Transfer-Bilanz:Die Leihe als Zeichen der Krise

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Einer von unzähligen Leihspielern in Europa: Moise Kean kommt von Everton zu Paris Saint-Germain (Foto: Richard Sellers/imago images)

In der aktuellen Transferperiode entschieden sich auch viele große Klubs, Fußballer lieber auszuleihen als zu verpflichten. Die Spielergewerkschaft Fifpro kritisiert diesen Trend massiv.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Dienstag wartete die spanische Zeitung As mit einem Titelbild auf, das nach Vintage aussah. Es war ein Mannschaftsfoto von Real Madrid aus dem Jahr 1980, zu sehen waren unter anderen Uli Stielike als Kapitän, der spätere spanische Weltmeistertrainer Vicente Del Bosque, die längst verstorbenen Laurie Cunningham und Juanito, der mal auf dem Kopf von Lothar Matthäus Flamenco tanzte. Der Grund für das Bild war keine Hommage. Es diente der Illustrierung der Krise. Real Madrid, neulich noch Big Spender des Weltfußballs, Erbauer galaktischer und postgalaktischer Kader, sei um vier Jahrzehnte zurückgeworfen: Erstmals seit 1980 tätigte der Klub keinen einzigen Sommertransfer.

Die Corona-Krise hat den Fußball voll erfasst. Über Jahre hinweg waren Europas große Ligen gerade auf dem Transfermarkt an Wachstumsraten gewöhnt, mit denen sich sonst nur Tiger genannte Schwellenländer schmückten, nun brach der Markt in beispielloser Weise ein. Die englische Premier League gab laut dem in der Schweizer Stadt Neuchâtel ansässigen Internationalen Zentrum für Sportstudien (CIES) immerhin noch rund 1,65 Milliarden Euro für Einkäufe aus, aber das waren 280 Millionen weniger als im Vorjahr.

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Italiens Serie A investierte 630 Millionen Euro, 540 Millionen Euro weniger als letzte Saison. Die Franzosen melden Einkäufe für rund 400 Millionen Euro, eine Verringerung um 270 Millionen gegenüber 2019. Spaniens Liga gab gleich 970 Millionen Euro weniger aus als im Vorjahr, bloß noch 400 Millionen Euro. Aber das waren immerhin 100 Millionen Euro mehr als die deutschen Klubs mit ihren Ausgaben von 300 Millionen. Sie reduzierten sich gegenüber 2019 um 450 Millionen Euro.

Laut Transfermarkt.de gab es lediglich in zwei der fünf großen Ligen einen Transferbilanz-Überschuss: 4,2 Millionen Euro in Deutschland, 30 Millionen in Spanien. Zum Vergleich: Die Transferausgaben der englischen Klubs überstiegen die Einnahmen um 917 Millionen Euro.

Die Sparsamkeit lässt sich auch am Außenhandel ablesen. Die Bundesligisten haben für rund 200 Millionen Euro Profis aus dem Ausland importiert, aber Beine für 272 Millionen Euro exportiert. Ähnlich ist die Lage in Spanien: Den Einfuhren von knapp 300 Millionen Euro stehen Ausfuhren von fast 390 Millionen Euro gegenüber. Das seien alles in allem aber immer noch "sehr bedeutsame Ausgaben", sagt Jonas Baer-Hoffmann, Generalsekretär der internationalen Spielergewerkschaft Fifpro der Süddeutschen Zeitung: "In manchen Fällen ist das vor dem Hintergrund der hohen Gehaltskürzungen sehr fragwürdig." Die Frage, die schon seit Jahren den Fußball überfliegt wie eine Gewitterwolke, wird mit immer düsterem Grundton gestellt: Wann platzt die Blase?

Baer-Hoffmann stellt "viel Nervosität" fest, "sei es wegen der Verschiebung der Rückkehr der Fans in die Stadien, oder wegen möglicher weiterer Absagen von Spielen in den nächsten Monaten". Herbert Hainer, Präsident der Branchengröße FC Bayern, schätzt den pandemiebedingten Einnahmeausfall auf etwa 100 Millionen Euro. Juventus Turin wies für die letzte Saison Verluste in Höhe von 90 Millionen Euro aus; der FC Barcelona kam im gleichen Zeitraum auf 97 Millionen Euro. Das sind Klubs, die in ihren Ländern die höchsten TV-Einnahmen erzielen und über den Transfermarkt in der Nahrungskette nach unten sickern lassen. Ist dieser Umverteilungsmechanismus nun kaputt?

Atalanta Bergamo hat 45 Profis verliehen

Ein Indiz dafür ist die hohe Zahl an Leihgeschäften, die zwar schon lange existieren, zuletzt aber exponentiell gestiegen sind. "Es gibt einen Drang hin zu Leihen und kurzfristigen Verträgen, was viel über die wirtschaftliche Unsicherheit der Klubs sagt", meint Gewerkschafter Baer-Hoffmann. Laut Transfermarkt.de gab es allein in den fünf großen Ligen Europas (Deutschland, Italien, Spanien, England und Frankreich) nur 500 dauerhafte Zukäufe.

Von allen ligenübegreifenden Transferaktivitäten machten Leihen 30 Prozent aller Verpflichtungen aus, schreibt das Institut CIES: "Ein Rekord". 1992 lag der Prozentsatz im einstelligen Bereich. Unter den Top 10 der Leihgeschäfte sind sieben Vereine aus der Serie A, Spitzenreiter: Atalanta Bergamo. Der Champions-League-Teilnehmer hat 45 Profis verliehen; zählt man Spieler aus der U19 dazu, kommt man auf sagenhafte 64 verliehene Fußballer - ein Spekulationsgeschäft mit Spielern aus der eigenen Jugend, unter anderem. Unter den Zugängen der Bundesligisten sind 27 Leihspieler, insgesamt stehen in ihren Kadern 37 Spieler, die anderen Klubs gehören.

"Manchmal bildet der Fußball das wahre Leben ab: Die Leihen sind vergleichbar mit der Zeitarbeit", sagt Lutz Pfannenstiel. Als Manager von Fortuna Düsseldorf stellte er in der Saison 2019/20 ein Team zusammen, das acht Leihspieler aufwies. Aus ökonomischen Zwängen: "Es blieb uns aufgrund des Budgets nichts anderes übrig, als in die Leihe zu gehen", sagt er. Das berge Risiken, räumt er ein. Wenn ein Spieler "lange auf der Bank sitzt, sind oft zwei Parteien sauer: der verleihende Klub, der sich Spielpraxis erhofft, und der Spieler, der nicht zum Zuge kommt".

Die Gewerkschaft kritisiert diesen Trend massiv. "Kurzfristige Verträge und Leihen geben weder familiäre noch sportliche Stabilität", sagt Baer-Hoffmann von der Fifpro. Und: Sie führten "zu so niedrigen Lohnangeboten, dass einige Spieler aus dem Spiel gedrängt werden". Der Weltverband Fifa hatte angekündigt, Leihgeschäfte zu begrenzen. Doch die Pandemie hat nicht nur den Markt getroffen, sondern auch die Fifa-Reformen vorerst verschoben.

© SZ vom 08.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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