Deutsche Tennisprofis Tamara Korpatsch und Eva Lys:Wohlfühlen in der Weed-Wolke

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Premiere in New York: Tamara Korpatsch steht erstmals bei den US Open in der zweiten Runde. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Wie in Wimbledon erreicht Tamara Korpatsch auch bei den US Open die zweite Runde - und erzählt danach über den besonderen Geruch des New Yorker Tennisturniers.

Von Jürgen Schmieder, New York

Ganz tief einatmen und die frische Luft genießen. Das ist die Strategie von Tamara Korpatsch, sollte sie auf der Tennisanlage von Flushing Meadows oder überhaupt in New York mal ein Örtchen finden, an dem es nicht nach Marihuana riecht. "Ich mag den Geruch nicht", sagte sie nach ihrem Erstrundenerfolg gegen Irina-Camelia Bagu (6:3, 6:2). Sie ist nicht die Einzige, der es aufgefallen ist, wie die Legalisierung als Genussmittel im US-Bundesstaat New York nun diese US Open prägt. Es ist tatsächlich nicht zu überriechen.

"Es war ganz klar Marihuana", sagte auch die Griechin Maria Sakkari nach ihrer Niederlage auf Court 17, der am östlichen Eck der Anlage zu finden ist und damit direkt neben dem Corona Park von Queens, wo die Leute grillen, Fußball zocken, Bier trinken und sich hin und wieder einen Joint gönnen. Die Weed-Wolke weht dann hinüber. Auch Alexander Zverev spielte auf diesem Platz, er gewann locker 6:4, 6:4, 6:4 gegen Aleksandar Vukic und trifft am Donnerstag auf Landsmann Daniel Altmaier, der den Franzosen Constant Lestienne bezwungen hat (6:7, 6:3, 6:1, 6:2). Über Marihuana sagte er: "Es riecht überall danach, aber was soll ich dazu sagen außer: Gut für die New Yorker!"

Der Geruch dürfte sich nicht verziehen in den nächsten zwei Wochen, das bedeutet: Wer erfolgreich sein will bei diesen US Open, der muss damit umgehen, dass es hier nun mal zugeht wie auf dem Times Square in Manhattan: Es ist laut, man begegnet lauter Verrückten, es riecht nach Gras und es passieren bisweilen wundersame Dinge: wie etwa, dass einem neben Platz 17 ein Zuschauer einen Zug vom Joint anbietet; oder dass sich eine junge Frau durch die Qualifikation bei diesem Grand-Slam-Turnier kämpft und es am Ende ohne Satzverlust gewinnt wie die Britin Emma Raducanu vor zwei Jahren.

Emma Raducanu fehlt bei diesem Turnier wegen einer Handoperation, aber ein Vorbild für die jungen Kolleginnen ist sie allemal: "Nur noch sechs Siege", sagt die 21 Jahre alte Eva Lys also nach dem 6:2, 6:1 gegen Robin Montgomery. Eva Lys steht wie ihre deutsche Kollegin Korpatsch in der zweiten Runde eines Grand-Slam-Turniers, zum ersten Mal in ihrer Laufbahn, und sie hat offenbar noch Größeres vor. "Raducanu hat 2021 bewiesen, dass im Tennis alles möglich ist - das gibt einer jungen Spielerin wie mir ordentlich Motivation. Ich weiß, dass es möglich ist; diesen Gedanken nehme ich mit", sagt Lys. In ihrer Familie habe es schon in der Qualifikation für die Hauptrunde "diesen Running Gag" gegeben: "Nach der ersten Partie sagte meine kleine Schwester: nur noch acht Spiele bis zum Turniersieg. Nun sind es nur noch sechs." Kurzer Blick aufs Tableau: In der zweiten Runde spielt sie am Donnerstag nicht gegen die an Zwölf gesetzte Barbora Krejcikova, sondern gegen deren Bezwingerin Lucia Bronzetti.

