Trampolin:Tuch und Zeit dehnen sich

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"Dieser Sport sieht sehr leicht aus, ist aber sehr anstrengend": Caio Lauxtermann and Fabian Vogel bei ihrer Goldkür in Birmingham. (Foto: Schreyer/Imago)

Der WM-Titel der Synchronspringer Fabian Vogel und Caio Lauxtermann fällt zusammen mit dem Trend zum Trampolinturnen für jedermann. Über die Faszination dieses Sports.

Von Volker Kreisl

Auf einmal bekam Fabian Vogel ein Problem. Gerade hatte er sich eingesprungen im entscheidenden Vorkampf, da sagte ihm seine innere Stimme: Hier stimmt etwas nicht. Sportler sind darauf geeicht, technische Fehler nebenbei im Wettkampf zu korrigieren, allerdings befand sich Vogel gerade in neun Metern Höhe, ohne Tragflächen, auch ohne Sprungski oder Fallschirm, sondern nur mit Gymnastikschuhen an den Füßen.

Schnell musste es gehen, das Wichtigste war in Gefahr - die Synchronität mit Partner Caio Lauxtermann, der auf dem zweiten Trampolin nebenan sprang, exakt dieselben Figuren zur selben Zeit. Später, als dann beiden bei dieser Weltmeisterschaft in Birmingham die Goldmedaille um den Hals hing, für Vogel zum zweiten Mal, als die Vertreter des Deutschen Turnerbundes (DTB) genug gejubelt und gratuliert hatten, weil dieses rare Doppelgold doch eine kleine Sternstunde darstellte für diesen Verband, da war die kurze Gefahrenszene schnell vergessen. Und doch illustriert sie viel von dieser Kunst, da oben in neun Metern.

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Trampolinturnen zählt ähnlich wie Sportgymnastik oder Eiskunstlauf zu den Sparten, in denen die Anstrengung dem Springer oder der Springerin nicht anzusehen sein sollte, idealerweise, weil auf dem Gesicht ein Dauerlächeln die Konzentration überspielt. Und ist so ein Trampolin nicht eigentlich ein Spielzeug, wie es ja in kleinerer Form in vielen Gärten steht? Vogel sagt: "Dieser Sport sieht sehr leicht aus, ist aber sehr anstrengend."

Die Zusammenführung von feiner Akrobatik auf einem schwingenden Tuch, Dreifachsalto, Kombinationen von Schrauben und Überschlägen, all das in insgesamt zehn Sprüngen, sind schon im Einzelwettbewerb anspruchsvoll. Im Team aber kommt noch die notwendige Synchronität hinzu, die extreme Konzentration erfordert - eine Art Grunddisziplin, die jeden Spaß eigentlich bremsen müsste, von außen betrachtet. Der Computer jedenfalls vermerkt und bestraft jede Abweichung beim gleichzeitigen Aufkommen im Tuch - schon bei einer Differenz von 0,01 Sekunden.

"In der Luft zu sein, zu fliegen, ist ein großartiges Gefühl", sagt Lauxtermann

Vogel befand sich also in neun Metern Höhe über dem Gerät und hatte die Abweichung soeben gehört - denn man vernimmt diese am besten beim dumpfen Aufkommen im Trampolin. Nach nebenan wird nicht geschaut, erstens gäbe dies heftige Abzüge in der Note und zweitens wäre es sehr gefährlich. Jede Bewegung, die vom einstudierten Ablauf abweicht - und sei es nur ein leichtes Drehen des Halses - kann die innere Flugüberwachung irritieren und Stürze mit schweren Verletzungen auslösen.

Aber das ist natürlich nicht die primäre Botschaft des Cottbusers Lauxtermann und von Vogel (Bad Kreuznach), ihnen geht es, wie vielen anderen Sportlern, um etwas anderes. Vogel sagt es so: "Das Trampolin ist die reine Freude!"

Es wird auch synchron gelächelt: Caio Lauxtermann (li.) und Fabian Vogel präsentieren ihre goldenen WM-Medaillen. (Foto: Schreyer/Imago)

Vielleicht hat er das schon damals instinktiv gespürt, als er zum ersten Mal die riesigen Schwingtücher gesehen und die Höhe des Sprungs abgeschätzt hatte. Neugierig war er schon geworden, als er einen Zeitungsartikel gelesen hatte, der einen Tipp enthielt, manchmal finden Kinder auch wegen eines Details ihren Lebensweg. Vogel war zehn Jahre alt, als er den Tipp "Trampolin" gelesen hatte. Und einen Betreuer fand er auch schnell, einen Sportler, Leichtathlet und Turmspringer: seinen Vater.

Damit hatte Vogel also vollkommene Voraussetzungen. Heute sagt er, und dabei wird er für einen Moment ernst, denn es ist ihm ein bedeutendes Thema: "Für die Kinder ist es beim Sport wichtig, den Spaß nie zu verlieren", und: "In der Luft zu sein, zu fliegen, ist ein großartiges Gefühl." Die Gefahr und das Adrenalin bringe den Trampolinspringer in einen Zustand der Euphorie. Auch andere Sportfliegende berichten dies, Fallschirmspringer, Paraglider, Skispringer, Stabhochspringer, viele mehr und eben auch Trampolinturner: Denn im Flug dehnt sich für viele die Zeit, die Konzentration ist voll da, die Sicht klar, das Bild geschärft.

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Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass solche Sportarten im Kommen sind, dass mittlerweile eine Trampolin-Mode in Extra-Hallen wächst, in denen frei nach Laune gesprungen wird. Für den DTB könnte dies weiteren Zuwachs bedeuten, denn auch in Turnvereinen wird anfangs viel mit Spaß Sport betrieben. Andererseits sind tendenziell ältere Trampolinfans in den kommerziellen Hallen, die Turnverbände suchen aber eher jüngere Schüler. Und: Viele junge Talente haben keine Lust auf Leistungssport, sie stellen ihre Freiheit über eine Karriere, die ihnen zwar Bekanntheit einbringt, aber auch einige schwere Verletzungen und womöglich Ärger in einem System; der 23-jährige norwegische Top-Slalomfahrer Lucas Braathen ist auch deshalb zuletzt zurückgetreten.

Vom Trend der kommerziellen Trampolinhallen könnte der Verband noch profitieren

Im Einer-Trampolinturnen, das eine etablierte olympische Sportart ist, benötigen Talente ebenfalls einen langen Atem. Bei Olympia in Paris im kommenden Sommer werden genau zwei Medaillensätze vergeben. Je einer für Männer und einer für die Frauen, jeweils im Einzelspringen, das war's. Und doch, etwas vom Trend in den kommerziellen Hallen könnte sich auch auf die Mitgliederzahlen der klassischen Verbände auswirken.

Das Synchron-Springen aber, die Variante von Vogel und Lauxtermann, wird wohl noch lange auf Olympia warten, was kaum zu verstehen ist. Denn es enthält eine weitere Disziplin, nämlich die exakte Gleichzeitigkeit als Ideal, also neben der Technik, der Kraft, der Akrobatik, der Ausdauer, der Eleganz auch noch eine gewisse Seltenheit im Sport: Synchronität.

Vogel/Lauxtermann jedenfalls beherrschen diese Fähigkeit - die Augen aufs Tuch zu richten und gleichzeitig die Konzentration auf den Partner, sich trotzdem zusammenzuschalten, ohne Blickkontakt, in neun Metern Höhe.

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