3. Liga:Eiskalter Januar bei Türkgücü München

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Wer brüllt denn da von der Tribüne des Olympiastadions? Jedenfalls kein Löwe, es ist Türkgücüs schillernder Präsident Hasan Kivran. (Foto: Ulrich Wagner/Imago)

Beim Drittligisten häufen sich vor dem Derby gegen den TSV 1860 die sportlichen und finanziellen Fragen. Aktuell ist nicht mal mehr auszuschließen, dass Türkgücü auf ein Insolvenzverfahren zuschlittert.

Von Christoph Leischwitz

Er gehe da "ganz kalt eini", sagte der Österreicher Andreas Heraf über das Derby im Olympiastadion. Eigentlich meinte der Trainer von Türkgücü München damit: sein erstes Spiel mit dem neuen Verein, ewig nicht im Olympiastadion gewesen, und dann gleich gegen 1860 München (14.03 Uhr, Magenta/BR)! Doch es hörte sich in diesem Moment auch nach einem Sprung in ganz kaltes Wasser an. Denn Heraf, 54, hat eine Mannschaft übernommen, bei der, mal wieder, nicht klar ist, ob und wie es weitergeht in den kommenden Wochen. Was bleibt ihm anderes übrig, als Dinge zu sagen wie: "Wir gehen sicher nicht als Favorit in dieses Spiel."

Am Donnerstagabend war mal wieder eine Frist abgelaufen für den Drittligisten, und wieder einmal hat Türkgücü nicht rechtzeitig geliefert. Am Donnerstagnachmittag war Herafs Debüt-Pressekonferenz kurzfristig auf Freitag verschoben worden - sie begann mit dem Hinweis, man werde aktuelle Gerüchte nicht kommentieren. Das hätte man freilich auch einen Tag vorher so handhaben können.

Zumal eine Klarstellung durchaus angebracht gewesen wäre. Immerhin sollte der Verein am 20. Januar dem Deutschen Fußball-Bund einen Nachweis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorlegen. Dieser wurde offensichtlich nicht erbracht. Auf SZ-Nachfrage erklärte Geschäftsführer Max Kothny, er könne dazu nichts sagen, es handle sich um einen laufenden Vorgang. Formale Fehler könnten dahinterstecken, oder dass Türkgücü etwas abgeliefert hat, das noch eingehender geprüft werden muss; oder es wurde um Fristverlängerung gebeten. Dem Vernehmen nach fehlt ein niedriger siebenstelliger Betrag, mit einer Entscheidung ist in den kommenden Tagen zu rechnen. Es droht ein Punktabzug, im Extremfall mittelfristig der Lizenzentzug. Aktuell ist auch nicht auszuschließen, dass Türkgücü auf ein Insolvenzverfahren zuschlittert.

Vergangenen Sommer hat Türkgücü einen Börsengang angekündigt, doch der wurde ohne weitere Stellungnahmen vertagt

Die finanzielle Schieflage hat zwei einfache Gründe: Der einzige namhafte Geldgeber, Präsident Hasan Kivran, wollte eigentlich nicht mehr im Alleingang Millionenbeträge in die Mannschaft stecken, so wie im ersten Jahr im Profifußball. Türkgücü verfügt nach wie vor über keinen Haupt- oder Trikotsponsor. Zudem ist der Versuch, ihn zu entlasten, kläglich gescheitert. Im Sommer hatte Türkgücü einen Börsengang angekündigt, vorab konnten sieben Wochen lang 666 666 Aktien à zwölf Euro gekauft werden. So wollte die Türkgücü Fußball GmbH Kapital von bis zu acht Millionen Euro generieren. Doch das Interesse an den Aktien war offenkundig so gering, dass die daraus erzielte Kapitalerhöhung nicht ansatzweise weitergeholfen hätte. Der Börsengang wurde ohne weitere Stellungnahmen vertagt.

Lang ist's her: Im Hinspiel zwischen dem TSV 1860 München und Türkgücü München stand noch Sascha Mölders (links) auf dem Platz. (Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Vor genau einem Jahr hatte Kivran schon einmal behauptet, alles hinschmeißen zu wollen. Kurzzeitig gab es einen Sparkurs, Spieler wurden verabschiedet, im Januar erklärte der Präsident den Rückzug vom Rückzug. Anders ist diesmal, dass der Verein gegen den Abstieg spielt und Kivran nicht weiß, ob es sich überhaupt lohnt, noch Geld in die Mannschaft zu pumpen; das große Ziel, die lukrative zweite Liga, ist aktuell weit weg. Vergangene Woche berichtete die Börsen-Zeitung, dass Kivran bereit sei, einen Großteil seiner Anteile zu verkaufen, es gebe Interessenten. Ein Großaktionär sei aufgrund der sportlichen Talfahrt im Herbst aber doch nicht eingestiegen.

Mit Spielern und Mitarbeitern wird wieder genauso umgegangen wie damals. Noch vor einer Woche hatte Heraf erwähnt, dass er sich ein, zwei Zugänge vorstellen könne. Am Freitag nun sagte er, dass er sich diese "vielleicht gewünscht" habe, er sei aber auch so zufrieden. Den Kader zu verkleinern habe den Vorteil, dass alle Auswechselspieler Platz auf der Ersatzbank hätten.

"Und wenn das Stadion komplett blau gewesen wäre, ich hätte mich auch gefreut", sagt Kothny

Egal, wie es weitergeht: Mit dem Sparzwang werden auch diesmal Spieler unter Druck gesetzt. Nach SZ-Informationen gibt es solche, denen geringere Bezüge nahegelegt werden, anderen wird gesagt, sie dürften wechseln, wenn sie eine Möglichkeit sähen. Interessanterweise erwähnte Sechzigs Trainer Michael Köllner am Freitag in einem Nebensatz, dass Türkgücü-Spieler "auf dem Markt angeboten" würden.

Ein Beispiel für Türkgücüs Transfer-Wankelmütigkeit ist der aktuelle Weggang von Petar Sliskovic. Vor einem Jahr lag offenbar ein höchst lukratives Angebot für den Angreifer vor, 550 000 Dollar soll ein Klub aus Südkorea geboten haben. Sliskovic hatte dem Verein gesagt, dass er unbedingt wechseln wolle, Türkgücü lehnte ab. Danach hat der 30-jährige Angreifer in 31 Spielen magere fünf Tore erzielt. Jetzt spielt er für den Ligakonkurrenten Wehen Wiesbaden. Dem Vernehmen nach soll sogar eine Abfindung geflossen sein. Statt der ersten großen Transfereinnahme also ein Draufzahlgeschäft.

Noch wirkt alles, als plane der Verein weiter langfristig. Vom Münchner Sportamt etwa heißt es auf Nachfrage, für das Frühjahr seien "Vor-Ort-Termine" geplant, um endlich ein Areal für ein Nachwuchs-Leistungszentrum und einen eigenen Trainingsplatz zu finden. Kothny macht, ohne bezüglich der aktuellen Schieflage ins Detail zu gehen, weiter die Pandemie für die Probleme verantwortlich. Das Derby gegen 1860 München findet zum zweiten Mal im Olympiastadion ohne Zuschauer statt, es waren fest eingeplante, dringend benötigte Einnahmen. Selbst bei einer 25-Prozent-Auslastung hätten rund 17 000 Zuschauer kommen dürfen. "Und wenn das Stadion komplett blau gewesen wäre, ich hätte mich auch gefreut", sagt Kothny. Vor leeren Rängen mache die Sache einfach keinen Spaß.

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