TSV 1860 München:Zehn Prozent in den Köpfen

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Im Duell gegen Aufstiegsfavorit Hertha BSC müssen die Profis von Zweitligist 1860 München zeigen, wie sie die kuriose Debatte um das liebe Gehalt verkraften. Trainer Reiner Maurer ist besorgt.

Markus Schäflein

Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen; das trifft nun auch Reiner Maurer, der eigentlich das Ganz-Normal-Arbeiten beim gänzlich unnormalen Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München zu seinem Glaubensbekenntnis gemacht hat. Doch in dieser Woche verschob der Trainer seine allwöchentliche Gegneranalyse ausnahmsweise auf den Samstag - vorher hätten sich seine Spieler im Angesicht der geplanten Gehaltskürzungen um zehn Prozent ohnehin nicht auf Hertha BSC Berlin konzentrieren können, meint Maurer.

Voller Einsatz, weniger Geld? 1860-Trainer Reiner Maurer sorgt sich um die Psyche seiner Spieler. (Foto: dpa)

"Es ist ganz klar, dass keiner gerne auf Gehalt verzichtet. Das ist eine Sache, die in jedem Kopf drin ist", sagt Maurer, der selbst der Kürzung seines Verdiensts schon zugestimmt hat. Spielerberater, Gewerkschaftsvertreter und Journalisten gaben sich an der Grünwalder Straße in den vergangenen Tagen die Klinke in die Hand, alle kannten nur ein Thema. "Deshalb werde ich der Mannschaft den Gegner erst am Samstag vorstellen, bis dahin müssen wir die Köpfe frei kriegen und versuchen, diese andere Sache ein bisschen auszublenden", sagte Maurer: "Wenn wir gegen Berlin gewinnen, wäre das für jeden von Vorteil."

Wenn am Sonntag ab 13.30 Uhr in der Fröttmaninger Arena wirklich eine Mannschaft auf dem Platz steht, die ohne sichtbare Last ihre Arbeit verrichtet, wird man den Löwenprofis allergrößten Respekt zollen müssen. "Was bei uns in einem Jahr passiert, passiert in anderen Vereinen nicht in 20 Jahren", klagte Kapitän Daniel Bierofka in der Bild-Zeitung, er meinte: den merkwürdigen Abschied von Savio Nsereko, der einfach nicht mehr zum Training erschien; dann den Abzug von zwei Punkten durch die Deutsche Fußball-Liga; dann den Abschied der gerade erst angetretenen Geschäftsführers Robert Niemann; und nun die von seinem Nachfolger Robert Schäfer verhängte Zehn-Prozent-Kürzung.

Vom ursprünglichen Plan, die Entscheidung kurz und schmerzhaft durchzudrücken, ist Schäfer mittlerweile abgewichen - eine Woche haben die 1860-Profis nun Bedenkzeit, eine einheitliche Entscheidung der ganzen Mannschaft wird es wohl nicht geben. "Grundsätzlich muss das jeder für sich selbst entscheiden", sagte Maurer. "Die meisten Spieler wollen während ihrer Profijahre möglichst viel verdienen, ich denke, das ist ganz legal." Realistisch betrachtet haben einzelne Abweichler wohl dennoch eine ordentliche Hetzjagd zu erwarten, sofern ihr Widerspruch bekannt wird.

Maurer kündigte einige Veränderungen in der Mannschaft an, die er aber "nicht in der Zeitung" lesen wollte; "wir probieren das eine oder andere aus", sagte er. Man darf davon ausgehen, dass der Trainer seine Auswahl auch unter dem Gesichtspunkt trifft, welche Spieler mit der Situation vermeintlich gut umgehen und welche sich womöglich zu stark ablenken lassen.

Der zuletzt von Adduktorenproblemen geplagte Innenverteidiger Stefan Bell wird voraussichtlich einsatzbereit sein, Partylöwe Mate Ghvinianidze kehrt nach einer seinem Lebenswandel gewidmeten Denkpause in den Kader zurück und wird voraussichtlich auf der Ersatzbank Platz nehmen.

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Angesichts der Aufregung um die Gehälter geriet völlig in den Hintergrund, dass 1860 am Sonntag gegen die attraktivste und ambitionierteste Mannschaft der Liga antritt. Die Berliner wollen die sofortige Rückkehr in die Bundesliga mit einem teuren Spitzenkader schaffen; mit 29 Punkten auf Platz drei, punktgleich mit dem Zweiten Duisburg, sind sie weitgehend im Soll.

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Doch zuletzt erzürnte die Mannschaft ihren Trainer Markus Babbel mit zwei 0:2-Niederlagen, gegen Duisburg und in Osnabrück. "Keine Gier, keine Laufbereitschaft, kein Engagement" hatte Babbel da erkannt, "100 Prozent Leistung" fordert er daher in München - die in Heimspielen unbesiegten Löwen müssen sich also nicht nur auf einen spielerisch starken, sondern auch auf einen kämpfenden Gegner einstellen.

Der Vorverkauf verlief erneut enttäuschend. Zu der Partie, die ein Spitzenspiel werden und die Arena endlich wieder einmal ordentlich füllen sollte, werden mittlerweile nur noch rund 25.000 Besucher erwartet.

Die Niederlage in Fürth (0:1) und die Gehälterdebatte dürften dabei eine größere Rolle spielen als der Trend "allgemein rückläufiger Zuschauerzahlen" in der gesamten zweiten Bundesliga, den 1860-Präsident Rainer Beeck im Editorial der Stadionzeitung beklagt: "Mit einem bisherigen Schnitt von knapp über 20.000 wurden unsere Erwartungen und Budgetplanungen bisher bei Weitem nicht erfüllt", gibt Beeck zu.

Besserung ist nur bei Aufstiegsaussichten denkbar. "Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, uns mit sieben Punkten aus drei Spielen vor der Pause vorne festzubeißen", sagte Maurer, "mit einem Sieg gegen Hertha wären wir ganz normal vorne dabei." Da waren sie doch wieder, Maurers Lieblingswörter, für die er kaum noch Verwendung findet: ganz normal.

© SZ vom 04.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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