten Konflikte aus der Ära des Präsidenten Wolfgang Dietrich (2016 bis 2019) erinnern. Und wie damals geht es auf den ersten Blick um eine Personalfrage, im Kern allerdings um die künftige Ausrichtung des derzeitigen Bundesliga-Tabellendritten. Es ist die schwäbische Version jener Debatte, die zuletzt bundesweit mit beträchtlicher Schärfe geführt wurde - die Debatte, wie viel Mitbestimmung der Fußball braucht und wie viel Einfluss etwaige Geldgeber bekommen sollten. Der gleiche Konflikt lässt sich nun im Mikrokosmos des Stuttgarter Talkessels beobachten.

Vordergründig geht es um die Frage, wer künftig den Vorsitz im Aufsichtsrat der ausgegliederten Spielbetriebs-AG innehaben soll; jenen Posten, der bisher von Claus Vogt in seiner Eigenschaft als Präsident des eingetragenen Vereins (e.V.) bekleidet wird. Bei seiner Wiederwahl als Präsident im Jahr 2021 erhielt er mehr als 92 Prozent der Stimmen. Ihn stützen auch die Ultras, die am Freitagabend beim Ligaspiel gegen Union mittels eines Transparents Stellung bezogen: "Der AR (Aufsichtsrats)-Vorsitz bleibt beim e.V." und: "Meschke und Co. in die Schranken weisen." Gemeint ist damit Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke, dessen Unternehmen gerade Anteile im Wert von 41,5 Millionen Euro gekauft hat und der seit Ende Februar als einer von zwei Vertretern des Autobauers im elfköpfigen VfB-Aufsichtsrat sitzt, dem auch zwei Vertreter des sogenannten Anker-Investors Mercedes angehören.

Allerdings soll es auch bei den e.V.-Vertretern inzwischen Stimmen geben, die Vogt den Aufsichtsratsvorsitz entziehen wollen, vor allem wohl, um künftig weitere Spannungen zwischen Verein und Geldgebern zu vermeiden. Vogt hatte sich jüngst im Streit um den Investoreneinstieg bei der Liga (DFL) für den Erhalt der 50+1-Regel (zur Begrenzung des Einflusses von Geldgebern) ausgesprochen und damit offenbar nicht zum ersten Mal für Sorgenfalten im Investorenlager gesorgt, während sich die aktive Fanszene in ihrer Weltsicht bestätigt sah.

Als Vermittlerin zwischen den festgefahrenen Fronten fungiert nun Tanja Gönner

Dass Vogt bei der Kapitalseite im Aufsichtsrat unbeliebt ist, ist daher ebenso wenig überraschend wie die Parteinahme durch die Ultras von "Commando Cannstatt", die das in einer gerade veröffentlichten Erklärung begründeten: "Offenbar forderten Porsche-Vertreter bereits in den Verhandlungen um einen Einstieg beim VfB Stuttgart eine Umbesetzung des Postens und damit den Rücktritt des von den Mitgliedern gewählten Präsidenten", schreiben sie in einer Stellungnahme und warnen: "Der Einfluss des e.V. auf den Profifußball würde dadurch weiter verringert, 50+1 mehr und mehr zu einem theoretischen Konstrukt und (...) die Machtposition der Investoren als eigentliche Minderheitseigner gestärkt."

Tatsächlich wurde den VfB-Mitgliedern im Zuge der AG-Ausgliederung 2017 zugesagt, dass der Aufsichtsratsvorsitz dauerhaft vom Vereinspräsidenten ausgeübt werde, der jederzeit von der Mitgliederversammlung abberufen oder bestätigt werden könne. Das, so Vogt, entspreche dem Geist der 50+1-Regel. Offenkundig gehen manche Mitglieder also davon aus, dass die Ämter "Präsident" und "Aufsichtsratsvorsitz" aneinander gekoppelt sind - in der Satzung wurde das allerdings nicht festgeschrieben.

So wird es nun spannend zu beobachten sein, ob Vogt dieses Versprechen halten kann und die Mitglieder tatsächlich in die Entscheidung einbezogen werden - oder ob das dafür vorgesehene Prozedere zur Anwendung kommt und der Aufsichtsrat über den Vorsitz entscheidet. Gut möglich, dass es zu einer baldigen (Kampf-)Abstimmung in diesem Gremium kommt - in diesem Fall hätte Vogt wohl deutlich schlechtere Karten.

Als Vermittlerin zwischen den festgefahrenen Fronten fungiert nun Tanja Gönner. Die ehemalige Politikerin ist Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der deutschen Industrie, und sie könnte darauf verweisen, dass sie zumindest formal beiden Lagern angehört. Sie vertritt im Aufsichtsrat den eingetragenen Verein.

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