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Sushi als Belohnung für den größten Erfolg von Eva Lys

"So abgedroschen das klingen mag: Ich versuche, das Hier und Jetzt zu genießen und so viele positive Gedanken zu haben wie möglich", sagt sie. Dazu gehöre zum Beispiel, der Kontrahentin nach guten Schlägen zu applaudieren - was sie auffällig häufig tut: "Ich gratuliere damit nicht nur der Gegnerin, sondern deute mir an: Hey, die andere kann auch spielen! Es ist jetzt nicht so schlimm, dass sie den Ball mal auf die Linie knallt; ärgere dich nicht. So halte ich mich im Spiel und werde nicht wütend."

Positiv bleiben, das ist das Geheimnis. Auch Andrea Petkovic, die nach dem Karriereende als Mentorin des Deutschen Tennis-Bundes in New York ist, rät ihr dazu, etwa bei gegnerischen Assen: "Sofort rüber auf die andere Seite - nicht aufregen, sondern auf die Chance warten. Die kommt dann schon." Positiv bleiben, auch wenn die ältere Schwester abreisen musste: "Sie würde in der zweiten Woche zurückkommen; das ist dann doch eine familiäre Motivation, noch ein bisschen länger dabei zu sein."

"Nur noch sechs Siege", sagt Eva Lys. So viele fehlt ihr zum Triumph in New York. Sie meint das nicht ganz ernst - aber ein bisschen schon. (Foto: Paul Zimmer/Imago)

Sie fühlt sich wohl in New York, sagt Lys. Nicht nur Petkovic und ihre Familie sind für sie da ("Mama hat mir Sushi mitgebracht, das ist jetzt meine Belohnung für den größten Erfolg meiner Karriere"), sondern auch Bundestrainerin Barbara Rittner und Teamchef Rainer Schüttler. Es gehe ihr so richtig gut derzeit, und das führe dazu, dass sie dran glaube, noch ein paar Partien gewinnen zu können bei diesem Turnier.

Das führt zurück zu Korpatsch. "Ich liebe diese Stadt", sagt sie über New York, wo sie zum zweiten Mal in ihrer Karriere die zweite Runde bei einem Grand-Slam-Turnier erreicht hat - nach Wimbledon im Juli; dort war sie als "Lucky Loser" ins Hauptfeld gekommen und hatte Carol Zhao besiegt.

Nichts ist so wertvoll wie ein gewonnenes Match bei einem Grand-Slam-Turnier

Es ist nicht unsentimental, wenn man behauptet, dass die Qualifikation für ein Grand-Slam-Hauptfeld essenziell ist für Tennisprofis, auch finanziell: 289 827 Dollar hat Korpatsch, 28, in diesem Jahr an Preisgeld eingenommen, 178 874 davon stammen von den Grand-Slam-Turnieren in Melbourne und Wimbledon. Nun kommen allein durch den Einzug in die zweite Runde 123 000 Dollar dazu. Für den Einzug in die dritte Runde gäbe es 191 000 Dollar und 130 Punkte für die Weltrangliste; für Korpatsch und Lys, die vor den US Open 153 254 Dollar erspielt hatte und den Betrag mit dem Zweitrunden-Einzug fast verdoppelt hat.

"Ich gucke eher auf die Punkte", sagt Korpatsch. Auch da sind die Grand Slams wichtig. 70 Weltranglistenpunkte gibt es für Runde zwei. Für den Halbfinaleinzug in Prag, ihr bestes Ergebnis in dieser Saison, bekam sie 110 Zähler. "Es wäre schon gut, wenn noch ein paar Punkte dazu kämen", sagt Korpatsch, deren Saison durch einige Krankheiten und Verletzungen ordentlich durcheinandergerüttelt wurde und durch Wimbledon eine glückliche Wende nahm.

"Der Druck ist weg, ich spiele befreiter, selbstbewusster", sagt Korpatsch, die nun gegen die an 14 gesetzte Russin Ljudmila Samsonowa antrittt. "Sie trifft die Bälle hart; aber ich bin auch zufrieden mit meinem Spiel - ich bin ja auch nicht so schlecht, und ich fühle mich sehr wohl in New York." Jetzt muss sie nur noch die Orte auf der Anlage finden, an denen es nicht nach Marihuana riecht. Dann: Ganz tief einatmen und die frische Luft genießen.

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