Verdiente Profis vor dem Aus:Wie sag ich's meinem Altstar?

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Ob David Jarolim, Raúl oder Michael Ballack: Die Liga gerät in Konflikt mit ihren alternden Helden und findet nicht die richtige Sprache, um ihn zu lösen. Einige Trainer verwechseln dabei den berechtigten Jugendtrend mit Perspektivwahn.

Christof Kneer

Natürlich werden die Kameras zunächst einmal auf Bernd Leno gerichtet sein. Er ist die Hauptperson in einer Geschichte, die sich leicht erzählen lässt: Ein junger Torwart, der dem VfB Stuttgart gehört und am Wochenende im Trikot von Bayer Leverkusen ins Stuttgarter Stadion heimkehrt.

Topfitter Veteran, aber bei der Startelf außen vor: David Jarolim vom Hamburger SV. (Foto: dpa)

Zwar ist Lenos Gesicht bislang nur in gut sortierten Fotoarchiven erhältlich, aber praktischerweise trägt er ja ein Torwarttrikot. Die Fotografen werden ihn erkennen.

Vermutlich ist es aber so, dass die Kameras nicht sehr viel Zeit haben werden für den jungen Mann. Sie werden bald abdrehen und sich einer schwierigeren Geschichte widmen. Die Kameras werden verfolgen, in welcher Arbeitskleidung Michael Ballack und Simon Rolfes den Rasen betreten, sie werden aufzeichnen, wer die lange und wer die kurze Hose trägt. Sie werden den mit der kurzen Hose auf dem Weg zum Anstoßkreis filmen und den mit der langen auf dem Weg zur Ersatzbank.

Dass beide kurze Hosen tragen, ist nicht zu erwarten, denn: "Sie sind zu ähnliche Spielertypen. Die Wahrscheinlichkeit, dass beide spielen, ist nicht groß" - diese Aussage stammt von dem Mann, der es zu entscheiden hat, von Leberkusens Trainer Robin Dutt.

Dutts Satz zählt zu einer Gruppe bezeichnender Zitate, die zurzeit im Umlauf sind. Zu dieser Gruppe zählt auch der Satz des Schalker Trainers Ralf Rangnick, der über seinen berühmtesten Profi sagte: "Wenn Raúl mir sagt, dass er weg will, unterhalten wir uns." Und als HSV-Trainer Michael Oenning gefragt wurde, ob David Jarolim noch eine Zukunft habe im Klub, da antwortete Oenning: "Ich hoffe es."

Frei übersetzt heißt das, dass Jarolim, 32, in Hamburg ungefähr so sehr eine Zukunft hat wie Ballack, 34, in Leverkusen und Raúl, 34, in Schalke.

Man kann sich noch gut erinnern, wie stolz die Liga vor anderthalb Jahren war, als sich der große Ruud van Nistelrooy die Ehre gab und zum HSV wechselte. Von Real Madrid! Ein halbes Jahr später gab sich der genau so große Raúl die Ehre, auch er kam: von Real Madrid!

Es folgten die nicht ganz so großen Mauro Camoranesi und Mikael Silvestre, zuvor Juventus Turin und FC Arsenal, und es hätte in diesen Monaten keinen gewundert, wenn der Bundesliga zuliebe noch Ronaldinho eingeflogen wäre und als Übergepäck den dicken Ronaldo dabei gehabt hätte.

Die Liga konnte gar nicht genug kriegen von diesen pompösen Altstars. Jetzt will sie sie loswerden, und es kann ihr gar nicht schnell genug gehen dabei.

Wenn man sich vergangenen Tage vergegenwärtigt, dann möchte man in der Bundesliga zurzeit lieber kein Altstar sein. Die Fülle der Fälle offenbart den ungelenken Umgang der Verantwortlichen mit den alten Helden. Leverkusens Dutt hat sich ohne Not in eine Lose-Lose-Situation hineindefiniert, durch seine kategorische Festlegung auf Ballack oder Rolfes entwertet er mindestens einen der beiden, eher beide.

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Schalkes Rangnick hat in seiner kaum verborgenen Skepsis über Raúls schwindende Kräfte eine Heiligenfigur über Nacht in einen alten Mann verwandelt, und Hamburgs Oenning hat der langjährigen Führungskraft Jarolim das Härteste angetan, was man einer langjährigen Führungskraft antun kann: Er hat ihr öffentlich die Autorität entzogen.

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Der sogenannte Fall Ballack, der bisher nur die Nationalelf umtrieb, hat jetzt auch die Bundesliga erreicht, mit denselben Motiven, demselben Konfliktpotenzial. Wie Joachim Löw beim DFB, so folgen auch Trainer wie Dutt, Rangnick oder Oenning einer Spielidee, zu der die großen Alten nicht mehr passen.

Dutt vertraut Lars Bender, einem allürenfreien Neuzeit-Sechser; Rangnick hätte lieber einen Stürmer, der laufstark genug ist, um schon ganz vorne mit dem geliebten Pressing zu beginnen; und Oenning wünscht einen Sechser, der das Spiel schnell, schneller, am schnellsten macht, anders als Jarolim, der - wenn er nicht gerade jemanden foulen muss - den Ball kundig durchs Mittelfeld schleppt.

Zu besichtigen ist jener clash of cultures , der Ballack schon die DFB-Karriere kostete. Die Elitejünglinge aus den Klub-Internaten, gedrillt auf Selbstbewusstsein und nüchterne Professionalität, prallen auf anspruchsvolle, manchmal großspurige Veteranen, die in einer Zeit groß wurden, als die Jungen zum Zeichen der Unterwerfung die Koffer tragen mussten.

Seit eine neue Trainergeneration die Liga flutet, gehen den Alten die Verbündeten aus. Ob Rangnick, Dutt oder Oenning, ob Klopp, Tuchel oder Slomka - sie alle wurden mit der Leitthese sozialisiert, wonach Konzept- und Heldenfußball unversöhnliche Gegenpole bilden. Die Helden dagegen wurden mit der Leitthese sozialisiert, dass sie Helden sind.

Für die Liga ist es ein Segen, dass die neuen Trainer Fußball nicht mehr als Individualsport, sondern als gruppendynamische Bewegung verstehen. Aber von den Erfolgen der Trainer Löw und Klopp haben sich ein paar Kollegen nervös machen lassen, sie werden ungeduldig, verwechseln den berechtigten Jugendtrend mit einem Perspektivwahn, der das Hier und Jetzt überspringt. Michael Oenning etwa mutet seiner neuen HSV-Jugendauswahl womöglich zu viele Schritte auf einmal zu.

Vor einer Woche, beim 2:2 gegen Hertha, konnte man förmlich dabei zusehen, wie sich die Hektik im Team legte, als Jarolim, der alte Haudegen, in der 67. Minute aufs Feld trabte. Gegen Bayern könnte er von Beginn an auflaufen.

Die Debatte dürfte spannend bleiben, zumal einigen modernen Trainern die passende Sprache für diesen Konflikt zu fehlen scheint. Wie sag ich's meinem Altstar? In Leverkusen, Hamburg und Schalke scheitern sie gerade an dieser Frage, in Augsburg eskalierte der Fall Michael Thurk.

Wie man Helden in Würde altern lässt, führt mal wieder Jürgen Klopp vor: Er hat Sebastian Kehl die Spielführerbinde gelassen, er bringt ihn im Pokal und manchmal in der 89. Minute. Aber Klopp hat gegenüber den Kollegen auch einen klitzekleinen Vorteil: Er ist gerade Meister geworden.

© SZ vom 20.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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