VfB Stuttgart:Abendliche Dynamik im Ländle

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Sportchef Michael Reschke überlegt, wer neuer Trainer beim VfB Stuttgart werden soll. (Foto: dpa)
  • Beim VfB Stuttgart ist man nach mehreren Niederlagen der Mannschaft frustriert.
  • Das Publikum schimpft, die Spieler enttäuschen und plötzlich muss Trainer Hannes Wolf gehen.
  • Kandidaten, die ihm nachfolgen könnten, gibt es genug - Thomas Tuchel dürfte es aber nicht werden.

Von Christof Kneer, Stuttgart

Der VfB Stuttgart, der am Sonntag seinen Trainer Hannes Wolf entlassen hat, hat vor dieser Entlassung noch ein gutes Spiel gemacht. Zwar ging die Partie ausweislich der amtlichen Dokumente mit 0:2 gegen Schalke 04 verloren, und es war auch keinesfalls zu überhören, dass die rund 55 000 Menschen im Stadion das Spiel eher nicht so überzeugend fanden. Sie pfiffen und riefen unverschämtes Zeugs aufs Feld, aber gut, das war natürlich nur Volkes Stimme.

Eine der kompetentesten Stimmen in der Branche kam zu einer völlig anderen Analyse. "Sehr strukturiert" hätte der VfB gespielt, fand Schalkes Trainer Domenico Tedesco, und nach der Pause hätten "sie alles reingeworfen". Okay, natürlich habe das seinen Schalkern Konterräume eröffnet, "aber dieses Risiko mussten die Stuttgarter gehen".

"Alles Gute, VfB", sagte Tedesco dann noch, "auch dir persönlich, Hannes."

Wolf hatte nur sechs mäßige Wochen als Trainer

Vor 30 Jahren kam Tedesco, 32, aus Italien in den Landkreis Esslingen, er fühlt sich als Schwabe und ist mit und beim VfB aufgewachsen. Seine Empathie für den gegnerischen Verein und seine geradezu rührende Amtshilfe für den gegnerischen Trainer hatten also mit seiner Biografie zu tun, aber es war auch ein Akt der Solidarität. Hannes Wolf und er waren zuletzt gemeinsam von Mehmet Scholl beschimpft worden, einem Branchenkritiker, der ebenfalls zu einem hohen Maß an Empathie fähig ist, vorausgesetzt, sie gilt der eigenen Person.

Der deutsche Fußball sei "Studenten" in die Hände gefallen, hatte Scholl gelästert, allerdings hat zum Beispiel der Student Tedesco eine hoch professionelle Elf ausgetüftelt, die einen verunsicherten VfB mit scharfem Gegenpressing weiter verunsicherte, zwei Standardtore durch Naldo (14., Kopfball nach Freistoß) und Amine Harit (19., Elfmeter) setzte und die Partie dann seriös über die Zeit moderierte.

Und Hannes Wolf? Der hat den VfB anderthalb Jahre abzüglich sechs Wochen exzellent geführt und gecoacht - und dass ihm die jüngsten sechs Wochen nun gleich zum Verhängnis geworden sind, hat in Stuttgart sogar enge Vereinsmitarbeiter überrascht, die am Samstagabend mit der festen Überzeugung vom Hof fuhren, am nächsten Wochenende in Wolfsburg werde ihr VfB wieder von Hannes Wolf geführt und gecoacht. Zwar hatte Sportchef Michael Reschke nach dem Spiel geraunt, man werde "eine Nacht über alles schlafen müssen", was in der Branche als liebevolle Umschreibung für "Wir schmeißen morgen übrigens den Trainer raus" gilt.

Aber mit jedem weiteren Satz des Sportchefs wurde der Job des Trainers immer sicherer. Er gehe davon aus, dass Wolf in Wolfsburg auf der Bank sitze, sagte Reschke, es gebe "im Moment keinen anderen Plan". Dass der Trainer am nächsten Morgen schon gehen müsse, das würde er, Reschke, "im Moment komplett ausschließen". Allerdings: Das Spiel in Wolfsburg sei "für alle im Verein von herausragender Bedeutung".

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Kann das funktionieren? In Stuttgart sagen sie: Nein! Die überraschende Entlassung von Hannes Wolf zeigt, dass der Überlebenskampf der Bundesliga für junge Trainer schwierig ist.

