Diamond League:Das dunkle Gemüt der Leichtathleten

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Wurde im Mai tot aufgefunden: Leichtathletik-Weltmeisterin Tori Bowie. (Foto: Gonzalo Fuentes/Reuters)

Der Saisonauftakt steht unter dem Eindruck des Todes von Olympiasiegerin Tori Bowie. Die Szene nimmt das auch zum Anlass, über den Leistungsdruck zu sprechen.

Von Johannes Knuth

Die neue Saison der Stadionleichtathletik am Wochenende begann mit einer Kondolenzbotschaft. Jeder in Doha, rund um das erste Meeting der Diamond-League-Serie, sei "schockiert" über den Tod von Tori Bowie, sagte der Moderator Andy Kay, als er die Fragerunde mit den besten Athleten des Meetings eröffnete. Bowie, fuhr Kay fort, war eine "wundervolle Athletin, Weltmeisterin, Olympiasiegerin, schwer beliebt auch bei vielen Athleten, die hier in Doha starten". Jedoch, Kay seufzte, "natürlich geht das Leben weiter, geht der Sport weiter".

Aber so leicht war es dann doch nicht.

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Tori Bowie war ein Gesicht in der kleinen Szene gewesen, Weltmeisterin 2017 über 100 Meter und mit der Sprintstaffel, Gold-, Silber- und Bronzemedaillengewinnerin 2016 bei Olympia in Rio - vor allem der Olympiasieg damals mit der Staffel brannte sich bei vielen ein, als die Amerikanerinnen die favorisierten Jamaikanerinnen überrumpelten auf der engen und schwer zu laufenden Bahn eins. "Leichtathletik", hatte Bowie einmal gesagt, "hat mich gerettet." Sie war in Sand Hill aufgewachsen, einer Kleinstadt in Mississippi; als sie zwei Jahre alt war, hatte ihre leibliche Mutter sie und die Schwester zu Pflegeeltern gegeben. Dort, woher sie stamme, schreibe das Leben keine Erfolgsgeschichten, hat Bowie einmal gesagt und angefügt: "Mein ganzes Leben war ein Kampf."

"Menschen, die vorgeben glücklich zu sein, haben oft die traurigsten Seelen", schreibt Bowies Schwester in den sozialen Medien

So rasant sie an die Spitze geschossen war, so schnell fiel sie dann auch wieder heraus. 2018 verließ sie die Trainingsgruppe in Florida von Lance Brauman (in der mittlerweile auch Gina Lückenkemper trainiert), nachdem sich Bowie offenbar handfest mit Trainingspartnerin Shaunae Miller-Uibo gestritten hatte (Brauman bezeichnete es am Wochenende als "Ehre", Bowie trainiert haben zu dürfen.) Sie wurde 2019 noch einmal WM-Vierte im Weitsprung, danach sah man sie weder in Form noch in den großen Finals. Bündelte man alle Eindrücke des Wochenendes, drängte sich die leise Vermutung auf, dass da einer, die im rettenden Sport den Halt verloren hatte, auch sonst der Halt entglitten war.

"Menschen, die vorgeben, glücklich zu sein, haben oft die traurigsten Seelen", schrieb Bowies Schwester Tamara in den sozialen Medien. Bowies Management hatte zunächst nichts zur Todesursache mitgeteilt: Solange noch vieles im Unklaren liege, bitte man, die Privatsphäre der Familie zu respektieren, hieß es.

So blieb vorerst hängen, dass Bowies Kollegen sowohl in Doha als auch in den sozialen Medien sehr offen über den Druck sprachen, den sie im Karussell des Leistungssports spüren - angestoßen von der Frage einer Reporterin in Doha, die "im Lichte der tragischen Nachricht" wissen wollte, wie Athleten ihre mentale Gesundheit wahren. Mutaz Essar Barshim, Hochsprung-Olympiasieger aus Katar (und Dritter in Doha mit 2,24 Metern), sagte: "Manchmal schafft die Gesellschaft, unsere Welt ein Narrativ, das nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Natürlich redet man sich ein, dass man sich davon nicht beeinflussen lassen sollte, aber natürlich tut man es doch." Die Frage sei, wie jeder Einzelne damit umgehe, denn: "Es ist ein Einzelsport. Also kriegst du den ganzen Druck erst mal alleine ab."

Stabhochspringerin Katie Moon, geboren Nageotte, pflichtete Barshim bei und widersprach der populären These, dass Sieger automatisch das hellste Gemüt haben müssen. Sie sei nach dem Olympiajahr 2021 "echt zusammengebrochen", mental und körperlich, da dieser eine Wettkampf so viel Freude und Aufmerksamkeit bringen könne - oder eben Frust, vor allem in den USA, wo die Leichtathletik meist nur bei Olympia beachtet wird. "Und was es noch härter gemacht hat", sagte Moon, "ich habe mich auch noch schuldig dafür gefühlt." Immerhin hatte sie in Tokio gewonnen, da habe sie schon Angst gehabt, ihre Sorgen offen mitzuteilen: "Wer hat schon Mitleid mit einer Olympiasiegerin?", habe sie sich gedacht.

Fürs Erste blieben zwei Erkenntnisse: dass zwar jeder Athlet seinen Weg aus den Schattenseiten des Berufs finden müsse, sei es durchs Training, durch Freunde und Familie abseits der Bahn - dass er dabei aber nicht allein ist, dank der durchaus guten Hilfsangebote der Verbände etwa. Auch wenn diese in den USA gar nicht so sehr bekannt seien, wie Bowies einstige Teamkollegin Tianna Madison kritisierte.

Viele, die sich in Doha nachdenklich äußerten, brachten nach ihren Wettkämpfen auch Zuversicht vor - Moon etwa, die den Stabhochsprung mit 4,81 Metern gewann, auch die Amerikanerin Sha'Carri Richardson, die nach einigen Turbulenzen zuletzt nun über 100 Meter den Meetingrekord verbesserte, auf 10,76 Sekunden. Der alte stand bei 10,80 Sekunden, gehalten von Tori Bowie.

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