Tour de France:Countdown bis zum ersten Massencrash

Lesezeit: 2 min

Beim Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix, hier im Bild Wout Van Aert vom Team Jumbo, gehört das Kopfsteinpflaster dazu. Aber auch bei der Tour? (Foto: Nagel/Beautiful Sports/Imago)

Zwei deutsche Radprofis äußern Kritik an der Streckenführung der anstehenden Tour de France - und zwar zu Recht. Der diesjährige Parcours enthält unnötige Gemeinheiten.

Kommentar von Johannes Aumüller

Die gute Nachricht ist: Die erste Etappe der Tour de France dürfte diesmal ziemlich glimpflich verlaufen. Denn wenn sich das Peloton in etwas mehr als einer Woche in Kopenhagen zum Grand Départ zusammenfindet, startet die Drei-Wochen-Schleife erstmals seit 2017 mit einem Einzelzeitfahren. Da sind die Kontrahenten also mit gehörig Abstand unterwegs. Aber in den Tagen danach? Da wird dann ein Countdown einsetzen, der in seiner Zwangsläufigkeit ans Runterzählen fürs Neujahrs-Geböllere erinnert. Noch zehn, neun, acht ... bis zum ersten Massencrash.

Das Publikum hat sich daran gewöhnt, dass schwere Stürze in der ersten Woche zur Tour gehören wie das Sprinterfinale in Paris. Und gewiss ist eine erhöhte Sturzgefahr Teil des selbstgewählten Radfahrerlebens, erst recht beim Jahreshöhepunkt, bei dem sich alle Beteiligten besonders in Szene setzen wollen. Aber umso befremdlicher wirkt es, wenn der Veranstalter das Risiko durch seine Streckenplanung unnötig provoziert und erhöht.

Radsport
:Er kann alles - außer Sektflaschen öffnen

Biniam Girmay aus Eritrea soll dem afrikanischen Radsport zum Aufschwung verhelfen. Beim Giro gelingt ihm der größte Triumph seiner Karriere - doch dann muss er aussteigen, weil ihm bei der Siegerehrung ein irres Malheur passiert.

Von Johannes Aumüller

In diesem Jahr haben sich die Tour-Macher von der Aso eine besonders schwere erste Woche ausgedacht, und im Fahrerfeld löst das teils großes Unbehagen aus. So äußerten sich nun etwa die reflektierten deutschen Cofidis-Fahrer Max Walscheid und Simon Geschke in der ARD kritisch über die Gestaltung der Auftakttage. "Es wird definitiv Risiko in Kauf genommen und macht es für uns supergefährlich", sagte Geschke: "Die Tour de France ist halt kein Actionfilm."

Selbst in den Armstrong-Jahren gab es viel mehr Tage, die relativ ruhig verliefen

Aber genau so soll sie offenkundig rüberkommen. Mehr Spektakel und mehr Abwechslung, insbesondere auch abseits der ohnehin brutalen Bergetappen, das ist seit geraumer Zeit die Devise der Tour-Macher. Zwar liegt es natürlich an den Sportlern, wie schwer sie ein Rennen machen, aber sie finden eben auch verstärkt Etappen mit Gemeinheiten und Besonderheiten vor.

So gibt's dann mehr Finals mit engen Straßen oder steilen Stichen; windanfällige Abschnitte, die zur frühen und kräfteraubenden Attacke einladen; oder als besondere Krönung in diesem Jahr eine Etappe mit Kopfsteinpflaster-Passagen, die am berüchtigten Wald von Arenberg endet, dem Highlight des Frühjahrsklassikers Paris-Roubaix. Das wird bestimmt faszinierend, und man kann sicher auch das Argument vertreten, dass ein Tour-Sieger nicht nur Berge und Zeitfahren, sondern auch pavés meistern können sollte. Aber gibt es bei der Tour nicht schon genügend Quälerei und Spektakel?

Die Neunziger- und Nullerjahre taugen aus bekannten Gründen wahrlich nicht als Vorbild für den modernen Radsport. Aber viel öfter als heute kam es auf Tour-Tagen abseits der hohen Berge vor, dass eine Art Waffenstillstand galt und das Peloton einfach dahinradelte, um eine kleine Fluchtgruppe einzufangen oder auch nicht. Heute empfinden die Tour-Macher solche Abläufe einfach nur als langweilig; heute soll fast jeder Tag ein Actiontag sein. Was übrigens ein wenig befremdet, wenn selbst die Allesnehmer von damals diese Art von etwas ruhigeren Etappen brauchten.

Es hat in den vergangenen Jahren schon oft Kritik der Fahrer an den Veranstaltern und der Streckenführung gegeben. Im Vorjahr versammelte sich das Peloton zum Beginn einer Etappe sogar mal zu einem kurzen Sitzstreik. Aber auf die Meinung der Fahrer wird viel zu wenig gehört bei all dem Wunsch nach mehr Spektakel.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusRadsport
:"Ich weiß auch nicht, wie ich das überlebt habe"

Training zwischen Lastwagen und Gegenverkehr - und im Rennen dann ein Massensturz: Radprofis geraten oft in lebensgefährliche Situationen. Doch weil das Material immer besser wird, wagen die Fahrer sogar mehr.

Von Jean-Marie Magro

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: