US Open:Zverev jagt seinen ersten Grand-Slam-Titel

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Ein Freund von harten Trainingscamps: der derzeit beste deutsche Tennisspieler, Alexander Zverev, 20 Jahre alt. (Foto: Leslie Billman/dpa)
  • Bei den US Open ist der hochveranlagte Tennisprofi Alexander Zverev an Nummer vier gesetzt.
  • Sein bislang bestes Grand-Slam-Ergebnis war das Achtelfinale in Wimbledon.
  • Zverev glaubt, dass er die Prognosen endlich erfüllen und die Besten schlagen kann.
  • Angelique Kerber erlebte in diesem Jahr ein Formtief - findet sie rechtzeitig heraus?

Von Jürgen Schmieder, New York

Da sind sie! Ja, wirklich, nicht zu übersehen! Jahrelang ist ihre Existenz angezweifelt worden, die Leute haben sie bereits in einer Reihe mit dem Monster von Loch Ness, Aliens und dem Yeti geführt. Nun, auf der Tennisanlage in Flushing Meadows, da darf vermeldet werden - und das ist die erste Überraschung noch vor dem Turnierbeginn an diesem Montag: Alexander Zverev verfügt tatsächlich über ein paar Muskeln an seinen langen Beinen. Als er während des Trainings das rechte Knie für einen Rückhand-Slice beugt, ist darüber der angespannte Quadrizeps zu erkennen.

Er sieht ja eher aus wie ein kalifornischer Surfer, nicht nur wegen des schlaksigen Körpers und der balancierten Bewegungen, auch wegen der blonden Wuschelfrisur und dem lockeren Lächeln. Zverev ist ein deutscher Tennisspieler, was bisweilen verwundert, weil von einem deutschen Tennisspieler immer auch erwartet wird, dass er ein bisschen aussieht, spielt und auftritt wie der 17-jährige Boris Becker. Zverev soll mindestens so erfolgreich werden, wie es Becker mal gewesen ist. Für die meisten Beobachter stellt sich ohnehin weniger die Frage, ob er einmal ein Grand-Slam-Turnier gewinnen wird, sondern wann es endlich so weit ist. Wann er die so genannten großen Vier (Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic, Andy Murray) beerben und in der Weltrangliste an erster Stelle geführt werden kann.

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Alexander Zverev erträgt den Druck nicht nur, er fordert ihn regelrecht

Bei den US Open ist er, auch wegen der Absagen von Stan Wawrinka und Novak Djokovic, auf Platz vier gesetzt, die Wettanbieter in Las Vegas führen ihn hinter Federer und Nadal sogar auf Rang drei. Warum auch nicht? Zverev hat in diesem Jahr bereits fünf Turniere gewonnen, vor zwei Wochen hat er Federer im Finale von Montréal regelrecht vom Platz geschossen. "Ich habe wirklich versucht, die Partie wenigstens ein bisschen ausgeglichener zu gestalten, aber das war nicht möglich. Alexander hat außerordentlich gut gespielt", sagte Federer anschließend.

Was ist das für ein Kompliment, wenn einem der beste Spieler der Geschichte (der gerade selbst herausragend agiert und vor diesem Endspiel in Monaco 16 Partien nacheinander gewonnen hat) mitteilt, trotz aller Bemühungen keine Chance gehabt zu haben? Und was muss das für ein unfassbarer Druck sein, wenn man als 20 Jahre alter Lümmel mitgeteilt bekommt, dass man in dem, was man tut, gefälligst der Beste auf der ganzen Welt zu sein hat?

Das Spannende an Zverev ist ja, dass er diesen Druck nicht nur erträgt, sondern regelrecht fordert. Er hat seine Karriere, sein ganzes Leben darauf ausgerichtet, der beste Tennisspieler der Welt zu werden. Deshalb sind diese Muskeln, die nun an seinen Beinen zu bestaunen sind, so bedeutsam für diese Entwicklung. Zverev ist, obgleich mit erstaunlichem Talent und hoher Spielintelligenz gesegnet, ein beinahe besessener Arbeiter. Er absolviert mit Vater und Trainer Alexander senior, Physiotherapeut Hugo Gravil und Fitnessguru Jed Green mörderische Trainingslager. Selbst der neue zweite Coach, der frühere Weltranglistenerste Juan Carlos Ferrero, war über die Intensität der Einheiten erstaunt.

Plötzlich entdecken die Zuschauer Muskeln an den Oberschenkeln (Zverev: "Ich habe fast zehn Kilo zugenommen") oder erkennen, dass er seinen Aufschlag nicht mehr nur möglichst mit Höchstgeschwindigkeit auf die andere Seite prügelt, sondern auch die Varianten Kick und Slice äußerst effektiv beherrscht. Er kann nun sogar ordentliche Volleys, seit er vor anderthalb Jahren gegen Nadal einen Matchball mit einem kläglichen Fehler vergeben und danach noch verloren hat.

