Jai Hindley hat ja durchaus tatendurstig gewirkt, als er sich in den Tagen vor dem Grand Départ in Bilbao zu seinen Ambitionen für die Tour de France äußern sollte. Ob er bei dieser ungemein schweren Schleife das Podium anpeile, wurde der australische Kapitän der deutschen Bora-Hansgrohe-Mannschaft gefragt. Die Antwort des 27-Jährigen: "Warum nicht? Wir werden hier unseren Spaß haben."
Aber dass sie ein solches Spaßlevel wie an diesem Mittwoch schaffen würden, damit dürfte er wohl eher nicht gerechnet haben. Denn auf der ersten schweren Bergetappe der Frankreich-Rundfahrt gelang Hindley und seiner Bora-Mannschaft ein unerwarteter Coup, der ihn bis ins Gelbe Trikot führte. Mit zwei Teamkollegen schob er sich früh in eine große Ausreißergruppe und hielt dann am längsten von allen durch. Am letzten Anstieg auf den Col de Marie Blanque setzte er sich von allen verbliebenen Konkurrenten ab und kam nach 163 Kilometern in Laruns schließlich mit 32 Sekunden Vorsprung ins Ziel. Und fast die ganze Etappe über an seiner Seite war sein deutscher Teamkollege Emanuel Buchmann, der nicht nur seinem Chef zum Etappensieg verhalf, sondern auch persönlich auf Platz vier der Tages- wie der Gesamtwertung kletterte. "Das war eigentlich gar nicht geplant", sagte Buchmann zu diesem wohl erfolgreichsten Tag des Teams Bora in seiner zehnjährigen Tour-Geschichte.
Sicherheit bei der Tour de France:Eine Tragödie, die tief in den Rennfahrerköpfen steckt
Unter dem Eindruck des Unfalltodes von Radprofi Gino Mäder stehen bei der Tour die ersten Abfahrten an. Über ein Peloton zwischen Trauer und Ängsten, kühler Betriebsamkeit und ausgeprägter Sicherheitsdebatte.
Aber der Coup der Mannschaft, die zwar inzwischen in Tirol registriert ist, aber ihre Wurzeln im oberbayerischen Raubling hat und weiter mit deutscher Lizenz fährt, war nur die eine Geschichte dieser außergewöhnlichen Pyrenäen-Etappe. Die andere spielte sich ein bisschen weiter hinten rund um Jonas Vingegaard ab, Titelverteidiger und einer von zwei Favoriten der diesjährigen Auflage. Denn als der Däne aus der Jumbo-Visma-Equipe am letzten Anstieg attackierte, da konnte ihm sein mutmaßlich größter Herausforderer Tadej Pogacar (UAE Emirates) nicht mehr folgen. Mehr als eine Minute verlor der Slowene bis ins Ziel auf Vingegaard, der sich im Gesamtklassement nun hinter Hindley auf Rang zwei einsortiert (plus 47 Sekunden).
Bei Bora dürfen sie nun durchaus berechtigte Hoffnungen haben, dass sie im weiteren Verlauf der Tour im Kampf um einen vorderen Platz in der Gesamtwertung eine gute Rolle spielen können. Kapitän und Gelb-Träger Hindley - geboren in Perth und schon früh in die Pedalstapfen seines Vaters George getreten, der ebenfalls Radsportler gewesen war - ist ja keineswegs ein Unbekannter. Vor drei Jahren verpasste er den Triumph beim Giro d'Italia nur knapp, im Vorjahr sicherte er sich dort an einem ungewöhnlichen Schluss-Wochenende das Rosa Trikot und den Gesamtsieg. Das war damals der erste Sieg bei einer großen Landesrundfahrt für die Equipe Bora. Zuletzt schien manches darauf hinzudeuten, dass die großen Klassementpläne des Teams wieder etwas zurückgestellt würden zugunsten anderer Segmente des Metiers, doch nun werden sie alle Kräfte klar bündeln.
Am Donnerstag steht für das Peloton gleich die zweite, noch schwerere Pyrenäen-Etappe an: Über die Tour-Klassiker Aspin und Tourmalet geht es, ehe eine 16 Kilometer lange Kraxelei nach Cauterets-Cambasque den Tag abschließt. Da kann man nur sagen: viel Spaß.