U19-EM:Mittelstürmer gesucht, gerne ein brutaler

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Auch er blieb ohne Torerfolg: Janni Serra im Zweikampf mit Italiens Alberto Picchi. (Foto: imago/Jan Huebner)

Deutschland verliert zum Auftakt der U19-EM nach einer Vielzahl vergebener Chancen gegen Italien 0:1. Wie steht es um den Stürmer-Nachwuchs?

Von Sebastian Fischer, Stuttgart

Es ist müßig, Janni Serra zu fragen, was er mal werden möchte, wenn er groß ist. Denn Janni Serra ist zwar erst 18 Jahre alt, aber er ist schon ziemlich groß: 1,93 Meter. Und außerdem steht seine Berufswahl so gut wie fest, schon allein, weil er dringend gebraucht wird. Serra übt einen Beruf aus, der in Deutschland seit kurzem wieder besonders wertgeschätzt wird, für den es aber so wenige Bewerber gibt wie Bibliothekare oder Philatelisten: Serra ist Mittelstürmer. Und er sagt selbst nach angestrengtem Nachdenken: "In meinem Alter in Deutschland - ich weiß nicht, ob es da noch einen anderen gibt."

Serra sagte das am Montag in Stuttgart, als er auf die Reporter hinabschaute und der Notstand auf seiner Position mal wieder das große Thema war. Am Montag hat in Stuttgart die EM der U19-Junioren begonnen, die Messe der talentiertesten Jugendspieler des Kontinents tourt für zwei Wochen durch Baden-Württemberg. Zum Auftakt hat Deutschland 0:1 gegen Italien verloren, gut gespielt, aber eben: nicht das Tor getroffen. Als besondere Pointe fiel das Tor für Italien nach einem Handelfmeter. Alles wie bei den Großen also.

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DFB-Sportdirektor Flick grinst, wenn es um das Thema Stürmer geht

Seit der Flut an vergebenen Chancen beim EM-Halbfinal-Aus gegen Frankreich ist das in den vergangenen Jahren stets lauwarme Mittelstürmerthema wieder so richtig heißgekocht, gerade erst hat sich der in der Sache nun wirklich kundige Horst Hrubesch geäußert. Er sagte, Deutschland habe zwar potenzielle sogenannte "echte Neuner" und "Zielspieler", die für nichts anderes als das Toreschießen da seien - "aber wir müssen sie auch ausbilden". Ähnlich wie in Spanien habe man sich auch hierzulande ein wenig zu sehr darauf beschränkt, die "falschen Neuner" zu fördern, die eher um das Tor herum passen anstatt darauf zu schießen.

Wenn man DFB-Sportdirektor Hansi Flick in diesen Tagen auf das Thema Stürmer anspricht, grinst er vielsagend, und er sagt genau wie Guido Streichsbier, der Trainer der U19: "Das Problem ist erkannt". Streichsbier erzählte am Montag von einer Diskussion mit Andreas Thom, der ja wie Hrubesch einst ein erfolgreicher Stürmer war und inzwischen Jugendspieler trainiert, bei Hertha BSC. Streichsbier und Thom haben demnach eine Liste aufgestellt, was es braucht, um vor dem Tor erfolgreich zu sein: "Routine - technische Feinheiten, die man unter Druck vergisst -, aber auch diese Gier, ein Stück weit Brutalität."

Was es braucht, da sind sich nicht nur Flick und Streichsbier einig, ist eine individuelle Ausbildung von Stürmern in Deutschland. Der Austausch mit den Nachwuchsleistungszentren sei eng, sagt Streichsbier. Das Problem ist, dass eben jene individualtaktische Ausbildung im Mannschaftstraining oft zu kurz kommt. "Wir müssen in Deutschland den Fokus noch mehr auf den Torabschluss legen. Auch wenn ich sagen muss, dass bei uns in jeder Trainingseinheit ab der 20. Minute Torabschlüsse dabei sind", sagt Streichsbier.

Doch im Verein, wo ja mehr Zeit ist als in der Nationalmannschaft, müsste womöglich noch stärker auf Positionen zugeschnitten trainiert werden, finden sie beim DFB. Das scheitert allerdings in der Praxis oft daran, dass selbst im Jugendfußball schon Ergebnisdruck vorherrscht, Trainer Spiele gewinnen müssen - tagelanges Stürmer-Spezialtraining ist da schwierig.

Dass selbst eine Begegnung zweier A-Jugend-Mannschaften im Jahr 2016 nicht einfach nur ein ganz normales Fußballspiel ist, zeigte das Spiel am Montag. Der David Guetta der U19-EM trug in der Stuttgarter Arena zwar üppigen Bauch und Bart, doch er drehte genauso selbstbewusst an den Knöpfen seines Pults wie sein französischer DJ-Kollege, dazu sang jemand den EM-Song über "leuchtende Sterne, die nicht vom Himmel fallen". 54 689 Zuschauer im Stuttgarter Zweitligastadion jubelten und kreischten - die meisten waren Schulkinder auf Wandertag.

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Serra erinnert an den Italiener Pellè

So eine Kulisse ist für 18- und 19-Jährige natürlich besonders und deshalb sollte weder das Ergebnis noch die Chancenverwertung an so einem Tag überbewertet werden. Aber als Indiziensammlung taugte der Auftritt der deutschen Talente schon. Sie schnickten und kombinierten ja nach Herzenslust um den italienischen Strafraum herum - und dann schossen und köpfelten der Hoffenheimer Philipp Ochs, Serra und der für den Dortmunder eingewechselte Cedric Teuchert vom 1. FC Nürnberg die Bälle über und neben das Tor.

Ochs ist mit 1,74 Metern eher klein. Teuchert ist wie der in Bremen hochgelobte Johannes Eggestein, für den der Nürnberger in den Kader rutschte, laut Streichsbier eher ein Spieler "zwischen den Räumen", also eher ein Müller, Özil oder Götze.

Bleibt Serra, der für den deutschen A-Junioren-Meister Dortmund 17 Tore in 25 Spielen geschossen hat. Dass er mit seiner physischen Präsenz und seinen Stärken bei der Ballbehauptung und in der Luft so manchen beim DFB an den Italiener Graziano Pellè erinnert, der mit seinen Leistungen in Frankreich zur Rückkehr des Phänomens Mittelstürmer beigetragen hat, ist jedoch genauso wahr wie die Vorsicht, mit der sie Talente wie ihn loben. Nur weil Serra schon ziemlich groß ist, ist er ja noch lange kein Großer.

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