Kommentar von Christof Kneer

Auch das ist eine Art Branchencode, den die Boulevardpresse umständehalber etwas schnörkelloser formuliert. Es liest sich dann etwa so: Endspiel für Wolf!

Am Sonntagmorgen ist Wolf, 36, dann aber endgültig vom Gelände gefahren, nach einer emotionalen Verabschiedung, wie die Beteiligten versichern. Warum er sein Finale nicht mehr bekommen hat, das war am nächsten Tag die große Frage, und im Verein geben sie sich nun große Mühe, eine Version unters Volk zu bringen, die das Volk auch verstehen kann.

Denn das ist ja das Kuriose an dieser doch recht überfallartigen Entlassung: dass die Wutbürger in der Kurve und die Bruddler auf den Rängen nach anderthalbjähriger Pause zwar ein imposantes Comeback gefeiert haben - aber "Wolf raus!" hat keiner von ihnen gebrüllt oder gebruddelt. Nach seinem überzeugenden Auftritt in der Aufstiegssaison und auch in der Bundesliga-Vorrunde galt Wolf beim Anhang noch als ausreichend kreditwürdig - ein Sympathie- und Vertrauensbonus, der aber tatsächlich etwas davon ablenkte, dass die Elf sich in den letzten sechs Wochen nur noch in eine Richtung entwickelte, und zwar in die falsche.

So war Wolfs Lieblingsvokabel "Intensität" gegen Schalke nur noch im pfeifenden Publikum nachzuweisen, die Intensität des Aufbauspiels sah dagegen so aus, dass der Verteidiger Pavard den Ball zum Verteidiger Baumgartl passte, der den Ball zum Verteidiger Kaminski passte. Manchmal wurde auch der Torwart Zieler ins Aufbauspiel einbezogen. Ein gemeinsamer Gedanke war nirgendwo zu entdecken, und so war Mario Gomez vorne mitunter auf derart verzweifelten Laufwegen unterwegs, dass Mehmet Scholl bestimmt ein Kommentar dazu einfallen würde, den man aber eigentlich gar nicht wissen will.

Von einer "abendlichen Dynamik" hat Reschke dann am Sonntag berichtet und von einem Trainer, der nach dem Spiel nicht mehr jene Überzeugung ausgestrahlt habe, die ihn sonst auszeichnete. Reschke sagt, der Trainer habe "leichte Restzweifel" gehabt, "ob er die Mannschaft noch zu hundert Prozent erreicht". Am Ende hätten alle Beteiligten - inklusive Trainer - die Gefahr gesehen, "dass wir die Situation in der bestehenden Konstellation nicht mehr gedreht bekommen".

Als Verein sei man "dann in der Pflicht, zu handeln", Wolf habe die Entscheidung mitgetragen. Zur Pflicht eines Vereins gehört es nach gängiger Branchenlogik allerdings auch, die Trainerbank nicht unbesetzt zu lassen. Beim VfB wollen sie die Stelle zügig nachbesetzen, aber sie werden dabei die Erfahrung machen, dass sie durch die Trainerentlassung wohl wieder als jener Verein wahrgenommen werden, der sie vor dem Abstieg waren: ein Verein, der einen Trainer sucht, mit dem man im Idealfall schon gern länger zusammenarbeiten würde, der aber halt erst mal den Retter spielen muss.

Wunschkandidaten wie der reflexartig gehandelte Thomas Tuchel werden sich mit dieser Perspektive nicht locken lassen, obwohl Tuchel - wie Tedesco - über eine VfB-Biografie und sogar über eine VfB-Sympathie verfügt. Erste Kontaktaufnahmen hat Tuchel aber gleich beenden lassen, er ist dem Niveau des VfB längst entwachsen und will es sich auch nicht leisten, aus Nostalgie ambitioniertere Kontakte sausen zu lassen. So werden nun erst mal die unvermeidlichen Markus Weinzierl, Markus Gisdol und Andries Jonker gehandelt.

In Stuttgart sind die Bruddler und Wutbürger nun gespannt, ob der findige Personalbeschaffer Reschke weitere Namen auftreiben wird, auch neue Spieler könnten bis Mittwoch noch in die Stadt kommen. Wer das Schalke-Spiel gesehen hat, muss sich ja ernsthaft fragen, wie diese Elf mal drei Siege in Serie schaffen soll, aber das hat man sich beim 1. FC Köln auch gefragt. Und dann kam der Trainerwechsel.

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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