TV-Ereignis Olympia (11):Die Stimme vom Sofapolster

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Die Fernseh-Kommentatoren können nerven - sind manchmal aber der reine Wellnessurlaub. Die wahre Herausforderung eines Olympia-Abends lauert im eigenen Wohnzimmer.

Maria Holzmüller

Das mit den Kommentaren bei olympischen Wettkämpfen ist so eine Sache. Es gab ja schon Stimmen, die sämtliche Experten des Öffentlich-Rechtlichen anflehten, doch einfach nur zu schweigen. Nun ja, damit alleine ist es nicht getan - denn wenn auf meinem Bildschirm die Nordischen Kombinierer sich in Whistler vom Schanzentisch abstoßen, Felix Neureuther im Riesenslalom um die Tore kurvt und die deutsche Biathlon-Staffel um Medaillen kämpft, gibt es den Kommentar immer in Stereo: den aus dem Fernsehlautsprecher und den aus den Couchpolstern neben mir.

In beiden Fällen handelt es sich um angenehme Männerstimmen, die sich in der nächsten halben Stunde zur heiß diskutierten Biathlon-Staffel der Frauen äußern werden. Die im Fernsehen gehört Wilfried Hark, der gerade eine flammende Rede auf die abwesende Magdalena Neuner anstimmt: "Ich hoffe, in Deutschland hören sie jetzt endlich auf, ihr Vorwürfe zu machen. Wie kommen Menschen eigentlich dazu, ihr Feigheit vorzuwerfen, ohne sie zu kennen?!" ARD-Mann Wilfried Hark jedenfalls scheint sie genau zu kennen, denn er weiß: "Hinter ihrem Verzicht war definitiv kein Zwang dahinter."

Die Stimme neben mir klingt vertrauter - und ist bei weitem nicht so überzeugt davon, dass es die richtige Entscheidung des Olympia-Darlings war, auf den Start in der Staffel zu verzichten.

Geballter Sachverstand also aus beiden Richtungen. Das klingt nach Luxus - an einem ereignisreichen Olympia-Abend aber vor allem nach einer nervlichen Herausforderung. Mein privater Ko-Kommentator - im Leben jenseits von Medaillenspiegeln ein liebenswerter und bedachter Mensch - verwandelt sich angesichts deutscher Medaillenkämpfe in ein stimmgewaltiges patriotisches Emotionsbündel.

Die Schießeinlagen von Kati Wilhelm und Martina Beck im Biathlon-Teamkampf kosten Nerven? Im Vergleich zu dem plötzlich aufbrausenden "Ach scheiße, jetzt wird das nichts mehr" neben mir ist die reine Fernsehbetrachtung deutscher Fehlschüsse beinahe ein Wellnessurlaub.

Während Simone Hauswald läuft, ist noch alles in Ordnung. Sie trifft alle Scheiben und zeigt "ihr bezauberndes Lächeln", wie es aus dem Fernseher tönt. Genau darum geht es doch auch bei Olympia: das Lächeln der Sieger. Wenn es den Deutschen gehört: wunderbar. Aber auch andere Nationen haben verdiente Gewinner, ihre Freudentränen rühren mich genauso wie das Strahlen einer Evi Sachenbacher-Stehle oder einer Claudia Nystad auf dem Siegerpodest.

Wie herzerweichend kullerten die Tränen bei der Österreicherin Elisabeth Görgl nach der Bronzemedaille in der alpinen Abfahrt! Und wie schön strampelte US-Skifahrerin Julia Mancuso mit den Beinen in der Luft über ihre zweite Silbermedaille. Hauptsache, es gibt Emotionen!

Auf der nächsten Seite: Wann sich die beiden Kommentatoren besonders unenig sind.

Im Video: Freude über die Bronzemedaille, die Biathlon-Staffel der Damen nach dem dritten Platz über 4 mal sechs Kilometer. Für die dreimalige Olympiasiegerin Kati Wilhelm war es der letzte Auftritt bei olympischen Winterspielen.

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Die gibt es an diesem Abend auch neben mir auf der Couch, allerdings weniger positive. Das deutsche Biathlon-Team fällt gerade zurück, die Russinnen führen. "Ich kann nicht haben, dass diese Doperinnen jetzt Gold holen", poltert es da. Kurz überlege ich, umstehende, wurfbereite Teetassen in Sicherheit zu bringen. Verhalte mich dann aber doch lieber ruhig und versuche mich wieder auf Wilfried Hark zu konzentrieren, der noch immer mit großer Zuversicht das Treiben auf der Langlaufstrecke beobachtet: "Kati Wilhelm ist in der Staffel eine Bank. [...] Hauswald ist im Schießen einfach eine Bank". Aber auch: "Die Französinnen schießen wie eine Bank." Das stellt sich zwar schon beim ersten Schießen der jungen Marie Dorin als Irrtum heraus - aber es beruhigt.

Denn jenseits aller akustischen Kommentare gibt es ja noch den tatsächlichen Wettkampf auf dem Bildschirm, der für Adrenalinschübe sorgt. Es ist ja nicht so, als wollte ich nicht, dass die Deutschen gewinnen. Am Ende hilft aber auch ein gepresstes "Zieh, zieh, zieh" aus der Couch in Richtung der Schlussläuferin Andrea Henkel nichts: Es wird Bronze.

Neben mir wird über die Gründe spekuliert: "Die waren einfach zu schwach im Laufen", im Fernsehen grübelt man, ob Bronze nun gewonnen oder Silber/Gold verloren wurde.

Ein inniges "Danke" geht an ARD-Experte Ricco Groß, der nach aller Miesmacherei erst mal klarstellt: "Man sollte sich auf jeden Fall über eine gewonnene Medaille freuen!" Sag ich doch! Und nach kurzer Diskussion kann ich davon sogar meinen Ko-Kommentator neben mir überzeugen.

Doch der akustische Wettkampf im heimischen Wohnzimmer ist noch nicht ausgestanden - wenn er hier auch nur noch in Auszügen wiedergegeben werden soll. Es folgt der zweite Lauf im Riesenslalom der Herren. Im Fernseher heißt es: "Die Norweger haben schon alles gewonnen, nur noch keine Goldmedaille im Riesenslalom." Neben mir kontert es - immer im Hinblick auf den Medaillenspiegel, wo die Skandinavier und die Deutschen fast gleichauf sind: "Ich hoffe auch nicht, dass sie noch eine kriegen!" Dass ich sie Aksel Lund Svindal durchaus gönnen würde, behalte ich jetzt lieber für mich.

Und im Team-Wettkampf in der Nordischen Kombination? Da stiftet ARD-Reporter Joachim Schröter endgültig Verwirrung, auch ohne Querschüsse in mein rechtes Ohr. Er sieht den Deutschen Tino Edelmann an der Spitze, obwohl der gerade nach einem Sturz ein ganzes Stück zurückgefallen ist, verwechselt den Österreicher mit dem Amerikaner - und plötzlich ist die Fraktion auf der heimischen Couch einer Meinung: "Diesen Typ kannst du doch nur abschalten!" Das tun wir dann auch.

Ich beende einen weiteren Olympia-Abend mit der Einsicht: Trotz der emotionalen Achterbahnfahrt - an meine exklusiven Privatkommentare kommt kein ARD-Experte ran.

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