25 Jahre Festina-Skandal bei der Tour de France:Eine Affäre, die bis heute nachwirkt

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Musste Fragen beantworten: Richard Virenque, damals der bekannteste Fahrer des Teams Festina. (Foto: imago)

Vor 25 Jahren zerstörte der Skandal um das Festina-Team fast die Tour de France - und den Radsport gleich mit. Noch immer liegen viele Umstände um die damalige Tour im Dunkeln.

Von Johannes Aumüller, Culoz

Alex Zülle beschäftigt sich noch gerne und oft mit dem Radsport, das ist ihm am Telefon sofort anzumerken. Selbstverständlich verfolgt er die Tour de France, wenn auch nicht immer live, "aber dann nehme ich es mir für den Abend auf", und vor ein paar Tagen habe er noch mit seinem Schweizer Landsmann Mauro Gianetti gesprochen, dem Teamchef von Mitfavorit Tadej Pogacar. Manchmal, wenn er die Gestaltung des aktuellen Rennens sieht, da denkt Zülle, 55, gar, dass der abwechslungsreiche Parcours von heute ihm doch mehr entgegengekommen wäre als die klassische Streckenführung, die sie in seiner aktiven Zeit pflegten.

Ansonsten hat Zülle keinen Bezug zum Profi-Radsport mehr, er hat keine Funktion im Peloton, und als TV-Experte wird er nicht eingeladen - die Schweiz sei klein, sagt er, und er sei halt doch ein bisschen ein schwarzes Schaf. Alex Zülle war mal einer der besten Radprofis der Welt, zweimal Sieger der Spanien-Rundfahrt, zweimal Zweiter bei der Tour. Und Alex Zülle war Teil der großen Dopingaffäre, die vor exakt 25 Jahren den Radsport erschütterte - dem Festina-Skandal. Und wenn man das in die Zeitleiste einbettet, muss man sagen: Die Festina-Affäre war der Beginn einer Zeit, die den Radsport fast zerstört hätte und die bis heute nachwirkt.

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Eigentlich möchte Alex Zülle darüber nicht mehr sprechen. "Das Thema ist für mich abgehakt", sagt er. Aber ein paar Sprengsel reicht er doch nach. "Das ist eine ganz eigene Erfahrung. Kein Mensch möchte das erfahren, aber du wirst durch so Situationen auch stärker, und du bekommst mehr Menschenkenntnis."

Nichts mehr sagen wollen über damals, das scheint eine Art von Leitschnur zu sein, wenn man versucht, mit den Protagonisten ins Gespräch zu kommen. Richard Virenque, der Kapitän und ewige Liebling der Franzosen, der damals unter Tränen ausstieg, reagiert auf eine SZ-Anfrage nicht. Pascal Hervé, einer der damaligen Domestiken, teilt mit, er bitte um Verständnis, es sei zu dem Thema alles gesagt. Auch andere halten sich zurück. Wirklich reden tun nur wenige. Antoine Vayer zum Beispiel, damals Festina-Trainer, heute einer der führenden Anti-Doping-Jäger, und Christophe Bassons, der einzige aus der Festina-Equipe, der damals dem Dopingsystem widerstand. Ansonsten: lautes Schweigen. Als wolle man ein finsteres Jahr aus der Historie der Tour und des Radsports herausradieren.

Die Gerüchte entpuppten sich bald als ein veritables Kriminalstück

Auch Jörg Jaksche, 46, erinnert sich noch gut an die folgenreichen Tage. Der Franke zählte damals zu den größten deutschen Talenten, 1998 war sein Debüt bei der Frankreich-Schleife, die in Irland startete. "Wir waren in Dublin, und es war alles sehr überdimensional. Ich hatte schon die WM mitgemacht, aber die Tour ist ein anderes Kaliber", sagt Jaksche: "Und plötzlich hieß es: Da ist irgendetwas mit Festina. Da waren so viel Teams in unserem Hotel, und es gab so viele Gerüchte."

Selbst mit 25 Jahren Abstand liest sich dieser Tour-Sommer wie ein einziges Kriminalstück. Am 8. Juli macht sich der belgische Festina-Betreuer Willy Voet auf den Weg zur Tour, Fahrtziel Calais, wo er die Fähre nach Dublin erreichen wollte. Gegen 6.30 Uhr morgens will er einen kleinen Grenzübergang überqueren, wie gehabt liegen ein paar Teamutensilien parat, als Geschenke für die Beamten. Doch die wollen keine Präsente, sondern einen Blick in Voets Kofferraum - und darin befinden sich Unmengen an verbotenen Substanzen. Hundert Ampullen Epo, Wachstumshormone, Testosteronpräparate, Amphetamine, Corticoide. Alles, was das Radsportlerherz und der Radsportlerkörper begehren.