Wenn Zverev eine Schwäche an sich entdeckt, dann feilt er so lange daran, bis es wenigstens keine Schwäche mehr ist. Er lernt aus Fehlern, doch nun soll damit auch mal genug sein. In Wimbledon, als er im Achtelfinale verloren hatte, da fragte ihn ein Reporter, was er denn von dieser unnötigen Niederlage gegen Milos Raonic mit nach Hause nehmen würde. Diese Frage wird ja immer wieder gern gestellt, weil sie den Sportlern die zitierfähige Behauptung erlaubt, aus den eben gemachten Fehlern lernen zu wollen. Zverev hingegen antwortete: "Wir sagen andauernd: Jedes Match, das ich verliere, da lerne ich. Das besprechen wir seit drei Jahren. Aber ich habe langsam keine Lust mehr zu lernen."

Wer noch lernen muss, der ist bei der wahnwitzigen Konkurrenz im Männertennis nicht bereit für die ganz großen Siege bei den großen Turnieren - Zverev findet, dass die Lehrjahre nun vorbei sind, dass aus Prognosen endlich Realität werden muss und aus der Zukunft die Gegenwart. "Ich weiß, dass ich die besten Spieler der Welt schlagen kann", sagt er: "Ich bin keiner, der groß über die Zukunft nachdenkt. Ich lebe gern im Hier und Jetzt - und will in der Gegenwart erfolgreich sein."

Natürlich hat es in den vergangenen Jahren einige Talente gegeben, von denen es hieß, dass sie bald Grand Slams gewinnen und die Weltrangliste anführen würden, und an die sich heute kaum noch jemand erinnert, und wenn überhaupt dann nur wegen fragwürdiger Frisuren oder legendärer Wutausbrüche. Viele dieser Vorhersagen werden auch durch clevere Fragestellung provoziert. Federer etwa wird auf die Frage nach Zverevs Zukunft kaum sagen: Nun ja, bei den Grand Slams hat er bislang auch noch nichts gerissen; ich bin mal gespannt, ob aus dem wirklich was wird. Er sagt: "Zverev kann eines Tages die Nummer eins der Welt werden."

Aber das, was Federer nie sagen würde, stimmt natürlich: Bei den Grand-Slam-Turnieren hat Zverev bislang noch nicht besonders viel erreicht, das Vordringen ins Achtelfinale von Wimbledon ist das bislang beste Ergebnis. Es geht bei den US Open nicht nur darum, bei 40 Grad Celsius im Schatten sieben Partien durchzuhalten, die auch mal fünf Stunden lang dauern können.

Niemand kann so lange das beste Tennis seines Lebens präsentieren; es geht deshalb während dieser zwei Wochen auch darum, Kräfte zu konservieren, einen Rhythmus zu finden und Rückschläge während einer Partie bewusst in Kauf zu nehmen. Ferrero sagt über Zverev: "Psychisch liegt er auf einer Skala von eins bis zehn bei einer Fünf - da ist noch viel Luft nach oben." Bei der Psyche, da hilft kein mörderisches Trainingslager, Besessenheit kann da eher hinderlich sein. Ferrero und Green verordnen Zverev deshalb nun auch mal Pausen, um den Körper auszuruhen und den Kopf frei zu bekommen. Vor dem ersten Training in New York spielte Zverev ein bisschen Golf und lag ein paar Tage lang am Strand herum.

Kerber spielte bis zum Sommer eine gar schreckliche Saison

Er trifft in der ersten Runde auf einen Qualifikanten. Fünf deutsche Akteure sind gesetzt bei diesen US Open, Zverevs Bruder Mischa (Platz 23) und vor allem Julia Görges (30) sind aufgrund der aktuellen Form einige Siege zuzutrauen. Görges wurde zum Auftakt die deutsche Kollegin Annika Beck zugelost. Philipp Kohlschreiber rutschte durch die Absage von Andy Murry in die Setzliste und trifft auf den Amerikaner Tim Smyczek. Titelverteidigerin Angelique Kerber muss sich zunächt an der Japanerin Naomi Osaka messen. Kerber spielte bis zum Sommer eine gar schreckliche Saison, aufgrund schwankender Leistungen scheint zwischen frühem Scheitern und großartigen Siegen beinahe alles möglich zu sein. Bei allen anderen wäre das Erreichen der zweiten Turnierwoche eine freudige Überraschung.

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Wer in den Tagen vor Beginn der US Open über die Anlage in Flushing Meadows spaziert, der erkennt vor allem, dass beim Tennis nichts verschwindet. Es sind alle da, die immer da sind: der Halbintellektuelle John McEnroe, der wunderbar entspannte Mats Wilander, der erstaunlich unterhaltsame Ivan Lendl. Hin und wieder, da kommt was dazu - die Muskeln von Alexander Zverev zum Beispiel. Es kommt aber nichts weg, und es würde deshalb nicht verwundern, wenn Angelique Kerber ausgerechnet hier in New York ihre Form finden würde, die sie schon die komplette Saison über sucht. Sie sollte vieleicht mal am Brunnen vor dem Arthur Ashe Stadium nachsehen.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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