Bundesliga:Union fürchtet nur die Angst vor der eigenen Courage

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Schon 16 Punkte in dieser Saison: Urs Fischer (links) und Robin Knoche sind zufrieden. (Foto: AFP)

Ohne den verletzten Max Kruse will Union Berlin auch dem FC Bayern das Leben schwer machen. Wie Trainer Urs Fischer es geschafft hat, seine Elf weiterzuentwickeln.

Von Nico Fried, Berlin

Urs Fischer hat jüngst seinen Vertrag als Trainer von Union Berlin verlängert. Am Dienstag wurde das bekannt, am Donnerstag bot sich für die Journalisten die erste Gelegenheit, den 54-Jährigen per Videokonferenz zu befragen. Fischer stammt aus dem Kanton Luzern und bemüht sich beim Sprechen in der Regel nicht erkennbar darum, dem Klischee des gemächlichen Schweizers entgegenzuwirken. Als er gerade erläutern wollte, warum es ihm "eigentlich wirklich Spaß" mache, in Berlin zu arbeiten, setzte plötzlich die Technik aus. Der Trainer blieb immerhin im Standbild erhalten, quasi als Denkmal, wie man es in seiner Heimat sonst vor allem von den Wilhelm-Tell-Statuen kennt. Nur hören konnte man gar nichts mehr.

Das war aber auch nicht zwingend nötig. Denn wie der Mann mit der Armbrust in der Schweiz genießt Fischer im Völkchen der Union-Fans bereits eine Art Heldenstatus, weshalb die Verlängerung seines Engagements bei Union in die Kategorie selbsterklärend fällt. Erst führte Fischer die Berliner in die Bundesliga, dann schaffte der Traditionsverein aus dem Osten der Hauptstadt mit ihm erstaunlich souverän den Verbleib im Oberhaus - und nun liegt der Klub aus Köpenick nach zehn Spielen in der aktuellen Saison auf Platz sechs. Wo immer sie ein pochendes Geräusch vernehmen, denken besonders hart gesottene Union-Anhänger derzeit womöglich nicht zuerst an den Weihnachtsmann, sondern vermuten dahinter schon das Klopfen ihres Vereins an die Tür zum Europapokal.

"Unser Ziel ist Klassenerhalt"

Urs Fischer ist in dieser Hinsicht nicht gefährdet: "Unser Ziel ist Klassenerhalt." Fragt man ihn zum Spitzenspiel gegen den FC Bayern an diesem Samstag (18.30 Uhr), antwortet er: "Ich habe nicht im Kopf, dass das ein Spitzenspiel ist." Dem Trainer genügt ein Blick auf den Kalender, um zu wissen, dass in der Begegnung mit dem Meister nicht der Einzug in die Champions League ausgespielt wird, sondern für Union erst einmal der weitaus härtere Teil der Vorrunde beginnt. In den nächsten Wochen müssen die Berliner beweisen, was ihre bislang 16 Punkte tatsächlich wert sind. Mit den Bayern, Dortmund, Wolfsburg, Leverkusen und Leipzig warten in den nächsten Wochen noch alle fünf Teams, die vor Union in der Tabelle stehen.

Doch Fischer kann diese Spiele mit der Gelassenheit eines Trainers angehen, der die Mannschaft in den vergangenen Monaten nachweislich weiterentwickelt hat. Eine gewisse Qualität der Defensive lässt sich am schnellsten daran ablesen, dass Union bislang sogar zwei Tore weniger kassiert hat als die Bayern. "Eklig" nennt Stürmer Marius Bülter das aggressive Spiel seiner Mannschaft gegen den Ball und im Zweifel auch gegen den Gegner - und er meint das ganz und gar positiv. Auch Urs Fischer wünscht sich für den Samstag, dass seine Leute die Bayern bei aller gebotenen Gastfreundschaft doch so behandeln, "dass sie nicht Lust bekommen, Fußball zu spielen". In Abwandlung des Textes, den Friedrich Schiller seinem Wilhelm Tell in den Mund legte, könnte man sagen: Die hohle Gasse, durch die der FC Bayern kommen muss, soll sehr eng gemacht werden.

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Wie schnell der Preis für diese Spielweise allerdings auch sehr hoch sein kann, hat im Hauptstadtderby gegen Hertha BSC die Rote Karte für Robert Andrich gezeigt. Der wichtige defensive Mittelfeldmann der Unioner hatte den rechten Fuß zwischenzeitlich auf Halshöhe seines Gegners arretiert und wurde nach seinem Platzverweis für drei Spiele gesperrt. Am vorderen Ende der Formation fehlt den Unionern außerdem bis zum Jahresende ihr bislang wichtigster Spieler und erfolgreichste Torschütze, Max Kruse, wegen einer Muskelverletzung. Kruse, gerne und oft in den sozialen Medien unterwegs, verkündete vor dem Bayern-Spiel, es werde nun "sehr, sehr still um mich". Er wolle sich in den kommenden zehn Tagen ganz auf seine Reha konzentrieren.

Einer, der von den Ausfällen profitieren könnte, ist Marius Bülter. Der 27-jährige Stürmer hing mit Corona für zwei Wochen in seiner Wohnung fest, wo ihm nur ein Zimmerfahrrad blieb, um sich fit zu halten. Im Fernsehen konnte er verfolgen, wie Kruse das Union-Spiel mit Ideen, Pässen und Toren bereicherte. Tatsächlich stellt Union Berlin mit 22 Toren zusammen mit Borussia Dortmund einstweilen die zweitbeste Offensive der Liga. Folglich mahnt auch Fischer mit Blick auf den Samstagabend an, dass seine Elf "mutig sein" und sich auch aus Situationen befreien müsse, "in denen man mal zwei Minuten lang den Ball nicht sieht".

Wenn Urs Fischer den studierten Maschinenbauer Bülter bringt, könnte der Genesene mithelfen, auch ohne Kruse das neue Offensivspiel der Berliner anzutreiben: "Gepflegter" sei der Spielaufbau mittlerweile, findet Bülter, die Mannschaft erarbeite sich "mehr gefährliche Situationen". Aber er erlaubt sich auch den Hinweis, dass es noch gar nicht so lange zurückliegende Zeiten gab, in denen Union auch schon ohne Kruse gut gespielt habe. Diese Einstellung ist ganz im Sinne des Trainers, der von den Spielern, die gegen die Bayern auflaufen, ausdrücklich nicht erwartet, dass sie die fehlenden Kollegen kopieren, sondern "ihre Stärken auf den Platz bringen".

Genau genommen geht es für die Berliner darum, nicht im Ganzen zu erleben, was ihnen zuletzt im Einzelnen widerfahren ist. In den letzten fünf Spielen ging Union immer in Führung, viermal davon in den ersten 30 Minuten, zweimal sogar in den ersten drei Minuten. Zuletzt aber verspielten die Berliner auch zweimal ihren Vorsprung. Gegen Frankfurt retteten sie an der Alten Försterei noch ein Unentschieden, im Lokalderby aber mussten sie alle drei Punkte im Olympiastadion lassen. Nach dem 2:0 binnen fünf Minuten gegen Frankfurt hatte Urs Fischer schon grüblerisch konstatiert, die schnelle Führung habe seiner Mannschaft womöglich nicht in die Karten gespielt. Das einzige, was die Unioner mithin fürchten müssen, ist die Angst vor der eigenen Courage.

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