Unmengen an verbotenen Substanzen im Kofferraum: Der einstige Masseur Willy Voet stand im Epizentrum des Festina-Skandals. (Foto: Philipp Huguen/AFP)

Voet kommt in Untersuchungshaft, aber in Dublin passiert nicht viel. Zumindest nicht offiziell - das Team Festina startet beim Prolog und den ersten Etappen -, aber hinter den Kulissen schon. Denn Doping war damals weit verbreitet, und so sorgt sich so mancher im Peloton, wie man die Sachen, die so zur Grundversorgung gehören, wieder aufs Festland bekäme. Und was in Frankreich dann passieren würde.

Als die Fahrer nach drei Tagen wieder den Kontinent erreichen, geht es tatsächlich rund: Am 14. Juli gesteht Betreuer Voet, auf Anweisung von Teamoffiziellen gehandelt zu haben. Einen Tag später wird das Mannschaftshotel von Festina durchsucht, der Sportliche Leiter Bruno Roussel und Mannschaftsarzt Eric Rijkaert werden verhaftet. Am Abend tritt der Chef der Tour de France, Jean-Marie Leblanc, vor die Presse und teilt mit: "Es ist jetzt 22.50 Uhr, die Tour-Organisation hat den Ausschluss von Festina beschlossen." So etwas hat es noch nie gegeben.

Eine Woche später werden die Festina-Fahrer um Virenque und Zülle verhaftet und verhört, die meisten von ihnen gestehen bald. Zugleich geraten andere Teams ins Visier, vor allem die niederländische TVM-Equipe. Es kommt zu weiteren Verhaftungen, manche spanischen Mannschaften ziehen sich aus der Tour zurück. Zweimal setzen sich die Fahrer auf die Straße, um wegen der Behandlung zu streiken. Nur 96 und damit nur die Hälfte der gestarteten Fahrer erreichen das Ziel - und nebenbei besiegt der Doper Pantani den Doper Ullrich im Duell um den Tour-Sieg.

"Jedem war klar, was läuft, fast jeder hat mitgemacht, und jedem war klar, dass das, was man macht, nicht okay ist", sagt Zeitzeuge Jaksche über die damalige Mentalität: "Aber die Idee dahinter war: Das ist unsere sportinterne Sache, die den Staat nichts angeht." Der Ansbacher war nach dem Festina-Skandal noch einige Zeit Teil des Systems - und später einer der ganz wenigen, die als Kronzeuge wirklich auspackten. Die Szene dankte ihm diese wichtige Arbeit auf ihre Art: Jaksche bekam keinen Profivertrag mehr.

Bald nach der Tour de France 1998 begannen die juristischen Aufarbeitungen. Der Masseur Willy Voet gestand umfangreich, der Teamarzt räumte ein, dass sein Kühlschrank immer voll gewesen sei, auch alle Fahrer räumen den Konsum ein, als letzte Hervé und Virenque. Das Ergebnis ist klar: Über Jahre hat es systematisches Doping gegeben - ein Einziger habe sich verweigert, der junge Christophe Bassons, aus dem macht das Peloton ein richtiges schwarzes Schaf. Auch er findet nie mehr zurück. Virenque kehrt nach einer vergleichsweise kurzen Sperre zurück, er bleibt der Liebling der Franzosen, bis heute ist er als TV-Kommentator Teil des Trosses; auch so manche andere Figur der Festina-Affäre taucht noch rund ums Peloton auf.

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Damals tut das Gros des Feldes tatsächlich so, als sei das Dopingthema quasi nur eine Sache von Festina. Und als die Urteile gesprochen sind, wird so getan, als sei das ein Schlussstrich. Dabei wird weiter gedopt wie eh und je. Nach dem Festina-Skandal vergehen noch acht Jahre, bis die "Operacion Puerto" um den spanischen Mediziner Eufemiano Fuentes und Jan Ullrich auffliegt, und 15 Jahre, bis der siebenmalige Tour-Sieger Lance Armstrong einräumt, welch wahnsinniges Dopingsystem er über all die Jahre installiert habe.

Kurz nach dessen Beichte rücken noch mal die Umstände der Tour 1998 in den Fokus. Ein Report des französischen Senats veröffentlicht die Ergebnisse von Nachtests, und so mancher Fahrer, der den Betrug bis dahin geleugnet oder seinen Konsum relativiert hat, fliegt auf. Bei anderen reicht die Urinmenge nicht für einen validen Nachtest. Wenn man das alles zusammennimmt, ergibt sich jedenfalls: So groß der Skandal war, so ungewohnt hart die Behörden vorgingen und so viele Geständnisse irgendwann vorgetragen wurden - alles weiß die Radsportwelt noch immer nicht über die Zustände im und ums Jahr 1998.

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