Union Berlin:Die Romantiker staunen

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Wann endet der Höhenflug der Unioner? Nach der Führung gegen den VfB Stuttgart hoben Torschütze Grischa Prömel (links) und Marvin Friedrich zumindest kurz ab. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Hauptsache mal dabei sein, das war die Losung von Union Berlin in der Bundesliga. Doch nach dem 2:1-Sieg gegen den VfB Stuttgart müssen neue Ziele her an der Alten Försterei.

Von Jens Schneider, Berlin

Das Spiel war eine zutiefst unansehnliche Angelegenheit. Am Ende hielt Union Berlin den Ball mit großem Kraftaufwand fern vom eigenen Tor, und nach dem 2:1-Erfolg wurde rund um das Stadion an der Alten Försterei die Nacht durchgefeiert. Denn an diesem Tag gelang, was sich die wenigsten in Köpenick hatten vorstellen können. Naja, sagten viele, Hauptsache mal dabei sein, ein Jahr ganz oben. Und die Stuttgarter mussten sich auf Reisen nach Sandhausen und Osnabrück einstellen, in der zweiten Liga.

Knapp zwei Jahre liegt dieses Aufeinandertreffen zwischen Union Berlin und dem VfB Stuttgart zurück. Damals ertrotzten sich die Berliner in der Relegation mit einem torlosen Unentschieden den Aufstieg in die Bundesliga. Unvorstellbar war da, dass das nächste Spiel der beiden an der Alten Försterei unter diesen Vorzeichen beginnen sollte: Union ist weiter dabei, Stuttgart wieder da, spielerisch eine der Überraschungsmannschaften der Saison. Auf der leeren Tribüne hing ein Transparent: "Der Traum von Liga 1 bleibt wahr! Danke an alle im Verein!" Statt im Abstiegskampf trafen sie sich zum Wettstreit, wer vielleicht demnächst in Europa dabei sein könnte.

Union Berlin will immer bissig und hartnäckig spielen, das ist die DNA

Das kann man als eine Geschichte für Romantiker lesen, als Beleg, dass sich auch ohne großes Geld im Fußball noch was erreichen lässt, weil eine kluge Spielidee mehr bringt als ein teurer Kader. Bei dieser Art Fußball-Romantik sind allerdings Spielkunst und Schönheit nur in seltenen Momenten zu erleben. An diesem Samstagnachmittag waren dies freilich die entscheidenden Augenblicke, so wie jener Spielzug in der 20. Minute, mit dem die Berliner das durch enges Pressing blockierte Spiel mit einem vorzüglichen Pass aufbrachen.

Es werde keinen Schönheitspreis zu gewinnen geben, hatte Stuttgarts Coach Pellegrino Matarazzo gewarnt, seine Mannschaft müsse Hartnäckigkeit zeigen, bissig sein. Union Berlin will sowieso immer bissig und hartnäckig spielen, das ist die DNA des Klubs. Lange hielten sich beide Teams an die Vorgabe, nichts Schönes entstehen zu lassen. Dann spielte Unions Christian Gentner diesen großartigen langen Pass durch die Abwehrreihe der Stuttgarter. Christopher Trimmel erlief sich den Ball und flankte sofort, in der Mitte hatte Grischa Prömel viel Zeit den Ball per Kopf ins Tor zu lenken.

Diese Zielstrebigkeit zeichnet Union schon die ganze Saison bei Angriffen aus. Drei Ballkontakte nur, und der Gegner stellt erschrocken fest, dass er im Rückstand liegt, obwohl das gar nicht absehbar war. Danach begann wieder der Wettstreit, wer das robustere Team ist. Kurz vor der Pause zeigten die Berliner noch einmal, wie sehr sie sich darauf verstehen. Da hatte ihr Spielmacher Max Kruse vor dem Strafraum den Ball verloren, setzte nach und spitzelte ihn Gegenspieler Erik Thommy weg. Wieder spielte Trimmel scharf in die Mitte, dort drückte Petar Musa den Ball ins Tor.

Nach solchen Toren bleibt Trainern nur die Feststellung, dass ihre Mannschaft, nicht - wie war das noch: bissig genug war. Stuttgarts Coach Matarazzo brachte in der Halbzeit drei neue Spieler, und einer von ihnen, Philipp Förster, kam nach einer feinen Ablage von Sascha Kalajdzic so frei zum Schuss, dass er in der 49. Minute den Anschlusstreffer erzielen konnte. Die Stuttgarter hatten Vorteile, aber je länger dieses Spiel dauerte, desto mehr erinnerte es an jenen Kampf vor zwei Jahren mit seiner Unansehnlichkeit, die am Ende den Berlinern nutzte. Sie setzten verlorenen Bällen nach, als wäre dies ein entscheidendes Pokalspiel.

Wiederholt sich die Geschichte, wenn zwei Klubs erneut aufeinandertreffen?

Jetzt könnte den Berlinern etwas gelingen, das sich die wenigsten in Köpenick hatten vorstellen können. "Es gilt, neue Reize zu setzen", sagt Trainer Urs Fischer. "Wenn du die Möglichkeit hast, solltest du sie nutzen." Draußen, im Wäldchen hinter dem Stadion, standen nach dem Spiel einige Fans beisammen, als wollten sie zumindest in der Nähe sein, wenn Unvorstellbares greifbar wird. Hauptsache mal dabei sein, könnten sie in Köpenick sagen, diesmal im Europapokal.

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